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© AFP

Hausarrest in der Schweiz: Wie Roman Polanski mit seiner Vergangenheit ringt

Ein Mann sitzt mit einer Fußfessel in einem verschneiten Chalet und wartet auf seinen Prozess. Diesen Stoff schrieb das Leben. Roman Polanski, gefeierter Regisseur, verging sich als junger Mann an einer 13-Jährigen – und ringt nun mit einer Vergangenheit, die nicht vergeht.

Das Chalet trägt den Namen „Milky Way“, Milchstraße, es liegt weit oben und ein wenig abseits. Die Vorhänge des hellen Holzhauses sind zugezogen, kein Laut dringt nach außen. Nichts deutet darauf hin, dass hier seit Anfang Dezember der Regisseur Roman Polanski unter Hausarrest steht. Mit seiner Frau und den beiden Kindern hat er Weihnachten und Silvester gefeiert, mit elektronischer Fußfessel und unter strengen Auflagen. Bis zum Ende seines Grundstücks darf sich Polanski bewegen, nicht weiter, sonst muss er zurück ins Gefängnis, und die drei Millionen Euro Kaution verfallen. Es habe aber keinerlei Zwischenfälle gegeben, heißt es bei den Schweizer Behörden.

In diesen Tagen berät nun das Bundesministerium für Justiz in Bern, ob Roman Polanski an die USA ausgeliefert wird. Ob er von der Milchstraße in Gstaad zurück muss auf den Planeten Hollywood, dorthin, wo alles anfing, vor 33 Jahren, als Polanski in Los Angeles einem 13-jährigen Mädchen Alkohol und Medikamente gab und es zum Sex zwang, sich nach Europa absetzte und nie wieder amerikanischen Boden betrat. Die Entscheidung, ob er ausgeliefert wird, soll noch im Januar fallen.

Gstaad im Berner Oberland, berühmt für seine hohen Berge und hohen Gäste. Leute wie Gunter Sachs oder Bernie Ecclestone gehören zum Ortsbild, genau wie die altmodische Verschrobenheit der hölzernen Chalets. An Polanski hat man sich gewöhnt. Die Medienleute sind inzwischen abgezogen, selbst der Reporter des polnischen Fernsehens, der 24 Tage lang im Schnee vor Polanskis Chalet ausgeharrt hatte. Verschwunden ist das Plakat, das der Pfarrer von Gstaad über Weihnachten aufgehängt hatte: „Alle warten auf Roman Polanski, wir warten auf Jesus Christus“. Blicken lässt sich ohnehin nur Polanskis Ehefrau, die französische Schauspielerin Emmanuelle Seigner. Hin und wieder sieht man sie durch den Ort gehen, eine schmale, blonde Person, keiner behelligt sie. Gstaad hat gelernt, seine Prominenten nicht zu vergraulen. Selbst wenn die Prominenten gegen ihren Willen in Gstaad sind.

Dem 76 Jahre alten Regisseur scheint es gut zu gehen. Dem französischen Intellektuellen Bernhard-Henri Lévy hat er einen Brief geschrieben, in dem er sich bei seinen Unterstützern für die vielen Briefe und Botschaften bedankt, die er in den vergangenen Monaten bekommen hat: „In den dunklen Momenten waren sie eine Quelle des Trosts und der Hoffnung.“ Und während sich vor seinem Chalet die Fotografen auf die Füße traten, arbeitete drinnen Polanski am Endschnitt seines neuen Films „The Ghostwriter“, der auf der Berlinale laufen wird. Es geht um einen Schriftsteller, der die Memoiren des britischen Premierministers schreibt und bei der Recherche auf eine dunkle Vergangenheit stößt.

Wann Polanskis Vergangenheit aufgearbeitet wird, ist ungewiss. Gerade erst gab es wieder eine Anhörung in Los Angeles, bei der Polanskis Anwälte forderten, das Verfahren aus den 70er Jahren wegen juristischer Unregelmäßigkeiten einzustellen. Zusätzlich forderten sie, Polanski ein Verfahren in Abwesenheit zu ermöglichen, er soll den Gerichtsentscheid in seinem Chalet abwarten dürfen. Ein Staatsanwalt aus Los Angeles bezeichnete diesen Antrag als „absolut unangebracht“. Ob ein Prozess in Abwesenheit möglich ist, wird das Gericht am 22. Januar entscheiden.

