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Panorama: In Virginia läuft ein Modellversuch - National Rifle Association und Clinton gemeinsam gegen Kriminalität

Genau ein halbes Jahr ist es her, da zuckte Amerika zusammen. Eric Harris und Dylan Klebold waren in schwarze Trenchcoats gekleidet in ihre High School "Columbine" marschiert, hatten aus einem Arsenal halbautomatischer Waffen um sich geschossen und Dutzende Bomben gelegt.

Genau ein halbes Jahr ist es her, da zuckte Amerika zusammen. Eric Harris und Dylan Klebold waren in schwarze Trenchcoats gekleidet in ihre High School "Columbine" marschiert, hatten aus einem Arsenal halbautomatischer Waffen um sich geschossen und Dutzende Bomben gelegt. 14 Schüler und ein Lehrer starben in der Kleinstadt Littleton vor den Toren von Denver im US-Bundesstaat Colorado. Columbine ist längst zum Synonym geworden. Der Name der Schule, die im September wieder eröffnet wurde, steht für Gewalt, die in den weißen Vorstädten der Mittelschicht wütet, und für eine Generation amerikanischer Teenager, die Wohlstand, Horrormovies und Gruftie-Kulte haben, Ziele, Werte oder Überzeugungen aber nicht.

Columbine hat Amerika aufgerüttelt. Fast jeder Politiker versprach, nun werde es schärfere Waffengesetze geben. Bill Clinton setzte sich an die Spitze der Bewegung. Vergangene Woche ist der Versuch gescheitert, zumindest bei Waffenmärkten am Wochenende Hintergrundkontrollen der Käufer zu verlangen. Der Senat hatte einer abgeschwächten Form dieser Verschärfung zwar zugestimmt, doch das Repräsentantenhaus verweigerte sich. Amerika hat nach Columbine viel gegrübelt, aber doch nichts gelernt.

So scheint es. Und monoton werden die immer gleichen Argumente wiederholt. Konservative und die Waffenlobby NRA ("National Rifle Association") pochen darauf, es gehe um den Kampf gegen Kriminelle, nicht gegen Waffen. Die demokratische Partei will den Zugang zu Waffen erschweren und muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, damit die Verfassung zu verletzen. Vielen in Europa erscheint die Unfähigkeit Amerikas, die Waffenkontrolle in Griff zu bekommen, als unverständlich. Umso erstaunlicher ist es, dass die verfeindeten Lager seit knapp zwei Jahren bei einem kaum beachteten Modellversuch kooperieren. "Project Exile" heißt der Feldversuch. Er läuft in Virginias Hauptstadt Richmond. Zu denen, die ihn loben, gehören Bill Clinton und NRA-Chef Wayne La Pierre gleichermaßen.

Wer auf der Autobahn nach Virginia fährt, wird von großen Plakaten begrüßt: "Fünf Jahre Exil für jeden mit einer illegalen Waffe." Derselbe Slogan steht auf Bussen und in Zeitungsanzeigen. Der entsprechende Fernsehspot zeigt eine Schöpfkelle, die monoton den immergleichen Einheitsbrei auf das Tablett eines Sträflings leert. Dann kommt der Blick durch die freudlose Zelle und der Spruch: "Deine Heimat. Für fünf Jahre."

650 000 Dollar hat die Werbekampagne gekostet. Die NRA zahlt die Hälfte. "Project Exile" funktioniert überraschend simpel. Es gibt nur zwei Grundsätze. Jeder Besitz illegal erworbener Waffen wird geahndet; jede Verurteilung bringt eine Haftstrafe in einem Bundesgefängnis möglichst weit weg von Virginia. Jeder Polizist in Richmond, einer Stadt mit gut 200 000 Einwohnern, räumt ein, dass seit dem Start des Programms Ende 1997 die Zahl der Schusswaffen auf der Straße drastisch zurückgegangen sei. "Unsere Kunden haben Angst", freut sich ein Beamter auf Streife.

Das gefällt NRA-Chef La Pierre: "Project Exile erreicht genau das, was wir wollen: sichere Straßen und mehr Kriminelle hinter Gittern." Bill Clinton hat das Programm so lange gelobt, bis sich innerhalb der vergangenen Wochen zehn weitere Städte entschlossen, es zu übernehmen, darunter Indianapolis, Atlanta und Denver.

Die Zahl der Morde in Richmond pendelte zwischen 1990 und 1997 jedes Jahr zwischen 120 und 160. 1998 waren es 94. Zusätzliche 650 illegal erworbene Schusswaffen wurden konfisziert; 400 zusätzliche Gesetzesbrecher verhaftet. "Es geht vor allem darum, die Kultur der Kriminellen zu ändern", sagt der zuständige Staatsanwalt. Vor "Project Exile" hätte sich jeder Drogengangster die Knarre eingesteckt, ehe er die Straße betrat, heute tue das kaum mehr jemand.

Die NRA und die Republikaner kritisieren seit langem, es sei Heuchelei, wenn die Clinton-Regierung schärfere Waffengesetze fordere, die Gerichte aber nur gut fünf Prozent aller Verstöße ahnden. Die Kritiker des Projekts weisen darauf hin, dass vor allem arme schwarze Wohngegenden betroffen seien. Zudem werde Vollzugsgewalt von der Einzelstaats- auf die Bundesebene verlagert. 90 Prozent der Exilierten sind schwarz. Nur 13 Prozent haben einen Prozess mit Geschworenen gehabt - die Mehrzahl bekennt sich sofort schuldig und bekommt ein abgekürztes Verfahren. Jene, die es auf einen Prozess ankommen lassen, sitzen in der Regel weißen Geschworenen gegenüber. Den Bund statt das Land richten zu lassen, heißt in Amerika eben auch, die weiße Mittelschicht aus den Vorstädten auf die Jury-Bänke zu setzen.

Und noch eine Überlegung wird von den Kritikern angeführt. "Project Exile" hätte Columbine wohl nicht verhindert. Harris und Klebold wurden nie illegal bewaffnet geschnappt. Aber auch Columbine war eher eine Frage der Anwendung von Gesetzen denn von deren Verschärfung. 19 bestehende Waffengesetze haben die beiden Todesschützen verletzt, rechnet die NRA vor.

"Es geht vor allem darum, die Kultur der Kriminellen zu ändern", sagt der zuständige Staatsanwalt.

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