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Im Zweifel: Welche Folgen hat Kachelmanns Entlassung?

Kein dringender Tatverdacht: Jörg Kachelmann wurde nach vier Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen. Welche Folgen hat das?

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Mit einem weißen Sweatshirt bekleidet, trat der Wettermoderator in die Freiheit. Ein Anflug der Rührung huschte über sein glatt rasiertes Gesicht, langsam schien ihm klar zu werden: Er ist in Freiheit. Er drängte sich nicht vor, um etwas zu sagen, allein sein Anwalt sprach. „Die Unschuldsvermutung ist wieder auferstanden“, sagte Reinhard Birkenstock.

Warum ist Kachelmann jetzt frei?

Die Richter haben der Haftbeschwerde des Moderators stattgegeben, weil kein dringender Tatverdacht mehr bestehe, teilte das Oberlandesgericht Karlsruhe am Donnerstag mit. Es stehe Aussage gegen Aussage. Die einzige Belastungszeugin, zugleich Nebenklägerin, habe einige unzutreffende Angaben gemacht, sowohl zur Vorgeschichte der angeblichen Vergewaltigung als auch zum Randgeschehen. Die Verletzungen könnte sie sich auch selbst beigebracht haben. Für denkbar hielt das Gericht auch, dass die Frau Kachelmann bestrafen will. Sie hatte herausgefunden, dass Kachelmann mehrere Beziehungen gleichzeitig unterhielt. Er kann immer noch verurteilt werden, aber die Wahrscheinlichkeit ist damit beträchtlich gesunken. Er steht jetzt nur noch unter hinreichendem Tatverdacht, was für die Eröffnung des Hauptverfahrens ausreicht, aber keine Untersuchungshaft mehr begründen kann.

Ist das eine Neubewertung des Falles?

Das Landgericht Mannheim hatte zuvor eine Haftentlassung abgelehnt. Es ist ein schwerer Schlag für das Landgericht. „Das Oberlandesgericht Karlsruhe bewertet die Sache deutlich anders“, sagte der Regensburger Strafrechtler Professor Henning Ernst Müller. Der Berliner Strafrechtler Professor Klaus Rogall spricht von einem „Warnschuss“ gegenüber der Mannheimer Staatsanwaltschaft. Sie müsse jetzt etwas Zusätzliches finden, damit Kachelmann verurteilt werden könne. Das bisher Vorliegende reiche seiner Einschätzung nach nicht aus, sagte Rogall. Der Berliner Strafrechtsanwalt Ulrich Wehner spricht von einem „sehr deutlichen Signal“ zugunsten Kachelmanns.

Was heißt das für den Prozess und die Staatsanwaltschaft?

Das Vorgehen des Mannheimer Staatsanwalts Lars-Torben Oltrogge ist von mehreren Seiten kritisiert worden. Er hatte Anklage erhoben, obwohl das von ihm bestellte Gutachten der renommierten Bremer Psychologin Luise Greuel noch nicht vorlag. Oltrogge selbst wollte sich dazu am Donnerstag nicht äußern; auch die Staatsanwaltschaft Mannheim gab keine Auskünfte. Der Berliner Strafverteidiger und Strafrechtsprofessor Alexander Ignor sieht Oltrogges Vorgehen kritisch: „Anklagen darf man ja erst, wenn ausermittelt ist“, sagte er. „Wenn Gutachten fehlen, ist nicht ausermittelt.“ In diesem Falle halte er eine Anklage für voreilig. Die Frage der Glaubhaftigkeit einer Aussage sei im Strafverfahren eine der schwierigsten überhaupt. Gerade die Konstellation Aussage gegen Aussage stelle hohe Anforderungen an die Prüfung des Gerichts.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach der Freilassung hat das Landgericht Mannheim den Prozessbeginn am 6. September infrage gestellt. Jetzt, da Kachelmann frei ist, könnte sich der Prozessbeginn verzögern. Es wird aber in jedem Fall zu einer Hauptverhandlung kommen. Unklar ist nur, ob Kachelmann auch erscheinen wird. Denn sollte er an seinen Schweizer Wohnsitz zurückkehren und nicht zur Verhandlung erscheinen, ist die Schweiz nicht verpflichtet, ihn an Deutschland auszuliefern. Die deutschen Behörden könnten die Schweiz bitten, das Verfahren stellvertretend im eigenen Land zu führen. Außerdem besteht die Möglichkeit, ein in Abwesenheit von Kachelmann gefälltes Urteil eines deutschen Gerichts in der Schweiz vollstrecken zu lassen.