1977 ist in den Zeitungen noch vom „sensationellsten Hollywood-Prozess“ die Rede. Es ist ja auch alles wie im Film. Reiche und schöne Menschen, dazu Los Angeles, ein Ort, an dem sich „so viele künstlerische Köpfe an einem Ort ballen wie seit dem Italien der Renaissance nicht mehr“, wie ein Psychiater in seinem Gutachten über Polanski festhält.

Der Regisseur ist ein Teil dieser Welt. Er ist 33 und seit „Rosemary’s Baby“ ein gefeierter Künstler. Neben den Filmen fotografiert er für Modemagazine. Über einen Freund lernt er im Februar 1977 die 13 Jahre alte Samantha kennen, Polizisten werden sie später als „einfach angezogenes, stilles Mädchen“ beschreiben. Er besucht sie bei ihrer Mutter, fragt sie, ob sie sich für die „Vogue“ fotografieren lassen will. Er fährt mit ihr auf das Anwesen seines Freundes Jack Nicholson auf dem Mulholland Drive. Dort gibt es einen Pool, es gibt Champagner, Anjelica Houston ist auch da.

Polanski fotografiert das Mädchen, angezogen und nackt. Er schenkt Samantha Alkohol ein und gibt ihr eine Quaalude-Schlaftablette, die sie so schwindlig macht, dass sie nicht mehr laufen kann. In einem Schlafzimmer kommt es zum Sex, vaginal und anal. Den Vorwurf der Vergewaltigung wird Polanski später abstreiten. Vor Gericht bekennt er sich lediglich des Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen schuldig, im Rahmen eines „plea bargaining“, eines juristischen Deals. Im Gegenzug unterzieht sich Polanski einer psychiatrischen Untersuchung, bei einem Gutachter, der sein Leben auseinandernimmt: seine Kindheit im Krakauer Ghetto; die Deportation des Vaters; den Tod der hochschwangeren Mutter in Auschwitz; Polanskis Flucht aus dem Ghetto; die Schädelverletzung, die ihm mit 16 Jahren ein Krimineller in einem Krakauer Bunker zufügt. Im Gutachten kommt der Psychiater zu dem Schluss, dass Polanski kein Triebtäter ist. Er empfiehlt eine Bewährungsstrafe: „Man sollte von Gefängnis absehen bei jemandem, dessen Leben eine scheinbar unendliche Serie von Bestrafungen ist.“

Polanski muss trotzdem ins Gefängnis. Im State Prison in Chino, Kalifornien, unterzieht er sich 90 Tage lang einer weiteren psychiatrischen Untersuchung. Damit soll seine Strafe abgebüßt sein, so hat es der Verteidiger ausgehandelt. Nach 42 Tagen wird Polanski vorzeitig entlassen. Was danach geschieht, liegt bis heute im Dunkeln. Angeblich drängt ein Staatsanwalt den Richter, eine längere Strafe zu verhängen, wider alle Absprachen. Das hat der Staatsanwalt von damals der Filmemacherin Marina Zenovich gesagt, die eine Dokumentation über den Fall Polanski drehte. Später nimmt der Staatsanwalt alles zurück. Er habe das nur erzählt, „um die Sache ein bisschen aufzupeppen“. Polanski jedenfalls kauft im Februar 1978 ein Flugticket nach London und kehrt nicht mehr zurück. Das Urteil steht bis heute aus.

Samantha Geimer ist inzwischen 45 Jahre alt und dreifache Mutter, sie lebt mit ihrer Familie auf Hawaii. In der Dokumentation von Marina Zenovich kommt sie ebenfalls zu Wort, eine herzliche blonde Frau, die neben ihrem Anwalt vor der Kamera steht und ruhig von der Vergangenheit erzählt: „Das Schlimmste war, dass mir keiner geglaubt hat.“ Sie wirkt nicht rachsüchtig und auch nicht verbittert. Sie erscheint wie eine Lichtgestalt inmitten all der Männer, die sich der Justiz entweder entziehen oder sie zu manipulieren versuchen.

