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Keine Chance. Die spanischen Flughäfen waren, wie hier in Bilbao, bis zum Abend für den Luftverkehr geschlossen. Foto: dpa

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Panorama: Hilflos in der Wartehalle

Der wilde Fluglotsenstreik lässt Hunderttausende stranden – die Regierung greift zum letzten Mittel

Für einen Moment sah es so aus, als befinde sich Spanien wegen des wilden Streiks der Fluglotsen in einem Kriegszustand. Militär fuhr vor den spanischen Flughäfen auf. Soldaten und Polizisten drangen im ganzen Land in die Kontrolltürme ein. Sie zwangen die Fluglotsen, die mit verschränkten Armen vor ihren Bildschirmen saßen, zur Arbeit. Nicht mit vorgehaltener Waffe, sondern mit einem Notstandsdekret der Regierung in der Hand, das Festnahme und hohe Haftstrafen bei weiterer Arbeitsverweigerung vorsah. Mehr als 600 000 Reisende hingen seit Freitag auf den fast 50 spanischen Flughäfen fest. Hinzu kamen zehntausende Urlauber auf ausländischen Airports, deren Flüge Richtung Spanien abgesagt oder verschoben wurden.

Zivile und militärische Helfer verteilten Decken, Essen und Getränke in vielen spanischen Terminals, in denen Zehntausende notgedrungen ihr Nachtlager aufschlagen mussten. Die Hotels in der Nähe der Airports waren überfüllt. „Eine Schande für ein zivilisiertes Land“, empörten sich verzweifelte Fluggäste in Madrid über den wilden Lotsenstreik.

Wut und Verzweiflung waren allerorten groß. Nachdem die spontane Arbeitsniederlegung der Luftkontrolleure am Freitagnachmittag zu chaotischen Zuständen auf den Flughäfen und zum Kollaps des Luftverkehrs geführt hatte, griff Spaniens Regierungschef José Luis Zapatero hart durch. Er unterstellte die Kontrolle über den Luftraum in der Nacht zum Samstag dem Militär. Dann wurde, erstmals in der spanischen Geschichte, der militärische „Alarmzustand“ ausgerufen, mit dem die Fluglotsen dem Befehl der Generäle unterstellt wurden und auch Lotsen der Armee in die zivilen Kontrolltürme einrücken dürfen.

Am späten Samstagnachmittag zeichnete sich endlich eine Entspannung dieser wohl bisher schlimmsten spanischen Luftfahrtkrise ab. „Die Fluglotsen kehren zu ihren Arbeitsplätzen zurück“, erklärte ein Sprecher der staatlichen Flughafenverwaltung Aena. „Der Luftraum ist wieder geöffnet“, verkündete wenig später erleichtert Verkehrsminister José Blanco.

Flugzeuge rollten am Abend wieder zur Startbahn, von einer Normalisierung des Luftverkehrs war das Urlaubsland aber noch weit entfernt. Am Sonntag wie auch in den kommenden Tagen muss noch mit Verspätungen bei Flügen von und nach Spanien gerechnet werden. Die Flughäfen in der Hauptstadt Madrid, in Barcelona, auf Mallorca, auf den Kanarischen Inseln und im Rest Spaniens waren am Freitagabend mangels Personal im Tower geschlossen worden. Minister José Blanco entschuldigte sich bei den Passagieren und drohte den Streikenden mit Entlassung. „Wir werden diese Erpressung nicht tolerieren“, sagte Blanco, die Reisenden seien von den Fluglotsen „gefangen genommen“ worden.

Rund 70 Prozent der spanischen Luftkontrolleure hatten sich am Freitagnachmittag plötzlich „krank“ gemeldet. Hintergrund des wilden Streiks ist ein Beschluss der Regierung, die Arbeitsbedingungen und Dienstzeiten der Lotsen neu zu regeln sowie Privilegien der spanischen Fluglotsen abzuschaffen. Dazu gehören Abstriche bei der Anrechnung von Überstunden, Ruhezeiten und Krankheitstagen, was für die Lotsen Gehaltseinbußen bedeutet. Die spanische Regierung begründete ihre Reform damit, dass die Lotsen zu den Spitzenverdienern im Land gehören, erheblich besser bezahlt werden als in anderen EU-Ländern und der Staat in den wirtschaftlich schweren Zeiten sparen müsse. Spaniens Lotsen verdienen zwischen 200 000 und 300 000 Euro im Jahr.

Der Regierungschef der besonders stark betroffenen Balearischen Inseln, Francesc Antich, forderte die Lotsen auf, nicht auf Kosten der Passagiere ihre „astronomischen Gehälter“ zu verteidigen. Mallorcas Hoteliers sprachen von „Geiselnahme“ und beklagten den enormen Schaden für die Tourismuswirtschaft. Das Urlaubsgeschäft ist mit etwa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts das wichtigste Standbein der spanischen Ökonomie, die seit dem großen Immobiliencrash vor zwei Jahren auf Talfahrt ist.

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