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Herbert Nitsch

© Promo

Interview: "Man nennt Sie Roboter." – "Ja."

Wie weit kann ich meine Blutgefäße anschwellen lassen? Das ist so eine Frage, die Herbert Nitsch fasziniert. Die Antwort sucht der Tauch-Weltrekordler unter Todesgefahr.

Herbert Nitsch, 37, kann gute neun Minuten unter Wasser bleiben, ohne Luft zu holen. Der Österreicher ist der erfolgreichste Freitaucher der Welt, er hat 18 Weltrekorde aufgestellt, zuletzt den Tiefenrekord mit 214 Metern. Nitsch ist von Beruf Pilot und lebt in Wien.

Herr Nitsch, Sie sind mit einem Atemzug auf 214 Meter Tiefe hinuntergetaucht. Wie ist es da unten?

Da freut man sich und denkt: Ich habe es geschafft, jetzt bin ich tief.

Das ist alles?

Wissen Sie, ich habe nicht das Gefühl, weit unten zu sein, sondern dass die Oberfläche weit über mir ist. Ein bisschen ist es so, als ob man sich vorstellt, die Erde wäre eine Scheibe - alle sitzen drauf, und ich bin jetzt darunter.

Sie fühlen sich einsam?

Ja, auf alle Fälle. Das eigentlich Faszinierende ist aber gar nicht, unten zu sein, sondern eher der Weg dahin – und dass man schaut, wie man sicher wieder hochkommt.

Sie tauchen runter und machen sofort wieder kehrt?

In dieser Tiefe sollte man die Zeit schon möglichst kurz halten. Überall, wo Gas und Flüssigkeiten aufeinandertreffen, findet ein Austausch statt. Das ist im Körper nicht anders. Man muss sich das so vorstellen, als ob das Gas ins Blut hineingedrückt wird. Und das gilt auch für Stickstoff.

Stickstoff macht betrunken.

Das ist ein sehr laienhafter Ausdruck. Stickstoffnarkose ist der korrekte Begriff.

Und wie fühlt sich eine Stickstoffnarkose an?

Ich versuche, das zu vermeiden. Tiefenrausch kann zwar ein tolles Gefühl sein, aber auch sehr krasse Formen annehmen.

Ein Zustand der Euphorie?

Es ist wie bei anderen Räuschen auch. Das kann euphorisierend sein, es kann aber auch Angstzustände auslösen.

Sie sind 214 Meter unter der Wasseroberfläche, so weit ist es von der Kugel des Berliner Fernsehturms bis zum Boden. Die Matrosen der Kursk sind in gut 100 Metern Tiefe gestorben. Da unten ist niemand, der helfen könnte. Haben Sie Angst?

Soweit darf es gar nicht erst kommen. Bei Angst schüttet der Körper Adrenalin aus, und das würde dazu führen, dass ich mehr Sauerstoff verbrauche, und dann schaffe ich es sicher nicht mehr rauf. Für so einen Tauchgang brauche ich viereinhalb Minuten, viel Spiel ist da nicht mehr drin.

Sie sind kein besonders ängstlicher Mensch?

Als Kind hatte ich Angst vor der Dunkelheit. Aber Angst ist objektiv betrachtet meist völlig unbegründet. Wenn ich ein Gefühl der Angst spüre, versuche ich der Ursache auf den Grund zu gehen. Bei diesem Tauchgang habe ich sehr viel Aufwand betrieben, es technisch und medizinisch noch sicherer zu machen.

Der Schriftsteller und Kletterer Jon Krakauer sagt, Bergsteiger haben oberhalb von 8000 Metern den Verstand eines Reptils, wegen Sauerstoffmangels.

In der Tiefe ist das ganz ähnlich. Man hat in jeder Hinsicht weniger Kapazitäten, weniger Denkfähigkeit, aber man merkt das selber nicht. Das ist in etwa so wie bei jemandem, der dumm ist. Wenn es ihm keiner sagt, merkt der das auch nicht.

Der Bergsteiger wird wenigstens mit einer schönen Aussicht belohnt.