Geimer will abschließen mit der Geschichte. In einem Brief an ein Gericht schreibt sie 1997, dass sie ihre traumatischen Erlebnisse endlich verarbeiten wolle, auch um den Preis, dass der Fall zu den Akten gelegt wird. „Das Ganze war für mich kein einmaliges Ereignis, sondern hat 20 Jahre lang mein Leben verdunkelt.“ Bei jedem Film, den Polanski mache, komme alles wieder hoch, würden die alten Wunden aufgerissen. Die merkwürdigen juristischen Deals, die sie damals vor einer Aussage und vor der Öffentlichkeit hätten bewahren sollen, bewirkten genau das Gegenteil: Ihr Name ist in Roman Polanskis Vita eingebrannt wie ein Filmtitel.

Seitdem ist viel geschehen und gleichzeitig wenig. Die amerikanischen Behörden verfolgten Polanskis Spuren durch die ganze Welt. 1986 werden sie informiert, dass Polanski nach Kanada fährt, und erneuern den Haftbefehl. Dasselbe geschieht, als der Regisseur 1988 in Deutschland, Polen, Dänemark, Schweden und Brasilien einreisen will. Weitere drei Versuche in Frankreich 1994, in Thailand 2005 und in Israel 2007. Die israelischen Behörden prüfen immerhin den Haftbefehl und verlangen weitere Unterlagen. Als diese eintreffen, hat Polanski das Land längst verlassen. Erst in der Schweiz wird Polanski Ende September verhaftet, als er beim Zürcher Filmfestival einen Preis für sein Lebenswerk entgegennehmen will.

Zwei Tage bevor Polanski in Schweizer Auslieferungshaft kommt, stirbt in einem amerikanischen Gefängnis Susan Atkins, die einst zur „Family“ um den Verbrecher Charles Manson gehörte. Im August 1969 brach sie mit mehreren Mittätern bei Polanskis Ehefrau Sharon Tate ein und stach mit einem Messer auf sie ein, sechzehn Mal, ohne Grund. Tate verblutete, sie war im achten Monat schwanger. Vielleicht ist es das, was einen am Fall Polanski so verstört. Wie unvermittelt jeder Mensch zum Opfer werden kann – und im nächsten Moment genauso unvermittelt zum Täter.

In Gstaad beginnt es zu schneien. Es riecht nach Holz und nach Rauch vom Heizen, der Schnee deckt die letzten Spuren zu. Hinter Polanskis Chalet kommt ein Wachmann in Schwarz hervor, wie aus dem Nichts. Er sagt nichts, aber man weiß: Keinen Schritt weiter. Die Milchstraße bleibt unnahbar, der Welt und der Justiz seltsam entzogen.

Es wird weiterverhandelt werden, in der Schweiz und in Amerika. Es wird Anhörungen geben, Termine vor Gerichten und Berufungsgerichten. Vielleicht wird das Verfahren wegen der Unregelmäßigkeiten im Prozess 1978 eingestellt. Vielleicht darf er in Abwesenheit verurteilt werden. Oder es bleibt bei den 42 Tagen im Gefängnis, die er seinerzeit verbüßt hat. Vielleicht gehen aber auch weitere Jahre ins Land.

In einem Interview hat Roman Polanskis einmal über seinen Film „Chinatown“ gesprochen. „Chinatown“ spielt im Los Angeles der 30er Jahre, es geht um mysteriöse Morde und einen Detektiv, der einem politischen Komplott auf der Spur ist. Doch am Ende geschieht nichts, die Entdeckungen des Detektivs bleiben ohne Folgen. „Man muss auch zeigen“, sagte Polanski im Interview, „dass Ungerechtigkeit siegen kann. Und das Publikum mit einem frustrierten Gefühl nach Hause gehen lassen.“

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