Welche Widersprüche gibt es in dem Fall? Das angebliche Opfer sagt aus, von Kachelmann mit einem Tomatenmesser bedroht und vergewaltigt worden zu sein. Die Gegenseite sagt, die Frau habe sich die Vergewaltigung ausgedacht, um sich an Kachelmann zu rächen. Zahlreiche Medien hatten sich in den vergangenen Wochen stark in dem Fall engagiert und teils ihre, teils seine Partei ergriffen. Dabei waren sie offenbar von Prozessparteien gefüttert worden.

Rechtsanwalt Christian Schertz kritisierte das Vorgehen von Medien und Staatsanwaltschaft im Falle Kachelmann. „Auch dieser Fall zeigt wieder, wie die überstürzte Information der Öffentlichkeit einen ganzen Lebensentwurf zerstören kann“, sagte Schertz. „Wenn Kachelmann freigesprochen wird, dann wird eine Diskussion zu führen sein, wie mit personenbezogenen Daten umzugehen ist.“ Die Staatsanwaltschaft habe die Sache nicht nur zu früh öffentlich gemacht, sondern auch zu viele Details verbreitet. „Man darf nicht vergessen: Das sind Ermittlungsverfahren, da geht die Unschuldsvermutung vor dem öffentlichen Interesse an Berichterstattung, aber leider hat sich das in der Medienrepublik umgedreht.“ Gerade Prominente könnten sich faktisch nicht gegen die Vorverurteilung wehren, und leider sei auch niemand da, der sie effektiv schütze.

Wieso gibt es so viele Gutachten?

Sowohl die Verteidigung als auch die Anklage haben mehrere Gutachten veranlasst. Kritiker sprechen von einer „Gutachteninflation“. Das am meisten diskutierte Gutachten stammt von Luise Greuel. Ihm wurde zunächst entnommen, dass die Aussage des vermeintlichen Opfers bei der Schilderung der Vergewaltigung nicht einmal „die Mindestanforderungen an die logische Konsistenz, Detaillierung und Konstanz“ erfülle. Später wurde eine andere Passage bekannt, wonach aus ihrer Analyse nicht abgeleitet werden könne, dass es sich bei der behaupteten Vergewaltigung um eine bewusste Falschaussage handle.

Kehrt er zurück ins Fernsehen?

Theoretisch darf Jörg Kachelmann nach seiner Entlassung wieder auf den Bildschirm zurückkehren. Von einer Auflage, die eine Arbeitsaufnahme einschränken würde, sei ihr nichts bekannt, sagte Stefanie Völker, Richterin am Landgericht Mannheim. Trotzdem wird Kachelmann zumindest vorerst nicht den Abzug von Sturmtiefs beim „Wetter im Ersten“ ankündigen. „Wir warten das schwebende Verfahren ab“, sagte ein Sprecher der ARD-Programmdirektion. „Durch die Aufhebung des Haftbefehls ist für uns keine neue Ausgangslage entstanden.“ Kachelmann hatte in der ARD bis zu seiner Festnahme am 20. März fünf bis sechs Tage im Monat das Wetter um 19.50 Uhr sowie in den „Tagesthemen“ und dem „Morgenmagazin“ präsentiert. Erst nach dem Prozess werde die ARD entscheiden, ob der Wettermoderator auf den Bildschirm zurück darf, sagte der ARD-Sprecher. Kachelmanns Sponsoren haben sich öffentlich nicht von ihm distanziert – doch neues Gesicht für den Joghurt-Drink, für den er im Fernsehen warb, ist Ex-Tennisspielerin Steffi Graf.

Was ist mit seiner Wetterfirma?

Die Zusammenarbeit der ARD mit Kachelmanns Firma Meteomedia, die ihren Sitz im schweizerischen Gais und in Bochum hat, ist dagegen nicht vom Prozess abhängig. „Die Zusammenarbeit läuft reibungslos“, sagte der ARD-Sprecher. Zurzeit moderieren Claudia Kleinert, Sven Plöger und Alexander Lehmann im Wechsel das „Wetter im Ersten“. Hinter den Kulissen von Meteomedia soll es jedoch ordentlich krachen, wie der „Stern“ berichtet: Kachelmanns Geschäftspartner Frank B. Werner, der wie Kachelmann Verwaltungsrat von der Jörg Kachelmann Produktions AG und der Meteomedia AG ist, fordere, dass zwischen Kachelmann und den Unternehmen eine „Brandschutzmauer“ gezogen werde, damit Kachelmanns „miserabler Ruf“ die Geschäftsergebnisse nicht gefährde. Meteomedia will sich zu dem angeblichen Streit nicht äußern. Kachelmann hatte Meteomedia 1990 gegründet und damit den Markt der Wetterdienste revolutioniert. Seine Firma ist inzwischen einer der größten Wetterdienstleister in Europa.

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