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Dr. Motte, Erfinder der Loveparade.

© dpa

Im Interview: Dr. Motte: "Schaller ist genauso verantwortlich wie Sauerland"

Ein knappes Jahr nach dem Unglück in Duisburg fordert Dr. Motte, Erfinder der Loveparade, Taten statt Worte von Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland und äußert sich zur Zukunft des Events.

Dr. Motte, ein knappes Jahr nach der Loveparade mit 21 Toten hat Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland die moralische Verantwortung für die Tragödie übernommen. Sie sind Gründer und ehemaliger Veranstalter der Parade. Wie bewerten Sie Sauerlands Vorgehen?

Ich denke aus der Sicht der Opfer kommt das entschieden zu spät. Ich sehe nicht, dass Herr Sauerland irgendwelche ernst gemeinten Konsequenzen zieht und frage mich, warum die Duisburger CDU-Fraktion weiterhin hinter ihm steht.

Wie sollte Sauerland Ihrer Meinung nach handeln?

Natürlich kann man nichts ungeschehen machen. Aber statt jetzt zu reden könnte er Taten folgen lassen. Die Hinterbliebenen und Verletzten sollten das Opferentschädigungsgesetz mit Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen. Da sind Leute, die sind für Ihr ganzes Leben traumatisiert.

Stichpunkt Staatsanwaltschaft. Die hat nun verlauten lassen, dass die Loveparade in Duisburg nicht hätte genehmigt werden dürfen.

Die Staatsanwaltschaft Duisburgs war selbst an der Vorbereitung beteiligt. Wer richtet da wen?

Sauerland selbst und der Chef des Veranstalters Lopavent, Rainer Schaller, gehören nicht zu den 16 Personen, gegen die ermittelt wird.

Herr Schaller ist genauso verantwortlich wie Herr Sauerland. Es geht nicht an, dass er sich da rauszieht. Im Gegensatz dazu halte ich überzogene Kritik an Polizei und Rettungskräften nicht für angebracht, die Fehler wurden bereits vorher gemacht. Herrn Schaller wünsche ich viele gute Erkenntnisse.

Die Marke Loveparade wurde verkauft, begann damit nicht schon eine Fehlentwicklung?

Als die Loveparade Berlin GmbH im November 2005 verkauft wurde, hätte ich das durch mein Veto verhindern können. Damit wäre die Loveparade schon damals zu Ende gewesen. Mein Interesse war aber, dass diese Kulturveranstaltung für nachfolgende Generationen erhalten bleibt. Wie sich das in so kurzer Zeit entwickeln würde, war damals nicht abzusehen. Wohl aber nach der Parade 2006, nach der ich mich auch von der gesamten Veranstaltung distanzierte.

Wie denken Sie jetzt darüber?

Seit dem Unglück bin ich sehr traurig darüber, wie ich mich 2005 entschieden habe. So wären diese 21 armen Menschen nicht gestorben, die unzähligen anderen nicht verletzt oder traumatisiert worden. Die Loveparade wäre für immer als das in Erinnerung geblieben, was sie wirklich war: eine gigantische Jugend-Friedens-Demonstration.

Glauben Sie, dass es jemals wieder eine Loveparade – wo auch immer – geben wird?

Diese Frage stellt sich mir momentan gar nicht. Die körperlichen und seelischen Schäden der Opfer, Angehörigen und aller Beteiligten sind groß, Spätfolgen in vollem Umfang noch gar nicht abzusehen. Die Trauerarbeit hat gerade erst begonnen. Das Unglück ist gerade mal ein knappes Jahr her! Vor allem Anderen sollte der Fokus ganz klar auf der schnellen und gründlichen Aufarbeitung und Aufklärung liegen. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal darauf hinweisen, dass sich bitte alle Opfer einen Anwalt nehmen sollen und das Opferentschädigungsgesetz in Anspruch nehmen.

Wird durch das Unglück von Duisburg 2010 eine ganze Szene dauerhaft in Verruf bleiben?

Ganz abgesehen von der Loveparade ist es doch so, dass in Berlin im Sommer fast jedes Wochenende  Demos oder Paraden stattfinden, die von unterschiedlichster elektronischer Musik begleitet werden, zu der Menschen durch die Straßen tanzen und darüber hinaus haben diese Umzüge auch noch ernste gesellschaftliche oder politische Themen. Mittlerweile gibt es verschiedene Initiativen, die versuchen aus eigener Kraft eine Loveparade weiterzuführen.

Wie bewerten Sie das?

Auf der einen Seite zeigt das zwar ganz klar, dass ein riesiger Bedarf da ist, auf der anderen Seite stehe ich diesen Anstrengungen mehr als skeptisch gegenüber. Wer hat denn überhaupt die Kompetenz so eine Massenveranstaltung durchzuführen? Auf Social-Network-Plattformen wird bereits für konkrete Termine geworben. Und wie so eine Geschichte schon bei weniger bedeutenden Veranstaltungen wie z. B. dem Geburtstag eines Teenagers ausarten kann, durften wir kürzlich erst in der Presse verfolgen. Also wer kann für so eine unvorhersehbare Sache die Verantwortung übernehmen? Das Unglück hat die Szene ganz klar polarisiert. Die Gegner streiten sich mit den Befürwortern. Wie soll da der Spirit und das Lebensgefühl von „We are one family“ gefeiert werden? Das ist doch paradox!

Gab es nicht auch zu Berliner Zeiten Sorgen um die Sicherheit?

Als die Parade zu groß für den Ku’damm wurde, sind wir in den Tiergarten gezogen. Für uns stand Sicherheit immer an erster Stelle. Musikkultur ist für mich ohnehin Frieden unter dem Schirm der Musik. Da muss die Sicherheit einfach gewährleistet sein.

Dr. Motte ist Gründer und ehemaliger Veranstalter der Loveparade. Heute arbeitet er als DJ. Das Gespräch mit ihm führte Nik Afanasjew.

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