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Bundespräsident Joachim Gauck besucht die vom Elbehochwasser betroffene Stadt Meißen in Begleitung des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU, 2.v.l.) und lässt sich mit deutschen und niederländischen Soldaten fotografieren, die sich im Einsatz gegen das Hochwasser befinden.

© dpa

Update

Hochwasser in Sachsen-Anhalt: Gauck erschüttert über Folgen der Flut: „Wir werden es schaffen“

Die Menschen an Elbe und Saale erleben das schlimmste Hochwasser seit Jahrhunderten. Auch Bundespräsident Gauck war bei seinem Besuch sichtlich erschüttert. Vor allem aber wollte er den Menschen Mut machen.

Bundespräsident Joachim Gauck ist die tiefe Betroffenheit anzusehen. Wer weit weg wohne, könne sich das alles gar nicht vorstellen, sagt er am Sonntag bei seinem Besuch im Hochwassergebiet an Elbe und Saale. „Unglaublich.“ Er schüttelt zum Dank freiwilligen Helfern, Feuerwehrleuten und den weiteren stillen Helden der Flut fest die Hand. „Man kann sich nicht vorstellen, was da zu bewältigen ist.“ Er sei aber auch zuversichtlich und vertraue auf den weiteren Zusammenhalt der Menschen in der Not, sagte der Bundespräsident.

„Deutschland ist ein solidarisches Land“, betont er in Halle an der Saale. Diejenigen, die nicht überlegen müssten, wenn sie eine teure Flasche Wein aufmachen, sollten auch für andere ihre Herzen und Geldbörsen öffnen. „Wir werden es schaffen, die zerstörten Gebiete wieder aufzubauen.“ Allein in Halle, der mit rund 230 000 Einwohnern größten Stadt Sachsen-Anhalts, hatte die Saale zwischenzeitlich einen Rekordstand von mehr als 8,00 Metern erreicht. Der Fluss war so hoch wie seit 400 Jahren nicht mehr.

„Die Angst stieg wie der Pegel des Wassers“, sagt Pfarrer Johann Schneider bei einem Gottesdienst, an dem auch Gauck teilnimmt. Wenig später schildert die zweifache Mutter Nicole Voß dem Bundespräsidenten den vergeblichen Kampf zahlreicher Helfer gegen die unerbittliche Flut. Sie musste miterleben, wie die gerade erst vor zwei Jahren neu aufgebaute Kindertagesstätte den Wassermassen zum Opfer fiel. Manche kämpften über ihre Kräfte. Einen Mann kostete seine unermüdliche Hilfe beim Sandsackfüllen das Leben.

Laut dröhnen unterdessen die Pumpen. Feuerwehrleute stehen mit Gummihosen im Wasser und versuchen, den Schlamm zu beseitigen. Und die Gefahr sei noch lange nicht vorbei, warnt Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) mit Hinweis auf die seit Tagen durchnässten Deiche. Mit dem Bundespräsidenten läuft Wiegand vorbei an Bergen von Hausrat.

Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt versucht, wenigstens etwas zu trösten. Einen Blumenstrauß mit Pfingstrosen, wie sie jetzt eigentlich auch in den überschwemmten Gärten in Halle blühen sollten, hat sie mitgebracht. „Dass der Bundespräsident gekommen ist, das ist uns ein großer Trost“, sagt die Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte St. Georgen, Kerstin Jüngel. Dies meine sie ganz ehrlich, denn Geld für den Wiederaufbau sei das eine. „Wichtig ist es auch, die Menschen zu trösten und ihnen Mut zu machen, dass sie nicht aufgeben, auch wenn das Wasser wieder weg ist.“ Gauck und Schadt fliegen dann weiter ins sächsische Meißen. Der Blick von oben auf das Flutgebiet sei erschütternd gewesen, erzählt er nach der Landung. Die 2000 Einwohner, die sich vor dem Wasser retten mussten, schrubben Stunde um Stunde den Schlamm von den Straßen und räumen Sandsäcke weg.