Da unten ist es schon ziemlich dunkel. Es gibt zwar noch ein wenig Restlicht, aber man sieht trotzdem nichts, weil einem das Licht von der Kamera ins Gesicht strahlt, die man mitnimmt, um den Tauchgang zu dokumentieren. Andererseits: Es gibt da sowieso nicht viel zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit, ganz unten auf einen Fisch zu treffen, ist relativ gering.

Irgendwie erschließt sich uns noch nicht der Reiz von dem, was Sie da machen. Vielleicht sollten wir mal mit Ihnen einen Tauchgang simulieren. In Ihrer Disziplin, dem sogenannten „No Limits“, sind Sie an einer Art Schlitten befestigt, der wegen seines Gewichts an einem Seil entlang in die Tiefe rast. Und anschließend wird der wieder nach oben gezogen.

Wenn wir das schon simulieren, müssten wir eigentlich mit der Vorbereitung anfangen.

Bitte sehr.

Ich versuche, möglichst ruhig zu werden, die Körperfunktionen runterzufahren auf einen schlafartigen Zustand.

Das klingt nach einer Art mentalem Training.

Ja, es gehört auch dazu, dass Sie ein positives Gefühl mit in die Tiefe nehmen. Ein Gefühl der Selbstsicherheit.

Sie haben Ihren Weltrekord im Juni aufgestellt. Wenige Wochen vorher ist Ihr größter Konkurrent, der Franzose Loic Leferme, bei einem Tauchgang in 170 Metern Tiefe tödlich verunglückt. Wie kann man danach noch ein positives Gefühl mitnehmen?

Ich habe viel darüber nachgedacht.

Und dann doch weitergemacht.

Die erste Frage war für mich: Wieso ist es passiert? Ich wusste ja nicht, hatte das medizinische Gründe, ist er an der Taucherkrankheit gestorben oder hatte es technische Gründe. Es klingt makaber, aber ich war erleichtert, als ich hörte, dass es wohl technische Gründe waren. Irgendwie hat sich das Seil mit dem Schlitten auf dem Weg nach oben verwickelt. Wir haben dann alle Sicherheitssysteme noch einmal überprüft.

Sind Sie an diesem Schlitten festgeschnallt oder halten Sie sich fest?

Ich bin am Schlitten festgeschnallt und zusätzlich noch mit einem Ring an dem Seil gesichert.

Und an diesem Ding hängt ein Gewicht und es zieht Sie in die Tiefe. Kopfüber?

Mit den Füßen voran, kopfüber ist der Druckausgleich schwieriger.

Sind Sie schnell unterwegs?

Das sind nur 13 bis 15 Stundenkilometer, aber unter Wasser ist das sehr schnell. Das ist schon ein Kick, wie man in die Tiefe fährt.

Von Ihrer Umgebung kriegen Sie nicht viel mit.

Ich bin ziemlich beschäftigt, muss eigentlich ununterbrochen Druckausgleich machen und gegen die geschlossene Nase atmen. Wenn man das nicht mehr schafft, geht es auch nicht mehr weiter.

Woran spüren Sie, dass Sie es nicht mehr schaffen?

An den Schmerzen in den Ohren. Der Druck auf jeden Hohlraum im Körper ist ungeheuer.

Ihre Lunge zieht sich in dieser Tiefe auf die Größe einer verschrumpelten Apfelsine zusammen.

Ja. Es kommt dann darauf an, dass man das sogenannte Bloodshift erreicht, das heißt, dass man das Blut aus den Extremitäten in den Rumpf zieht.

Großhirn an Zeh: Blut ins Zentrum?

Zum Großteil geht das automatisch, man kann das aber trainieren.

Manche Taucher fluten sich die Nasennebenhöhlen, damit da auch kein Hohlraum mehr ist.

Ja, die ziehen sich Wasser in die Nase. Aber das ist wirklich sehr unangenehm, wenn man das dann auch noch im Mittelohr hat, da gehört einfach kein Salzwasser hin.

