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Der Chef von Novo Progresso. Ezequiel Castanha soll für die illegale Rodung von riesigen Flächen im Regenwald verantwortlich sein. Nun drohen ihm bis zu 46 Jahre Haft.

©  Juliano Simionato/Reuters

Illegale Regenwald-Abholzung in Brasilien: "König der Waldvernichter" verhaftet

Jahrelang hat Ezequiel Castanha Teile des Regenwalds abgeholzt und illegalen Handel betrieben. Nun wurde er gefasst – doch die Machenschaften in Brasilien gehen weiter.

Hier war er der Boss, hier hatte er mehr zu sagen als der Bürgermeister. So beschreiben die Bewohner von Novo Progresso den reichsten Mann des Ortes, Ezequiel Castanha. Nicht wenige bedauern, dass er nun hinter Gittern sitzt, er schuf ja Arbeitsplätze und machte Land urbar. Allerdings illegal, weshalb Castanha vor wenigen Tagen von der brasilianischen Bundespolizei festgenommen wurde. So meldeten es Medien rund um die Welt, die gerne den reißerischen Titel übernahmen, den Brasiliens Umweltbehörde Castanha verpasste: „König der Waldvernichter“.

Beschuldigt wird Castanha, der schon seit August gesucht wurde, sich aber in Novo Progresso ungeniert bewegte, verschiedener Verbrechen: illegale Rodungen, Bandenbildung, Geldwäsche. Er und seine Komplizen sollen allein im Jahr 2014 eine Fläche von mehr als 15 000 Fußballfeldern Regenwald zerstört und illegal verkauft haben. Spätestens seit 2006, so sagt es die Staatsanwaltschaft, sei die Bande um Castanha aktiv gewesen. Aber wie ist es möglich, dass jemand über Jahre hinweg eine kriminelle Operation von solchen Ausmaßen führt? Und das quasi öffentlich? Wie also funktioniert die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes durch Männer wie Castanha?

Castanha fing mit einem Supermarkt an

Zum Verständnis hilft zunächst ein Blick auf Novo Progresso, Castanhas Heimat. Die Gemeinde im abgelegenen Südwesten des riesigen Bundesstaats Pará hat 25 000 Einwohner. Sie entstand in den siebziger Jahren am Rande der Überlandstraße BR-163, die damals durch den Amazonaswald geschlagen wurde. Den größten Zuwachs erlebte der Ort 1984, als ein Goldrausch ausbrach.

Castanha besaß in Novo Progresso zunächst einen Supermarkt, vertrieb Autos, hatte ein Hotel, ganz legal. Daneben betrieb der hochaufgeschossene füllige Weiße noch ein zweites Geschäft. Er und weitere Unternehmer ließen große Flächen öffentliches Land entlang der BR-163 von einer Bande besetzen: Tagelöhner, landlose Kleinbauern, Goldsucher, Holzfäller, Pistoleiros. Das ist eine übliche Praxis in den dünn besiedelten Regionen des brasilianischen Nordens, die man durchaus mit dem Wilden Westen vergleichen kann. Reiche Männer, zumeist Großgrundbesitzer, halten sich Privatarmeen, gegen welche die lokalen Behörden machtlos sind – oder sein wollen. Die Hauptstadt Brasilia mit ihren Gesetzen ist weit weg, im Amazonas herrschen eigene Regeln, so die Denkweise.

Umweltpolizisten berichten von Drohungen

Viele Siedler in der Amazonasregion, die mit dem Bau der Überlandstraßen gekommen sind, nehmen den Wald lediglich als Ressource wahr, die man aggressiv ausbeuten darf, ja muss. Sie reden von der „Nutzungmachung unproduktiven Landes“. Wenn man dann mit Umweltpolizisten spricht, so fühlen diese sich alleingelassen, berichten von Ohnmacht und Drohungen. Tatsächlich werden insbesondere im Bundesstaat Pará immer wieder Umweltschützer und Kleinbauern umgebracht, die sich gegen die Waldzerstörung wehren, etwa die Sammler von Paranüssen.

Wenn Castanhas Leute entlang der BR-163 eine Landbesetzung abgeschlossen hatten, fällten sie die wertvollen Bäume und verkauften sie. Die restliche Vegetation brannten sie nieder oder ließen sie von Bulldozern einebnen. Dabei machten sie auch vor Indianergebieten nicht halt, die in Brasilien zumindest auf dem Papier strengen Schutz genießen. War das Land einmal „gesäubert“, wie man in Brasilien sagt, wurde es verkauft, zumeist als Weidefläche an Viehhalter. Die Rinderzucht ist der größte Wirtschaftszweig rund um Novo Progresso, 3,5 Millionen Rinder grasen hier.

Das System mit den Grillen

Die Landtitel fälschte Castanhas Bande mit einer bekannten Methode, sie wird in Brasilien grilagem genannt. Dabei werden falsch ausgestellte Verträge mit lebenden Grillen in eine kleine Kiste gesteckt. Der Kot der Insekten verleiht dem Papier einen Gelbton, außerdem fressen sie es an. So entsteht der Eindruck eines alten Dokuments. Die Männer, die diese Praxis ausüben, heißen in Brasilien Grileiros. Castanha gilt nun als ihr größter, laut Umweltbehörde fanden in Novo Progresso die schlimmsten illegalen Abholzungen in Brasilien statt. Für einen gefälschten Landtitel sollen Castanha und seine Kumpane umgerechnet bis zu sieben Millionen Euro kassiert haben, das Geld wuschen sie in ihren angeblich legalen Geschäften. Nun drohen Castanha bis zu 46 Jahre Haft, außerdem fordert die brasilianische Umweltbehörde umgerechnet 17 Millionen Euro an Strafzahlungen.

Legale Waldvernichtung ist noch schlimmer

Was nun jedoch als großer Erfolg für den Schutz des Regenwaldes erscheinen mag, kann nur ein Anfang sein. Zu viele kleine und große Castanhas gibt es in Brasilien, sie sind meist gut mit der lokalen Politik vernetzt. Die größte Gefahr geht aber ohnehin nicht von den Grileiros aus, sondern vom brasilianischen Gesetzgeber selbst. Die neue Agrarministerin Katia Abreu will Indianerreservate und Schutzgebiete weiter für die industrielle Nutzung öffnen. Insbesondere die Flächen für den Anbau von Soja sollen ausgeweitet werden. Auch immer neue Wasserkraftwerke werden im Amazonasbecken geplant, um den Energiehunger insbesondere der Aluminiumindustrie zu stillen. Es ist die legale Waldvernichtung, welche den Regenwald mindestens ebenso bedroht wie Männer wie Castanha.

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