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Trügerisches Idyll. Auf Kamtschatka sollen derzeit knapp 18.000 Braunbären leben.

© Igor Shpilenok

Im Osten von Russland: Braunbären greifen immer mehr Menschen an

Bären werden ganz im Osten Russlands zunehmend zur Plage – auch weil sie sich immer häufiger in Siedlungen wagen und die dort die Menschen attackieren.

Die Bewohner von Krasnoje im entlegenen Osten Russlands fürchten selbst am hellen Tag und mitten auf der Dorfstraße um ihr Leben. Bären treiben ihr Unwesen in allernächster Nähe, dort, wo der Fluss Amur in den Pazifik mündet. Und sie werden immer dreister. Seit Anfang Juli wagen sie sich sogar in die Siedlung. Nach dem Tod eines Menschen rief der Gouverneur der Region Chabarowsk den Notstand aus. Sondereinheiten der Polizei machen Jagd auf die Raubtiere. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Vor allem auf der Pazifikhalbinsel Kamtschatka sind die Bären zu einer regelrechten Plage geworden.

Dort ist die Lage so ernst, dass die Leitung des Kronozki-Naturreservats sich sogar gezwungen sah, einen Art Knigge für Begegnungen mit Braunbären in freier Wildbahn herauszugeben. Er besteht aus lustigen bunten Bildchen im Comic-Stil und kurzen knackigen Sprechblasen mit den wichtigsten Benimmregeln. Regel Nummer eins lautet: Füttere nie einen Bären. Denn er gewöhnt sich schnell daran, erwartet fortan von allen Menschen Essen und holt sich dieses notfalls mit Klauen und Zähnen. Das sollte man wörtlich und verdammt ernst nehmen, wie die jüngsten Vorfälle zeigen. Schon kurz nachdem der Wildpark an der Ostküste Kamtschatkas in diesem Jahr für die Besucher öffnete, gab es den ersten Bärenangriff auf einen Menschen.

Die auf der Halbinsel beheimatete Unterart ist größer und schwerer als Grizzlybären. Die Tiere werden bis zu drei Meter lang und bringen bis zu 700 Kilogramm auf die Waage. Insgesamt sollen auf Kamtschatka – mit 370 000 Quadratkilometern etwas größer als Deutschland – derzeit 17900 Bären leben, auch wenn einige durch illegale Jagd immer wieder getötet werden. Hunderte Erholungssuchende zieht es an den Wochenenden aus der Halbinsel-Hauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatka in die Bären-Region an den nahen Plotnikow-Fluss. Zum Picknick, zum Wildwasser-Rafting, vor allem aber zum Fischen: Lachse nutzen ihn als Laichplatz und ziehen dann flussaufwärts.

Klimawandel und Aggressionen

Doch die Lachse sind nach Einschätzung von Experten auch ein Grund für die zunehmende Bedrohung durch die braunen Riesen. Weil sich die Laichzeit der Lachse in diesem Jahr verspäte, seien die Bären gezwungen, anderes Futter zu suchen, heißt es. Ein anderes Problem ist der Klimawandel. Da dieser in Sibirien bereits zu einer spürbaren Erwärmung geführt hat, unterbrechen Bären immer häufiger ihren Winterschlaf oder beenden ihn vorzeitig. Dadurch, warnen Experten, seien die Tiere zunehmend gestresst, werden aggressiv und greifen auch Menschen an.

Zwei Freunden wurde das zum Verhängnis, als sie das Dickicht am Ufer auf der Suche nach einem guten Angelplatz durchkämmten. Einer kam dabei offenbar einem Bären in die Quere und kannte die Regel Nummer zwei aus dem Bären-Knigge nicht: Krach machen, was das Zeug hält. Denn Bären scheuen im Prinzip den Menschen und versuchen, Begegnungen mit ihm zu vermeiden. Der Mensch muss ihm dazu jedoch eine Chance geben. Aufgrund der vielen Vorfälle in diesem Jahr ermitteln Fahnder der regionalen Behörden, und sogar überregionale Medien im 7000 Kilometer entfernten Moskau berichten ausführlich.

In letzter Zeit, sagt Nadeschda Beljakowa, die den Verhaltenskodex beim Umgang mit Bären verfasst hat, würden sich dessen Begegnungen mit Menschen „dramatisch häufen“ und für diese fast immer „tragisch enden“. So, wie letzten Oktober für einen Schrottsammler aus dem Gebiet Tomsk in Westsibirien. Er wurde auf einer Mülldeponie von einem Bären angegriffen. Zwar versuchte er, diesen mit dem Gehäuse eines abgewrackten Computers abzuwehren. Doch der Bär riss ihm dabei einen Arm ab.

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