Sie haben mal mit neun Minuten den Weltrekord im Luftanhalten unter Wasser aufgestellt. Für Ihre Fahrt in 200 Meter Tiefe brauchen Sie eine Minute. Das ist dann ja ein Klacks für Sie.

Also diese neun Minuten unter Wasser wurden in absoluter Ruhe erreicht, vollkommen entspannt. Das sind Sie beim „No Limits“ nicht. Unter Belastung ist es viel schwieriger.

Sie müssen eine Riesenlunge haben.

Vielleicht zehn Liter, normal sind vier bis fünf. Mit einer speziellen Atemtechnik kann ich Schluck für Schluck noch mal fünf Liter zusätzlich reinpumpen.

Wenn ein untrainierter Mensch den Kopf unter Wasser hält, dann würde so nach 80 Sekunden der Atemreflex einsetzen. Da könnte er gar nicht viel dagegen machen.

Früher, wahrscheinlich fängt bei Ihnen nach 45 Sekunden an, das Zwerchfell zu zucken, weil Sie atmen wollen.

Und wann zuckt bei Ihnen das Zwerchfell?

Jedenfalls nicht auf dem Hinweg. Aber Sie gucken immer auf das No Limits, wo es einfach nur darauf ankommt, in die tiefste Tiefe zu tauchen. No Limits ist in meiner Sportart nur eine Disziplin.

…und sogar eine umstrittene.

Nehmen Sie das „Constant Weight“, das ist eine ganz andere Herausforderung, da tauchen Sie an einem Seil mit einem bestimmten Gewicht mit eigener Kraft in die Tiefe. Sie müssen ja in den ersten 20 Metern den Auftrieb überwinden, erst danach sinkt der Körper. Und da habe ich Freitaucher gesehen, bei denen zuckt das Zwerchfell schon auf dem Weg nach unten.

Sie sind mit 111 Metern auch im „Constant Weight“ Weltmeister. Also, wann zuckt es bei Ihnen?

Ich spüre den Atemreiz wirklich erst auf dem Rückweg, so bei 40 Metern.

Wie lange brauchen Sie dann noch?

Beim „Constant Weight“ 40 Sekunden. Beim „No Limits“ kommen sie aus größerer Tiefe, bei zehn Metern lege ich eine halbe Minute Pause ein, zur Dekompression. Sie haben nicht dieses Risiko, das ein Flaschentaucher hat. Aber der Stickstoff, der sich im Blut gelöst hat, der wird auch mir gefährlich, wenn ich zu schnell auftauche.

Es gibt nur fünf Taucher auf der Welt, die mit ihrer Atemluft tiefer als 160 Meter waren. Zwei sind tot und einer sitzt im Rollstuhl. Sie sind ein Pionier.

Ja. In vielen Sportarten ist die Sportmedizin schon sehr weit, beim Freitauchen sind die unerforschten Grauzonen aber noch riesengroß. Nehmen Sie zum Beispiel den Bloodshift, das kennt man schon seit langem, aber man weiß noch nicht wirklich, wie weit man das ausbauen kann. Wie weit kann ich meine Blutgefäße anschwellen lassen? Das ist auch ein faszinierender Gedanke, oder nicht?

Nun ja.

Jetzt schauen Sie schon wie mein Taucherarzt drein. Der hatte beim letzten Mal auch Bedenken. Er hat gesagt, er möchte mit diesem Weltrekord nichts mehr zu tun haben. Er hat nicht geglaubt, dass ich das schaffen kann.

Das hat Sie nicht nachdenklich gemacht?

Nein, ich war mir sicher, dass ich es schaffe.

Ihr verstorbener Konkurrent Loic Leferme hat von sich gesagt, er wolle „Wasser im Wasser“ sein. Das heißt?

Nicht dagegen anzukämpfen, sondern es auf sich einwirken zu lassen.

Klingt das nicht nach Todessehnsucht? Da sucht doch jemand die Verschmelzung mit einem Element?

