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Panorama: Happy Birthday, Mr. Biggs

Der legendäre Posträuber wird 75 – aber die Party ist für ihn längst vorbei

Es war der malzig-bittere Geschmack von englischem Stout, den Ronnie Biggs in all den Jahren in Brasilien am meisten vermisst hatte. Noch einmal im Londoner Stadtteil Margate ein Bier zu trinken, „als Engländer“ – dies sei sein größter Wunsch, sagte Biggs, als er nach 35 Jahren in sein Heimatland zurückkehrte. Doch aus dem Bier wurde nichts: Die Polizei nahm ihn sofort fest. Kurzer Zwischenstopp beim Richter, dann brachten ihn 60 Polizisten ins Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Heute wird Ronnie Biggs, der ehemals meistgesuchte Kriminelle Englands, 75 Jahre alt. Doch an seinem Geburtstag dürfte er wenig Freude haben: Nach mittlerweile vier Schlaganfällen ist Biggs halbseitig gelähmt, kann kaum noch sprechen. Freikommen wird er wohl nie mehr.

Seine Lebensgeschichte wurde mehrfach verfilmt: Am 8. August 1963 überfällt der Zimmermann mit 14 Komplizen den Postzug von Glasgow nach London, erbeutet 2,6 Millionen Pfund (damals etwa 28 Millionen Mark). Die Gruppe wird erwischt und zu 30 Jahren Haft verurteilt. Doch Biggs entkommt, seilt sich mit einer Strickleiter an der Gefängnismauer ab, lässt sich in Paris sein Gesicht operieren und geht nach Brasilien. Scotland Yard nimmt die Verfolgung auf. Kommissar Jack Slipper jagt den Ganoven jahrzehntelang um die Welt. 1974 gelingt es ihm mit der brasilianischen Polizei, Biggs in einem Hotelzimmer in Rio festzunehmen. „Lange nicht gesehen, Ronnie“, soll er gesagt haben. Doch Biggs’ brasilianische Freundin ist schwanger – was eine Auslieferung nach brasilianischem Recht unmöglich macht. 1981 kommt eine Gruppe von Kriminellen auf die Idee, Biggs zu entführen und auf Barbados meistbietend zu versteigern. Doch brasilianische Regierungstruppen bringen ihn zurück. Anfangs lebt Biggs gut von seinem Ruhm. Er schreibt eine Biografie, gibt Partys für zahlende Besucher. Doch irgendwann geht das Geld zur Neige. Schließlich ist er pleite, erleidet drei Schlaganfälle, wird pflegebedürftig. Das kann er in Brasilien nicht mehr bezahlen. Seine Rückkehr nach England im Mai 2001 – der Flug wird von der Boulevardzeitung „Sun“ bezahlt – ist wohl nicht nur in seiner Sehnsucht nach kühlem Stout begründet.

Seit seiner Rückkehr sind die Meinungen der Engländer über Biggs geteilt. Die einen sehen ihn als liebenswerten Taugenichts. Die anderen sehen auch die Schattenseiten seines rasanten Lebens: Der Lokführer von damals war – von der Gruppe schwer verprügelt – nach dem Überfall arbeitsunfähig, auf seiner Flucht ließ Biggs seine Frau mit drei Kindern in Sydney sitzen, inszenierte sich dann in Brasilien als Frauenheld. 25 Jahre müsste Ronnie Biggs noch absitzen. Alle seine Gnadengesuche waren bis jetzt erfolglos.

Marc Hasse

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