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Inzest-Fall in Österreich: War Fritzl in einen Mord verwickelt?

Das Inzest-Verbrechen von Amstetten ist nach Erkenntnissen der Polizei offenbar die alleinige Tat des 73-jährigen Josef Fritzl gewesen. Doch die Ermittler stehen vor einem neuen Rätsel: Sie untersuchen einen möglichen Zusammenhang zwischen Fritzl und einem ungeklärten Mord an einer jungen Frau.

Im Inzest-Drama im österreichischen Amstetten werden die Ermittler nach eigenen Angaben für die Aufklärung der Hintergründe noch Monate brauchen. So sollen alle rund 100 Menschen, die in den vergangen 24 Jahren in dem "Haus des Schreckens" gelebt haben, vernommen werden, wie der Chef des niederösterreichischen Landeskriminalamtes, Franz Polzer sagte. Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang in einen Keller gesperrt und missbraucht hatte, weigert sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft, weitere Aussagen zu machen. Spekulationen über einen Mitwisser wies die Polizei zurück.

Fritzl habe keinen Mittäter beim jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch und beim Einkerkern seiner Tochter E. (42) und der von ihm gezeugten Kinder gehabt. Das sagte Polzer vor Journalisten in Zeillern bei Amstetten. Auszuschließen sei allerdings "aus kriminalistischer Erfahrung nichts". Die sechs erwachsenen Geschwister von E. hätten mit den Verbrechen aber nichts zu tun. Es gebe auch keine Hinweise, dass der Täter seine anderen Kinder - weder die ehelichen noch die insgesamt sechs überlebenden Inzest- Kinder - missbraucht habe.

Die Stahltür wurde vor der Tat eingebaut

Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass Fritzl die schwere Stahlbetontür zum Verlies bereits vor der Tat eingebaut habe. Demnach handelt es sich um eine Brandschutztür aus Blech, die mit Beton ausgegossen wurde und sich per elektronischer Fernsteuerung öffnen ließ. Der Täter habe ausgesagt, dass die Tür im Notfall auch mit Werkzeug von innen zu öffnen gewesen wäre, sagte Polzer. Dies werde derzeit von Experten überprüft.

Zu den Ermittlungen am Tatort sagte Polzer: "Das Gefängnis zeigt sich in seiner ganzen Deutlichkeit." E. und drei ihrer Kinder seien in ihrem Kellerverlies mit Gefrierschrank, Herd, Waschmaschine und anderen elektrischen Geräten ausgerüstet gewesen. Das habe ihnen erlaubt, dort auch über Wochen ohne weitere Versorgung auszuharren - "vorausgesetzt, dass der Strom aktiv bleibt." Ein jetzt bekanntgewordenes Privatvideo und Fotos belegen beispielsweise, dass Fritzl zwischendurch Urlaub in Thailand gemacht hat. Die Tür, die zu dem Verlies führte, war hinter einem Regal verborgen, das zunächst abgebaut werden musste, sagte Polzer. Die Öffnung selbst sei nur etwa einen Meter hoch und 60 Zentimeter breit. Nach bisherigen Erkenntnissen hat Fritzl selbst die Tür mit Blech und Beton verkleidet. Sie sei schon vor Jahren mit einem funkgesteuerten Antrieb ausgerüstet worden. Ursprünglich habe sich die vor 24 Jahren eingekerkerte E. in einem Raum aufgehalten. Nach der Geburt ihrer Kinder sei das Gefängnis nach und nach vergrößert worden. Polzer forderte alle früheren Bewohner des Hauses an der Ybbstraße in Amstetten auf, Beobachtungen zu überprüfen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hätten. Staatsanwalt Gerhard Sedlacek sagte zu Medienberichten über frühere Straftaten Fritzls, Auskünfte darüber verbiete das österreichische Verjährungsgesetz.

Besteht ein Zusammenhang zu einem ungeklärten Mord?

Für neues Rätselraten sorgte eine mögliche Verwicklung Fritzls in einen ungeklärten Mord an einer jungen Frau vor 22 Jahren: Die Behörden prüfen nach Angaben des oberösterreichischen Polizeichefs Alois Lißl ob Fritzl als Tatverdächtiger für einen Mord an einer 17-jährigen Anhalterin am Mondsee in der Nähe von Salzburg in Frage kommt. Derzeit gebe es noch keine direkte Verbindung, sagte Lißl. Fritzl habe sich zum Tatzeitpunkt im Jahr 1986 allerdings mit seiner Familie in einem Ferienhaus in der Gegend aufgehalten.

Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer nahm unterdessen die Alpenrepublik gegen Kritik in ausländischen Medien im Zusammenhang mit dem Inzest-Fall in Schutz. Er betonte: "Es ist sicher nichts Abgründig-Österreichisches an diesem Fall." Das österreichische Entführungsopfer Natascha Kampusch (20) kündigte für die Opfer in dem Inzest-Fall eine Spende von 25.000 Euro an und eröffnete ein Spendenkonto.

Ein "vertraulicher Anruf" lieferte Hinweise

Die Polizei brachte am Mittwoch mehr Klarheit in die Umstände, unter denen das Drama beendet werden konnte: Demnach war E. mit ihren zwei Söhnen aus dem Kellerverlies im Krankenhaus erschienen, um ihre lebensgefährlich erkrankte Tochter K. (19) zu sehen. Nach E. war zu diesem Zeitpunkt bereits öffentlich gesucht worden, weil nur die Mutter Auskunft über den Zustand der Tochter geben konnte. Von dem Besuch erfuhr die Polizei durch einen "vertraulichen Anruf" und griff zuerst E. vor dem Krankenhaus auf. Nachdem diese sich den Polizisten offenbart hatte, wurde auch Josef Fritzl festgenommen. Polzer wollte nicht sagen, woher der Tipp gekommen sei. Die Polizei habe versprochen, die Identität des Anrufers nicht preiszugeben. Alle Opfer werden seit ihrer Freilassung in einer Klinik von Ärzten und Psychologen betreut.

Wie die Polizei erklärte, gab es Hinweise, dass der 73-jährige Vater die Gefangenschaft seiner Tochter und seiner drei verborgenen Inzest-Kinder schon vor Monaten beenden wollte. Fritzl habe seiner Tochter zur Jahreswende 2007/08 einen Brief an seine eigene Familie diktiert, in dem er sie ankündigen ließ, sie wolle in diesem Sommer mit ihren Kindern nach Amstetten zurückkehren. Der Arzt Berthold Kepplinger vom Landesklinikum Mostviertel Amstetten appellierte an die Medien, die Privatsphäre der Familie zu respektieren. Die Familie, die sich ja erst jetzt in dieser Form kennengelernt habe, habe in den Räumen des Klinikums eine etwa 80 Quadratmeter große Wohnung bezogen. Der österreichische Bundespräsident Fischer sagte der "Kleinen Zeitung" in Graz angesichts zunehmender Kritik in ausländischen Medien, Gewalt sei ein universales Phänomen. Internationale Medien hatten in den vergangenen Tagen die jüngsten Entführungsfälle und die späte Aufklärung - zum Beispiel im Fall Natascha Kampusch - in Zusammenhang mit nationalen Eigenheiten gebracht. (ps/dpa/AFP)

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