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Panorama: "Imageering": Wer traut heute schon noch seinen Augen?

Es gibt Themen, die bescheiden klingen und doch so komplex sind, dass man sich in ihnen lieber gar nicht erst verlieren möchte. "Sprache", "Wahrheit" oder "Bild" sind solche Themen.

Es gibt Themen, die bescheiden klingen und doch so komplex sind, dass man sich in ihnen lieber gar nicht erst verlieren möchte. "Sprache", "Wahrheit" oder "Bild" sind solche Themen. Allerorten ist von einer "Visualisierung" der Kultur die Rede, von der Bilderflut. Piktogramme ersetzen Wörter, wir erleben die Welt via Monitor. Der Trend geht dahin, alles sichtbar zu machen, und obwohl wir Bildern misstrauen, nehmen wir sie - vom Fötus im Ultraschall, zu Chromosomen unterm Mikroskop bis zum Privatleben über Webcam - als Garant für Wirklichkeit. Höchste Zeit, die Funktion von Bildern im digitalten Zeitalter zu untersuchen.

Warner vor dem Bildersumpf

Vor allem auf die gesellschaftliche und politische Wirkung neuer Bildtechnologien hat es Tom Holert in "Imageering" abgesehen, dem von ihm herausgegebenen Band des Jahrbuchs für moderne Kunst. Wenn "engineering" die Kunst des Maschinenbaus ist, so bezeichnet der Neologismus "imageering" die technische Produktion von gesellschaftlichen Vorstellungen. Eine gewisse Ironie klingt im Titel mit, denn "imageers" sind jene Designer und Multimedia-Spezialisten, die Disneyland entworfen haben. Holert ist weder "Bildersumpf-Mahner" noch Sichtbarkeits-Euphoriker. Ihm geht es in seiner an Michel Foucault orientierten Fragestellung um eine kritische Beschreibung der Wirkungsweisen und der gesellschaftlichen Inszenierung von Sichtbarkeit. Dies sei keine Reprise, wohl aber "eine Erneuerung von Repräsentationskritik".

Am Beispiel einer Indienreise Bill Clintons analysiert Holert die "Foto opportunities" (Foto-Gelegenheiten), nach denen das Weiße Haus die Reiseplanung arrangiert. Clinton erscheint als Super-Tourist, Indien selbst wird zur Staffage, zum Themenpark. Dass hier alles Kulisse ist, weiß natürlich jeder. Der Witz an der Sache liegt darin, dass Bilder trotzdem wirken. Während Sprache negieren und Distanz herstellen kann, wirken Bilder unmittelbar. "Das Durchschauen von Inszenierungen oder Manipulation verhindert nicht, dass sie in den Ordnungen des Symbolischen und Imaginären wirksam werden", schreibt Holert.

Es reicht also nicht mehr aus, die Illusion als Illusion zu entlarven, man muss zeigen können, in welcher Art von "symbolischer Fiktion" wir uns bewegen und wie es geschieht, "dass man Bill Clinton trotz seiner peinlichen Rolle in der Lewinsky-Affäre inmitten der weiblichen Mitglieder eines indischen Ortsrates als Präsidenten der USA wahrnimmt." Die Diskussion über die Ideologie der Bilder wird besonders virulent am Beispiel des Krieges.

In dem mit Abstand besten Essay des Bandes hält Mark Terkessidis die Bildführung der Golfkriegsberichterstattung gegen die des Nato-Bombardements auf Jugoslawien. Im Golfkrieg hatten die Kameras die technische Perspektive der Bomben eingenommen, während in den Berichten über den Kosovo-Einsatz Gesichter im Vordergrund standen, die Gesichter der Flüchtlinge. "Der Fernsehzuschauer erblickte den Raum des stattfindenden Traumas indirekt - durch die Augen der Opfer." Zu Zwecken der Legitimation werde das Grauen ins Bild gesetzt und die Berichte über Massengräber sollten den Vergleich der serbischen Aggression mit dem Holocaust rechtfertigen. Später allerdings habe sich die Zahl der hunderttausend Toten auf "etwa 2100 gefundene Leichen" reduziert, fügt Terkessidis an. Mit weniger als dem Holocaust geben wir uns nicht mehr zufrieden.

Wir leben, so lautet Terkessidis These, in einer "Kultur der Wunde", die Öffentlichkeit und Intimität vermischt und mit Vorliebe den Schmerz ausstellt. "Das Trauma ist mittlerweile attraktiver als die Revolution." Renata Salecls vergleicht in ihrem Beitrag, "Das Gespenst der Transparenz", Angstbewältigungsstrategien beim Militär mit denen der zivilen Gesellschaft.

Während man versucht, die Kriege zunehmend "aseptisch" zu führen, den konkreten Feind unsichtbar zu machen, herrscht in der zivilen Gesellschaft eine Manie der Transparenz. "Die heutige Gesellschaft sucht nach Wegen, um alles sichtbar zu machen, damit es nichts mehr gibt, wovor man Angst haben müsste." Doch die Rechnung, so Salecl, geht nicht auf. Soldaten, die den Gegner nicht sehen, entwickeln eigene "Tötungsphantasien", und es entstehen hinterrücks immer neue Ängste vor etwas Unsichtbarem. "Während uns die Ideologie vorgaukelt, unsere Gesellschaft sei wie ein offenes Buch, können sich die Menschen des Eindrucks nicht erwehren, dass jemand anderes hinter ihrem Rücken die Fäden zieht."

Das Gefühl der Angst - oder in psychoanalytischer Lesart: des Mangels - ist nicht aufzuheben. Der vorliegende Sammelband, der unter anderem Essays zu politischen Strategien der Sichtbarkeit in der Homosexuellenbewegung (Cristina Nord), zur Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst angesichts digitaler Techniken (Diedrich Diederichsen), zur Belgrader Kunstszene der Neunzigerjahre (Branislava Andjelkovi¿c und Branislav Dimitrijevi¿c) enthält, will eine hierzulande wenig bekannte Forschungsrichtung vorstellen: die "Visual Cultures" oder "Visual Studies".

Neigung zum Jargon

"Imageering" versteht sich nicht als systematische Abhandlung, gibt aber einen Überblick über Themen und Fragestellungen im Rahmen dieses Forschungsfeldes. Interessant ist das Spektrum der Texte, schön zu lesen sind sie nicht. Die verbreitete Unkultur der Kulturwissenschaften, sich hinter möglichst komplexen Worttürmen zu verschanzen, macht auch vor dieser Publikation nicht halt. Vor allem die jedem Kapitel angefügten "E-mail-Interviews" mit namhaften Theoretikern sind "Insidergespräche" und bisweilen völlig unverständlich.

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