Dicht umringt von Journalisten läuft Gauck durch die Altstadt von Meißen, spricht mit Bundeswehrsoldaten, Helfern, Bewohnern und Ladenbesitzern. Einer von ihnen ist Optikermeister Michael Bornemann. In seinem Geschäft stand das Wasser knapp einen Meter hoch. Es muss komplett erneuert werden. Doch auch in Meißen ist Gauck beeindruckt vom Durchhaltewillen der Menschen. An der Kirche gibt es Handzettel mit den Telefonnummern der Pfarrer. „Wir sind für diejenigen da, die mal reden wollen“, hießt es dort.

In Halle, wo 30 000 Menschen aufgefordert waren, vor den Fluten der Saale ihre Häuser zu verlassen, liefen unterdessen überall sichtbar die Aufräumarbeiten. Die Feuerwehr pumpt unentwegt die braune Brühe aus den Kellern und Gebäuden. Am Nachmittag wollte Gauck nach Meißen in Sachsen weiter fahren, um dort mit Helfern und Betroffenen zu reden. Die Elbe hatte die Stadt unter Wasser gesetzt.

Anschlagsdrohung und Evakuierungen

Nach einer Drohung mit Anschlägen auf Deiche hat Sachsen-Anhalt die Überwachung der Anlagen aus der Luft und vom Boden aus verstärkt. Dies sagte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Ein Drohschreiben sei mehreren Medien übermittelt worden. „Wir nehmen das Bekennerschreiben ernst“, sagte der Minister. Es werde nun alles Erforderliche getan, die Bürger sollten weiterhin die Ruhe bewahren. Kein Deich sei unbewacht.

Unterdessen in Magdeburg: Die Sonne scheint, in einem Garten mäht ein Mann das meterhohe Gras - fast wirkt die Szene idyllisch. Doch auf der Straße neben dem Garten reihen sich die Feuerwehrautos, einige Meter entfernt sehen die Straßen schon wie kleine Flüsse aus. Das Hochwasser der Elbe hat den Magdeburger Stadtteil Rothensee erreicht. Und es steigt.

Die Stadt hatte am Abend die Räumung von Rothensee angeordnet, über Facebook, Radio und Fernsehen laufen die Aufforderungen an die Bürger, ihre Häuser zu verlassen. Später sollten auch noch Lautsprecherwagen losfahren. Doch viele von den Bewohnern denken nicht daran zu gehen: „Wir bleiben hier, hundert Prozent“, sagt etwa Anwohner Jürgen Sterzing.

Er ist sauer. Den Frust bekommt vor allem Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) ab: „Vor zwei Tagen hat er noch gesagt, Magdeburg ist sicher“, schimpft auch Wolf Thiele auf Trümper. Der hätte die Bürger eher warnen müssen, meint er.

Dabei sagt Trümper auch am Samstagabend noch: „Wir wollen keine Panik machen.“ Menschenleben seien derzeit nicht in Gefahr. Aber die Leute sollten so schnell wie möglich ihre Häuser verlassen. Sie müssten sich darauf einrichten, etwa eine Woche anderswo unterzukommen. Nach einigen Kurzschlussbränden in Verteilerkästen in den Häusern ist der Strom aus Sicherheitsgründen abgeschaltet worden. Auch andere Ortsteile sind von der Räumung bedroht. Eine Flutwelle werde es aber nicht geben.

„Wir bleiben hier. Vor zwei Tagen wurde noch jede Gefahr abgewiegelt“, ärgert sich auch Heinz-Herbert Ramisch. Gemeinsam mit seiner Frau Doris und einem Nachbarn hat er Waschmaschine und Gefriertruhe aus dem Keller nach oben gewuchtet. „Die Heizung wird wohl hin sein“, befürchtet er. In manchen Kellern steht das Wasser in Rothensee schon bis zur Hüfte. Andere schätzen die Lage anders ein.

