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Holocaust-Gedenken: Tanzen im Konzentrationslager

Ein Holocaust-Überlebender tanzt mit seiner Familie in Auschwitz und lädt ein Video davon auf You Tube hoch. Grandiosen jüdischen Humor nennen es die einen, respektlos finden es die anderen.

Am Anfang sieht man fünf Menschen mit gesenktem Kopf nebeneinander stehen, zuerst vor Eisenbahnschienen, dann vor der Einfahrt, die Symbol für die menschenverachtende Haltung der Nationalsozialisten gegenüber ihren Gegner wurde: die Einfahrt zum Konzentrationslager Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“.

Dann richten sich die fünf Australier, drei junge Frauen, ein jüngerer und ein älterer Mann auf und fangen zu tanzen an. Zum Lied „I will survive“, das schon unter zahlreichen Coverversionen leiden musste und in den Radios rauf und runter gespielt wurde, tanzen ein Großvater mit seiner Tochter und seinen drei Enkelkindern im Linedance-Stil. Man sieht sie in Auschwitz, Theresienstadt und Dachau zu Gloria Gaynors Disko-Hit Ausfallschritte und Drehungen machen und die Hüften schwingen. Im Video tragen die Tänzer weiße T-Shirts mit der schwarzen Aufschrift „Surviver“, Überlebender, in einigen Szenen haben sie Judensterne auf ihre Kleidung genäht. In einer Sequenz streckt der 89-Jährige seiner Hand zum Victory-Zeichen hoch.

Das Video nahm die Künstlerin Jane Korman auf. Ihr Vater, der 89-Jährige Adolek Kohn war im Konzentrationslager eingesperrt – und überlebte. Nach 62 Jahren kam er mit seiner Familie an den Ort zurück, wo er einem der größten Verbrechen an die Menschheit ausgesetzt war.

Auf der Videoplattform You Tube sahen schon über 470.000 Menschen das Video, die Diskussion überschlägt sich. Wilde Begeisterung auf der einen Seite, erschrockene und böse Kommentare auf der anderen. „Sie haben uns viel, viel Schmerz zugefügt“, schreibt ein Kommentator aus Polen. „Irgendwoher weiß ich, dass meine Verwandten, die nicht überlebt haben, auch tanzen“, schreibt ein anderer User und bedankt sich. „Das Video rührt uns zu Freudentränen“, „Dieses Video ist der äußerste Schlag ins Gesicht aller Nazis weltweit“, aber auch „Die Choreografie ist nicht ganz einheitlich“, sind weitere Meinungen zu dem vierminütigen Video.

Am Ende der Aufnahme hört man Kohn im Off, dass dies ein historischer Moment sei, dem britischen Radiosender BBC sagte er: „Es war wichtig zu tanzen, weil wir am Leben sind, weil wir überlebt haben.“ Leicht sei es ihr nicht gefallen, ihren Vater zu fragen, ob er dieses Video mit ihr drehen würde, so Kohns Tochter Korman: „Es war sehr unangenehm und schwierig, aber ich musste es tun.“ Mit einem Laptop hat die Familie das Video gedreht, dabei darauf geachtet, möglichst nicht zu nah bei anderen Menschen zu sein. „Aber als Besucher in unserer Nähe waren, gab es sehr überraschende Reaktionen; die Leute waren bewegt und holten ihre Videokameras raus und klatschten und applaudierten, das war eine große Überraschung“, sagts Korman der BBC.

Wie auch die Meinungen über Geschmack auseinander gehen, außer Frage steht, dass so eine Debatte über die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis ausgelöst wurde. Eindrücke eines Users wie der, dass „sie in Deutschland gerade versuchen, den Holocaust runterzuspielen oder ihn in den Schulen weniger zu behandeln“, können und werden so diskutiert. Ein anderer User glaubt, dass „solche Arbeiten die einzigen sind, welche die deutsche Bevölkerung aus ihrem Koma holen können, wenn es um ihre Vergangenheit geht.

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