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Panorama: Hochzeit ohne Widerworte

Die Chinesen heiraten wie nie zuvor – weil die Paare ihre Chefs im Betrieb nicht mehr um Erlaubnis fragen müssen

Auf Pekings Straßen sind in diesen Tagen auffällig viele geschmückte Limousinen unterwegs. Viele Restaurants und die Festsäle sind ausgebucht. Tausende Chinesen haben in den vergangenen Tagen geheiratet. Der Grund für den Hochzeitsboom ist ein neues Ehegesetz: Seit Anfang Oktober dürfen Chinesen erstmals ohne Zustimmung ihrer Vorgesetzten heiraten.

Ab dem frühen Morgen standen am 1. Oktober, dem Nationalfeiertag und Stichtag der neuen Regelung, junge Paare vor den Eheregistrierungsbehörden Schlange. Die Herbstfeiertage sind in China traditionell eine Zeit zum Heiraten. Dieses Jahr hatten jedoch viele Paare ihre Hochzeit aufgeschoben, um nach den neuen Bestimmungen zu heiraten. Allein in Peking wurden an einem Tag 2000 Hochzeiten registriert. „Es war ganz unkompliziert“, sagt die frisch vermählte Wei Yu. Sie und ihr Bräutigam mussten sich im Pekinger Büro für Zivilangelegenheiten nur identifizieren und eine Erklärung abgeben, dass sie noch ledig sind. Dann füllten sie einige Formulare aus. Nach zehn Minuten waren die beiden verheiratet. „Ich bin froh, dass wir uns die ganzen Behördengänge gespart haben“, sagt der Bräutigam Liu Qing.

Bisher war das Heiraten in China ein komplizierter bürokratischer Akt. Zwar hatte der Große Vorsitzende Mao Zedong bei seiner Machtübernahme 1949 die bis dahin üblichen Eheschließungen durch die Eltern abgeschafft. Dafür wurde die Liebe nun vom Staat geregelt. Heiratswillige mussten bisher nicht nur einen Arzt aufsuchen, der sie auf mögliche Krankheiten untersuchte. Zur Hochzeit benötigten sie auch die Einverständniserklärung ihrer Arbeitseinheit. Viele Vorgesetzte in Staatsbetrieben missbrauchten diese Macht. Wer politisch aus der Reihe tanzte, dem wurde die Zustimmung verwehrt. Seit einigen Jahren seien die alten Regeln vor allem zu einer Geldbeschaffungsmaßnahme verkommen, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. In vielen Betrieben mussten die Angestellten das Recht zur Heirat von ihren Vorgesetzten abkaufen.

Mit den neuen Heiratsbestimmungen entfallen nun die bürokratischen Schikanen. Ein Gesundheitszeugnis muss von den Brautleuten nur noch freiwillig vorgelegt werden. Regierungsmitarbeiter in Peking betonen, dass nach den neuen Regeln erstmals auch Träger des Aids-Virus heiraten dürfen – bisher war dies in den meisten Provinzen verboten. Nicht heiraten dürfen auch weiterhin Menschen mit geistigen Behinderungen. Über Ausnahmen entscheidet der Beamte im Registrierungsbüro. Ebenso bleibt Schwulen und Lesben die Hochzeit verwehrt.

Für die meisten Chinesen sind die neuen Bestimmungen dennoch ein Fortschritt. Der Staat zieht sich aus ihrem Privatleben zurück. Dabei wurde mit den neuen Bestimmungen nicht nur der Anfang der Ehe, sondern auch dessen Ende vereinfacht. Bei Scheidungen müssen Chinesen in Zukunft keine langwierigen Prozeduren bei staatlichen Vermittlern mehr absolvieren. Zwei Unterschriften genügen.

Harald Maass[Peking]

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