Eine Familie mit drei Kindern hetzt mit Koffern und einem Käfig mit Wellensittichen zu ihrem Auto - keine Zeit für ein Gespräch. An einigen Straßenecken wuchten die Menschen nach wie vor Sandsäcke übereinander. „Na, ob das noch hilft, es ist die Not der Verzweiflung“, sagt Thiele. Eine Frau weint: „Am Freitag mussten wir aus Randau raus und sind hierher zu unseren Kindern. Nun müssen wir hier auch weg.“ Auch Anke Söchting will auf jeden Fall ihre Wohnung verlassen. „Ich habe eine Tochter, da hat man Verantwortung“, sagt die Frau.

Höchster Wasserstand der Elbe in der Geschichte Magdeburgs

Magdeburg wird von dem höchsten Wasserstand der Elbe in seiner Geschichte bedroht. Selbst bei dem verheerenden Jahrhunderthochwasser 2002 lag der höchste Pegelstand mit 6,72 Meter gut 70 Zentimeter unter dem am Samstag gemessenen Wert von 7,40 Meter. Ministerpräsident Reiner Haseloff, Innenminister Holger Stahlknecht (beide CDU) und Oberbürgermeister Trümper bezeichneten die Situation als so kritisch wie noch nie.

In Magdeburg müssen Deiche auf einer Länge von 20 Kilometern verteidigt werden. „Die nächsten Tage werden extrem und schwierig“, sagte Trümper. Innenminister Stahlknecht betonte: „Die Kräfte müssen immer am richtigen Ort eingesetzt werden, das bedeutet, dass nicht alle Standorte gehalten werden können.“ Ein Altenpflegeheim wurde bereits evakuiert. Auch ein Umspannwerk und der Stadtteil Rothensee mit einem großen Binnenhafen und viel Industrie sind gefährdet. Dort wurden auch die Bewohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. „Wir wissen nicht, wieviel Wasser noch kommen wird“, sagte der Oberbürgermeister. Das Wasser laufe bereits über die 7,20 Meter hohe Hafenmauer. Bei Bitterfeld versuchten Bundeswehr und Helfer weiter, ein Leck zwischen dem Goitzschesee und dem Seelhausener See zu schließen. Dazu wurden aus Hubschraubern der Bundeswehr große Sandsäcke abgeworfen.

In den vergangenen Tagen wurde befürchtet, dass ein größeres Leck zwischen den beiden Seen eine Flutwelle vom höher gelegenen Seelhausener See in die Goitzschesee auslösen könnte. Dann würde auch Bitterfeld überflutet. Die Gefahr ist nach Angaben des Krisenstabes noch nicht abgewandt.

Im Süden ist bereits ein Deich gebrochen.

Plötzlich muss alles ganz schnell gehen. „Das Wasser steht auf der Straße. Es muss einen Deichbruch gegeben haben“, sagte ein Polizist im kleinen Dorf Susigke bei Aken, südlich von Magdeburg. 300 Einwohner müssen vor den Fluten der übervollen Elbe in Sicherheit gebracht werden. Doch es dauert rund zwei Stunden, bis auch der letzte Bewohner in einen der bereitgestellten Busse zur Fahrt in die Notquartiere steigt. „Wir haben ja immer gehofft, dass wir diesmal nicht betroffen sind“, meint eine ältere Frau. Deren Ehemann hatte sich in der vergangenen Woche noch ein Notstromaggregat besorgt, um nach den angekündigten Stromabschaltungen wenigstens den Kühlschrank und den Fernseher noch in Betrieb halten zu können. Doch beim Benzin hatte er sich verschätzt. Die fünf Liter im Kanister reichen nicht lange, so dass er am Ende doch seiner Frau folgte.

Immer mehr Menschen gerade in Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber auch in Teilen Brandenburgs, müssen oft Hals über Kopf vor den Fluten flüchten. Viele schimpfen dann über die „sehr kurzfristigen Voraussagen“ der zu erwartenden Pegelstände durch die örtlichen Krisenstäbe. Diese verweisen auf die Hochwasserzentrale. Doch wer hier nachfragt, erhält eine Fülle von Erklärungen für das Durcheinander. Da ist dann von „sehr unterschiedlichen Qualitäten der Deiche“ die Rede, ebenso von der „Last der Sandsäcke auf den durchweichten Dämme“ und „vorher nicht erkannten Schwachstellen“.

