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Kabelsalat. Ein Elektriker repariert Leitungen über einer Straße. Foto: dapd

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Panorama: In der Stromfalle

Nach dem großen Ausfall versucht Indiens Energieminister der Krise auch Gutes abzugewinnen.

Glaubt man Indiens Zeitungen, war es der größte Blackout der Weltgeschichte. Und er legte schonungslos eine der großen Schwachstellen der aufstrebenden Wirtschaftsmacht Indien bloß – die hoffnungslos überlastete Infrastruktur. Anfang der Woche war das Riesenland gleich zwei Mal von gigantischen Stromausfällen heimgesucht worden.

Inzwischen hat Indien wieder Strom, aber die Kritik an der Regierung bleibt. Diese weiß der Krise auch Positives abzugewinnen. „Sie sollten uns bewundern“, sagte der für die Pannen verantwortliche Energieminister Sushilkumar Shinde. Selbst die USA hätten bei einem Blackout im Jahr 2003 länger gebraucht, um ihr Netz zu reparieren als die Inder, die das in „einigen Stunden“ geschafft hätten, behauptete Shinde.

„Einige Stunden“ – das ist keine sehr genaue und keine sehr richtige Zeitangabe. Zuletzt waren 20 der 28 Bundesstaaten und 600 bis 700 Millionen Menschen betroffen – mehr als die Hälfte der indischen und fast zehn Prozent der Weltbevölkerung. Bergleute saßen unter Tage fest, Ampeln fielen aus, U-Bahnen und Züge standen still. In einem Hospital mussten Ärzte sogar im Schein von Taschenlampen operieren, weil der Generator streikte. Auch die Wasserversorgung brach zusammen.

Das Schwellenland, das um Investoren buhlt, muss einen Imageschaden fürchten, und das in einer Zeit, in der die Wirtschaft stockt. „Supermacht Indien, Ruhe in Frieden“, stichelte die „Economic Times“. Die Stromausfälle schürten Zweifel an Indiens wirtschaftlichem Aufstieg, meinte auch die „Washington Post“. Der Direktor des Industrieverbandes CII, Chandrajit Banerjee, sprach von einem „riesigen Kratzer“ für Indiens Ansehen.

Doch die Probleme reichen tiefer. „Indiens hoffnungsloses Stromszenario ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Landes gewesen“, schrieb die „Mail today“. Das Riesenland hungert nach Energie. Doch das Angebot hält nicht mit dem rasant steigenden Bedarf mit. Und das obwohl 300 bis 400 Millionen Inder noch nicht mal einen Stromanschluss haben.

Viele geben der Politik Schuld an der Misere. Indien hängt überwiegend von der Kohle ab. Zwar will die Regierung Atom- und Wasserkraft pushen, aber die Ausbaupläne kommen schleppend voran, auch weil Proteste von Anwohnern den Bau von Anlagen bremsen. Dazu kämen „schäbiges Management“ und schlechte Instandhaltung. Den Behörden fehle das Geld, um das marode Netz zu modernisieren. So erhalten viele Bauern kostenlos Strom. Auch Stromdiebstahl ist gang und gäbe. Es ist fast Volkssport, beim Nachbarn oder aus einer der überall herumbaumelnden Leitungen Strom abzuzapfen, selbst Fabriken leiten sich illegal Strom zu. Laut Medien hat Indien zwar eine Stromkapazität von 200 000 MW. Doch 25 bis 40 Prozent des Stroms gingen durch Stromdiebstahl und Übertragungsverluste verloren.

Auch akute Engpässe bei der Kohle sollen nun zum Kollaps beigetragen haben. So hat Indien zwar die fünftgrößten Kohlereserven der Welt, aber Gesetze bremsen neue Minen. Als Folge hätten zehn Prozent der Kohlekraftwerke im Moment keine Kohle, sagte der Experte U. Kumar der „Washington Post“. „Wir sehen einem beängstigenden Szenario entgegen.“

Die Blackouts waren in dieser Dimansion zwar eine Ausnahme. Doch Indien leidet an einem chronischen Energiedefizit. Vor allem in den Sommermonaten, wenn die Klimaanlagen gegen die Gluthitze ankühlen und der Bedarf hochschießt, kommt es zu Engpässen. Dann kämpft selbst die Hauptstadt Neu-Delhi, die sonst gut dasteht, mit Stromausfällen von bis zu zwei Stunden. Auf dem Lande sind sogar zwei bis sechs Stunden am Tage üblich.

Krankenhäuser, Flughäfen, Hotels, Unternehmen und viele Privatleute, die es sich leisten können, sorgen längst selbst vor – sie betreiben als Back-up teure Generatoren. Eines tröstet manche Inder: Im verfeindeten Nachbarstaat Pakistan sieht es viel schlimmer aus. Dort sind Stromausfälle von zehn und mehr Stunden nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dass es auch anders geht, zeigt der indische Bundesstaat Gujarat. Dort gibt es fast 24 Stunden Strom. Regierungchef ist der umstrittene Narendra Modi von der Hindu-Partei BJP, dem man vorwirft, das Massaker an Muslimen 2002 gedeckt zu haben – der aber zugleich als einer der effektivsten Politiker des Landes gilt.

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