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Kein Platz für Radler. Wer in der russischen Hauptstadt Fahrrad fährt, geht ein hohes Risiko ein.

© Ullstein Bild - Raupach

Ignoranz: Moskauer Fahrradfahrer leben weiter gefährlich

Im Moskauer Straßendschungel gibt es jetzt einen Fahrradweg – doch die Autofahrer ignorieren ihn.

Von den rund 15 Millionen Einwohnern, die Moskau derzeit umfassen soll, besitzt jeder fünfte ein Fahrrad. In der Praxis nimmt man Radfahrer im Moskauer Straßenbild allerdings kaum wahr. Wer in der russischen Hauptstadt Fahrrad fährt, geht ein hohes Risiko ein. Rücksichtnahme gehört nicht zu den Tugenden Moskauer Autofahrer; so werden Fußgänger selbst auf Zebrastreifen regelmäßig von Rasern an die Seite gedrängt. So kam es auch nicht von Ungefähr, dass eine Wochenzeitung kürzlich ein mehrspaltiges Interview mit einem heldenhaften Beamten führte, der angeblich bereits seit 15 Jahren mit dem Rad zur Arbeit fährt.

Das Entwicklungsprogramm, das die Moskauer Stadtregierung Mitte August bestätigte, sieht dennoch vor, in den kommenden Jahren in der Hauptstadt ein Radwegenetz mit einer Länge von 70 Kilometern anzulegen. Entlang der Trasse sollen zudem 17 000 Parkplätze für all jene entstehen, die willens sind, auf ihrem Weg in die Innenstadt vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen. Denn die Radwege sollen nicht nur die Naherholungsgebiete am Stadtrand miteinander verbinden, sondern auch den Verkehr im Zentrum entlasten. Auch das Netz der derzeit noch eher seltenen Fahrradausleihstationen soll beträchtlich erweitert werden. Mit dem Plan will Moskau nicht zuletzt den vielen westlichen Fußballfans entgegenkommen, die zur Weltmeisterschaft im Jahr 2018 in der Stadt erwartet werden. Sogar ein spezieller Stadtplan für Radler ist geplant.

Mit dem ersten Radweg, der in diesen Tagen bereits für den Verkehr freigegeben wurde, wollen die Verkehrsplaner vor allem Erfahrungen sammeln. Die ersten Eindrücke lassen allerdings Schlimmes für das Projekt befürchten.

Eingerichtet wurde die Trasse nicht auf dem eigentlichen Wernadski-Prospekt, der Ausfallstraße Richtung Südwesten, sondern auf dessen „Double“. So heißen in Moskau Straßen, die parallel zur Fahrbahn verlaufen, damit der Verkehr auf ihnen fließen kann, wenn die Straße selbst für die Konvois von Spitzenpolitikern gesperrt wird. Ist die Fahrbahn frei, parken Anlieger auf dem „Double“ ihre Autos. Zwar ist die Trasse am Rande des Wernadski-Prospekts im Zuge des Pilotprojektes mit Schildern und Bildern, die ein Tretmobil darstellen, für jedermann eindeutig als Radweg gekennzeichnet worden. Die Falschparker zeigten sich bisher dennoch unbeeindruckt. Sie hoffen, dass der Regen die neu entstandenen Markierungen bald löschen werde.

Richtige Radwege würden ohnehin anders aussehen, nörgelte Igor Nalimow, der Chef des russischen Fahrradverbandes, in der Wochenzeitung „Moskowskije nowosti“. Nalimow verwies auf das Vorbild jener europäischen Großstädte, in denen die Routen der Radler durch Metallstäbe von der Spur der Autofahrer getrennt sind. Zudem liegt der Asphalt der Fahrradspur in diesen Vorzeigestädten leicht erhöht.

Lesen Sie auf Seite zwei: Verschärfte Bußgeldpolitik für mehr Rücksichtnahme.

Eine derart privilegierte Behandlung der Fahrradfahrer sei Zukunftsmusik, hieß es bei der Moskauer Verkehrspolizei. Dringender sei es, den Moskowitern Zucht, Ordnung und Respekt vor Zweiradfahrern beizubringen. Derzeit werden die Parksünder nur belehrt. Doch demnächst wollen es die Ordnungshüter bei einer bloßen Ermahnung nicht mehr bewenden lassen. Wer seine Rostlaube künftig auf dem Radweg abstellt, muss mit Bußgeldern von umgerechnet 50 Euro und kostenpflichtigem Abschleppen rechnen.

Das Abschreckungspotenzial hält sich allerdings in Grenzen, Einschlägigen Drohungen folgten bisher selbst im Winter, wenn Falschparker die Schnee-Abfuhr behindern, selten Taten.

Ohnehin tun sich viele Russen auch nach dem Ende der Mangelwirtschaft schwer damit, ein Umweltbewusstsein zu entwickeln. Ihre Autos waschen russische Männer nach wie vor gern im eigenen Hof – und noch lieber an fließenden Gewässern. Von Feinstaub-Plaketten, die etwa in zahlreichen deutschen Großstädten Pflicht sind, wissen in Moskau höchstens ein paar von der Masse als Spinner verlachte Intellektuelle etwas. Sie bilden auch den harten Kern der russischen Sektion der Umweltorganisation Greenpeace und einer grünen Partei. Russlands Grüne mussten sich allerdings auflösen, weil sie die vom Parteiengesetz geforderte Mindestzahl an Mitgliedern nicht vorweisen konnten. Daran scheiterte auch der Neugründungsversuch eines 2009 entlassenen hochrangigen Umweltschützers.

Zwar gründen sich immer wieder lokale Umweltbewegungen, um ökologisch bedenkliche Vorhaben in ihrer Region zu stoppen. So protestierten Aktivisten im Moskauer Umland gegen den Bau einer Autobahn, die durch einen Auenwald führt. Die Demonstrationen der Umweltschützer veranlassten Präsident Dmitri Medwedew zwar im letzten Jahr, den Bau vorübergehend zu stoppen. Unter dem Druck von Lobbyisten gab er dann dennoch grünes Licht.

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