Allein in Sachsen-Anhalt hielten sich bis zum Vormittag rund 6000 Menschen in Notquartieren auf. Bedeutend mehr Personen wohnen bei Freunden und Verwandten. Am Mittag kamen mehrere Tausend Menschen dazu, denn die rund 10 000 Einwohner große Stadt Aken musste vollständig evakuiert werden. Trotz Hunderttausender Sandsäcke und teils lebensgefährlichem Einsatz von Bundeswehrhubschraubern zur Reparatur beschädigter Deichstellen konnten der Ort und mehrere Dörfer in der Umgebung nicht vor den Wassermassen geschützt werden.

Die Pegelanzeige an der Elbe gibt am 08.06.2013 in Magdeburg einen Wasserstand von 7,29 Meter an.
Die Pegelanzeige an der Elbe gibt am 08.06.2013 in Magdeburg einen Wasserstand von 7,29 Meter an.

© dpa

Dieses Szenarium soll in der Landeshauptstadt Magdeburg möglichst verhindert werden. Neben der Elbe schiebt vor Magdeburg die Saale ihre Wassermassen in das nun viel zu kleine Flussbett. Seit einigen Tagen arbeiten hier auch Feuerwehrleute aus Berlin, Brandenburg, Braunschweig und Hannover. Zusammen mit einer Bundeswehreinheit, die gerade einen Einsatz in Afghanistan beendet hatte, bauten sie im Norden Magdeburg einen vier Kilometer langen Damm aus Sandsäcken. Er soll die Industriegebiete mit zahlreichen Tankanlagen vor einem Wassereinbruch bewahren.

Touristen stornieren Reisen in Hochwassergebiete

Während für Bitterfeld und Halle-Neustadt weitgehend Entwarnung gegeben wurde, steht das Elbewasser nach wie vor in den Altstädten von Bad Schandau, Pirna, Meißen und Riesa sowie in den Ortsteilen von Dresden. Eine Unwetterfront mit Gewittern, Starkregen, Hagel und Sturmböen überquerte am frühen Nachmittag von Südthüringen kommend das Bergland im Kreis Mittelsachsen. Bis zu 20 Liter Regen fielen nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in einzelnen Ort. Diese Mengen beeinflussten zwar nicht den Pegelstand, behinderten aber erheblich die Aufräumarbeiten. Für den heutigen Sonntag und den Montag sind weitere Schauer vorausgesagt.

Unterdessen beklagen die sächsischen Hoteliers und Wirte massenhafte Stornierungen gebuchter Reisen. Betroffen sind auch Regionen außerhalb der Hochwassergebiete. Dabei seien 90 Prozent aller Hotels des Freistaates nicht beeinträchtigt, hieß es von der Tourismusmarketinggesellschaft Sachsen. Teilweise würden Aufenthalte bis zum Ende des Sommers abgesagt. Selbst in der Sächsischen Schweiz sind die beliebtesten Touristenziele wie die Bastei über dem Kurort Rathen und die Festung Königstein aber geöffnet und zumindest mit dem Auto oder zu Fuß erreichbar. Der Elberadweg und die Eisenbahnverbindung von Dresden aus bleiben gesperrt, wie auch die Bahnverbindung zwischen Magdeburg und Schönebeck (siehe Bild oben). Abgesagt wurde aber das große Stadtfest in Wittenberg unter dem Motto „Luthers Hochzeit“. Dazu hatte die Stadt rund 100.000 Besucher von Freitag bis Sonntag erwartet.

Nach wie vor müssen alle Fernzüge von Berlin nach Leipzig und umgekehrt durch die Sperrung der Elbbrücke in Wittenberg rumgeleitet werden. Die Fahrt über Dessau dauert rund eine Stunde länger. (Claus-Dieter Steyer mit dpa)

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