Nein, es bedeutet eher, sich in diesem Element geborgen zu fühlen. Bei einem See zum Beispiel, den man nicht kennt, ist es anfangs immer sehr krass. Weil Seen kälter sind, oft schlechtere Sicht haben, das ist eine Kombination, die ganz einfach ein Unbehagen auslöst. Es braucht seine Zeit, bis man daraus etwas Schönes ableiten kann.

Haben Sie im Wasser mittlerweile ein Geborgenheitsgefühl?

Ich muss es mir jedes Mal von Neuem aneignen. Wenn ich irgendwo draußen im Meer zum ersten Mal seit langer Zeit reinspringe, und das Seil ins Bodenlose hängt…Dann schaue ich erst mal runter und sage, na ja.

Leferme hat Sie „Roboter“ genannt.

Ja.

Weil Ihnen das philosophische Element ein wenig abgeht? Sätze, wie „Ich will Wasser im Wasser sein“ kommen Ihnen nicht leicht über die Lippen.

Einerseits das. Und andererseits, weil ich eben die Stärke bewiesen habe, dass ich in der Competition auf den Punkt genau maximal performe.

Und jetzt sind Sie alleiniger Weltrekordhalter und es gibt keinen, der auch nur in Ihre Nähe kommt. Und Sie wollen noch weiter, bis in 300 Meter, haben Sie gesagt. Warum eigentlich?

Es geht darum, dass ich nicht weiß, wie weit ich meinen Körper noch treiben kann.

Das ist Ihr Motiv?

Das ist mein Motiv. Das ist das Motiv vieler anderer Freitaucher. Man kann in diesem Sport so große Schritte machen wie wahrscheinlich in keiner anderen Sportart. Wenn ich jetzt als Otto-Normalverbraucher anfange mit einer Minute, schaffe ich, wenn ich ein bisschen sportlich bin, nach einer Woche Training fünf Minuten. Stellen Sie sich vor, Sie würden als Radfahrer mit 20 Stundenkilometer beginnen und nach einer Woche fahren Sie 100. Und wenn Sie ein trainierter Freitaucher sind, ist das nicht einmal anstrengend.

Sie haben spät mit dem Freitauchen begonnen.

Mit 29. Und No Limits mache ich seit drei Jahren. Das ist natürlich ein Antriebsfaktor, wenn Sie wissen, dass man seine Grenzen so weit ausloten kann, und dass Sie an der Weltspitze sind.

Tauchen Sie eigentlich auch einfach mal nur so, ohne dass es was zu gewinnen gibt?

Sicher. Das ist eben der andere Aspekt des Freitauchens. Da geht es nicht um Rekorde. Ich war im Urlaub auf den Malediven, da bin ich zur Tauchbasis und mit denen aufs Meer rausgefahren. Alle hatten Pressluftflaschen dabei. Die haben mich schon schief angeschaut und dachten, ah, ein Schnorchler. Dann kam schon dieses Gelächle…

… die haben bestimmt gedacht: Der taucht nix!

Ich habe so einen kleinen Fotoapparat zum Schnorcheln mitgenommen, ich tauche runter, sehe einen Fisch, tauche noch ein Stück, und dann komme ich gerade von unten rauf, so aus 40 Metern, sehe Taucher, die auf 25 Meter sind. Die finden sich natürlich tief, viel tiefer schaffen Sie es als Flaschentaucher ja auch nicht. Und dann kommt da einer in der Badehose, mit Schnorchel und Fotoapparat und schwimmt einem Fisch nach, fotografiert den ein paar Mal, und dann ist da noch eine Schildkröte, die fotografiert er ebenfalls, und die Taucher stehen da und schauen.

Sie haben als Freitaucher ein anderes Unterwassererlebnis als ein Flaschentaucher.

Auf alle Fälle. Sie glauben gar nicht, was diese Atemluft unter Wasser für einen Lärm macht. Als Freitaucher kommen Ihnen dagegen die Fische viel näher. Die sind nicht so scheu wie die meisten Landlebewesen.

Die halten Sie für einen Fisch?

Manchmal folgen sie einem sogar, die sind richtig anhänglich.

Sie klingen euphorisch. Ist Freitauchen besser als Sex?

Es ist jedenfalls abwechslungsreicher.

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