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Ich habe verstanden: Matthias Kalle ärgert sich über Gewaltakzeptanz

Ein Mann gibt seiner vierjährigen Tochter eine "Schelle" - und viele haben auch noch Verständnis dafür. Diese Einstellung rüttelt an den Grundpfeilern unseres Zusammenlebens.

Ein Profifußballer des HSV warf am vergangenen Wochenende nach einem Bundesligaspiel eine Trinkflasche auf einen Fan, morgen spielt Hertha BSC im einem fast leeren Olympiastadion gegen den VfB Stuttgart - die Hertha-Fans haben eine Übertragung des Spiels in der Waldbühne organisiert, sie dürfen nicht ins Stadion, weil vor vier Wochen einige Besucher des Spiels gegen Nürnberg den Innenraum des Stadions stürmten und mit Latten auf die Auswechselbank der Hertha-Mannschaft einschlugen. Einer der Favoriten der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" ist vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung, das ist kein Geheimnis, sondern bekannt, trotzdem wählen ihn vor allem die jungen Zuschauer der Sendung Woche für Woche in die nächste Runde. Heute steht im Tagesspiegel, dass ein Mann wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt wurde. Der Grund: der Mann hat seine vierjährige Tochter geschlagen. Im Diskussionsforum dieser Seite ist eine Mehrheit auf der Seite des Mannes.

Es ist das Recht und auch die Pflicht des Kolumnisten, Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen, denn möglicherweise kommt man nur so einer Wahrheit nahe, von der man bis zum Schluss hofft, sie möge sich bitte als Lüge herausstellen. Der Wahrheit nämlich, das es eine Gewaltakzeptanz gibt, die an den Grundpfeilern unseres Zusammenlebens rüttelt. Einer dieser Grundpfeiler müsste doch eigentlich schlicht lauten: einem vierjährigen Mädchen tut man keine körperliche Gewalt an, völlig egal, ob diese Gewalt eine "Schelle", ein "Klaps auf dem Po" oder ein "rumschubsen" bedeutet. Warum das ein Grundpfeiler ist? Weil sich diejenigen, die das "verstehen", bitte einmal vorstellen, dass ihnen ihr Chef eine scheuert, weil man zu spät zur Arbeit gekommen ist. Oder dass sie von ihrer Frau gegen die Wand geschubst werden, weil sie vergessen haben, den Müll runterzubringen. Ist das in Ordnung?

Nein, das ist nicht in Ordnung, und wer das in Ordnung findet, bewegt sich an den Grenzen unseres Rechtsstaates, denn der besitzt das Gewaltmonopol, ausschließlich die staatlichen Organe haben die Legitimation zur physischen Gewalt - kein Fan, kein Lehrer, kein Vater. Das in der Vergangenheit geltende Recht von Eltern, gegenüber ihren Kindern zu Erziehungszwecken Gewalt anzuwenden, wurde mit der gesetzlichen Festlegung des Anspruchs des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung abgeschafft. Der Vater ist demnach völlig zu Recht verurteilt worden, und es spielt doch nun wirklich überhaupt keine Rolle, ob er seine Tochter grün und blau geprügelt hat, oder ihr "eine Schelle" verpasst hat - wobei "Schelle" auch nur ein Euphemismus ist für einen Schlag ins Gesicht. Der Vater hat gegen geltendes Recht verstoßen - es ist nicht so wahnsinnig schwer, das zu verstehen.

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