zum Hauptinhalt
Graben mit bloßen Händen. Helfer in dem Ort Bajeh Baj bergen mit einem Teppich ein Bebenopfer.

© dpa

Iran: Teherans Kernreaktor - warten auf das nächste Erdbeben

Irans Hauptstadt ist Bebengebiet, dort steht ein Kernreaktor – Forscher warnen nach dem jüngsten Unglück im Norden des Landes vor der Gefahr. Zeitlich gesehen ist ein großes Erdbeben überfällig. Unterdessen hat die Regierung ausländische Hilfe für die Opfer im Norden zugelassen.

Drei Tage nach dem Doppelbeben im Norden Irans will die Teheraner Regierung nach anfänglicher Weigerung nun doch ausländische Hilfe annehmen. Dabei ist es ein Berliner, der zuerst dort Hilfe organisiert. Cyrus Ghiasi, ein Deutsch-Iraner, der an der TU forscht, hielt sich zufällig privat in Teheran auf, als sich die Beben im Norden ereigneten. Ghiasi ist auch Koordinator der Hilfsorganisation Humedica, die in der Vergangenheit oft nach Erdbeben tätig war. Als er die Nachricht hörte, fuhr er sofort in das betroffene Gebiet und organisierte Hilfe. Nach der Genehmigung durch das iranische Gesundheitsministerium befand sich am Dienstag ein fünfköpfiges Humedica-Team auf dem Weg dorthin. Es hat medizinisches Material und Medikamente zur Erstversorgung von 3000 Patienten bei sich. In dem rückständigen Bebengebiet gibt es keinerlei medizinische Versorgungsstrukturen. Die genaue Zahl der Todesopfer ist unbekannt, die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Ghiasi spricht von Verwüstungen, wie er sie noch nie erlebt habe. „Viele Dörfer sind komplett zerstört“, sagte er. Die Menschen verließen in Panik ihre Häuser und füllen nun zu Zehntausenden notdürftig errichtete Zeltlager und Notunterkünfte.

Das jüngste Beben lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei gravierende Probleme, die bisher überwiegend ignoriert werden. Dabei geht es um die Sicherheit der iranischen Atomanlagen und buchstäblich um die Existenz der Hauptstadt Teheran, in der 20 Prozent der Bevölkerung leben und sich die wichtigsten Unternehmen und Behörden befinden.

Fast das ganze Land ist potenzielles Erdbebengebiet. Es gibt eine Haupt-Erdplattenlinie, die von Nordwest am jetzigen Bebengebiet entlang weiter an Teheran vorbei Richtung Süden führt (Grafik). Sie trennt die große Arabische Platte von der sogenannten iranischen Teilplatte. Darüber hinaus gibt es nahezu waagerecht dazu brüchige west-östliche Verwerfungslinien – vor allem unter Teheran.

Seismologen sind sich einig, dass die iranische Hauptstadt überfällig ist für ein größeres Beben. „Teheran befindet sich in der Tat über zwei großen Verwerfungen, die seit über 170 Jahren nicht mehr aktiv waren“, sagt Forough Sodoudi vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Die in Deutschland lebende Wissenschaftlerin ist selbst in Teheran geboren. „Sollte eine der Verwerfungslinien aktiv werden, ist mit einem Beben von über sieben auf der Richterskala zu rechnen.“ Zum Vergleich: Die Beben vom Wochenende erreichten eine Stärke von 6,4 und 6,3.

Das große Beben ist unausweichlich. Anhand von Untersuchungen der Verwerfungen und historischen Aufzeichnungen konnten Seismologen berechnen, dass es im Durchschnitt alle 150 Jahre zu einem Beben der beschriebenen Größenordnung kommt. „Teheran ist überfällig“, sagt auch Sodoudi.

Die Konsequenzen wären verheerend für eine der größten Städte dieser Weltregion. Teheran ist eine alte Stadt. Die allerwenigsten Gebäude sind erdbebensicher gebaut. Die Bevölkerung wuchs in den letzten Jahren sehr schnell. Entsprechend eilig mussten neue Unterkünfte gebaut werden. Teheran ist auch eine enge Stadt. Etwa 15 Millionen Menschen leben in und um die Metropole herum. Sie beheimatet Regierungsämter, Firmen und Universitäten. Die schiere Dichte an Menschen in Gebäuden und auf den Straßen hätte im Falle eines Bebens katastrophale Folgen.

Die Gefahr ist der Politik durchaus bekannt. Iranische Seismologen warnen regelmäßig vor dem großen Beben. Meistens wenn sich irgendwo im Land mal wieder die Erde bewegt. Und tatsächlich kann man immer wieder von Plänen lesen, alle Ämter und Ministerien in eine andere Stadt zu verlegen und dem Iran somit eine neue Hauptstadt zu geben. Auch wurde davon gesprochen, eine komplett neue Hauptstadt zu bauen. Wie ernst diese Vorhaben tatsächlich sind, ist nur schwer einzuschätzen. Doch eins ist klar: Zeitnah können sie nicht durchgesetzt werden. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur MNA wies im Jahr 2010 Präsident Ahmadinedschad selbst darauf hin, dass die Stadt sich auf ein größeres Beben vorbereiten müsste. „Wir können den Leuten nicht befehlen, die Stadt zu verlassen“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur, „aber es müssen Vorkehrungen getroffen werden.“

Ahmadinedschad, einst selbst Bürgermeister von Teheran und promovierter Bauingenieur, schlug damals vor, fünf Millionen Bewohner dazu zu bewegen, die Stadt zu verlassen, damit eine Notsituation beherrschbar bleibt.

Auch die Bürger Teherans wissen um die Gefahr. Aber was sollen sie tun? In Teheran gibt es Geld, Arbeit und Bildung. Kein Mensch lässt sich abhalten, das Beste aus seinem Leben zu machen. Vor allem nicht junge Menschen. Die Iraner sind ein junges Volk. Allein in den letzten 20 Jahren wuchs die Bevölkerung um 50 Prozent. 70 Prozent aller Iraner sind unter 25. „Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist“, sagt Sodoudi. Das letzte große Beben datiert auf das Jahr 1830. Es lebt niemand mehr, der davon erzählen könnte.

Tatsächlich gewinnt die erhöhte Erdbebengefahr gerade im Hinblick auf das iranische Atomprogramm besondere Brisanz. In Teheran befindet sich der älteste und gleichzeitig wichtigste Forschungsreaktor des Landes. Er wurde Ende der 60er Jahre mit Hilfe der USA gebaut und bis zur islamischen Revolution 1979 von amerikanischer Seite mit Brennelementen beliefert. Im Februar dieses Jahres wurde der Reaktor erstmals mit selbst produzierten Brennstäben bestückt. Die Brennelemente stammen aus dem Nuklearzentrum Natanz, 300 km von Teheran entfernt. Wie viele inoffizielle, vielleicht auch unterirdische Anlagen sich in der Region um Teheran befinden, ist unbekannt.

Welche Konsequenzen das Aufeinandertreffen von seismischer Aktivität und kontrollierter Kernspaltung haben kann, zeigte die Erfahrung von Fukushima. Doch weder im öffentlichen Diskurs noch im persönlichen Gespräch scheint diese Gefahr ein Thema zu sein. „Für die Leute sind es zwei separate Probleme“, sagt Sodoudi. Auf der einen Seite leben die Menschen ihr Leben vor dem Hintergrund einer drohenden Katastrophe. Auf der anderen Seite gibt es die politischen, geostrategischen und wirtschaftlichen Ambitionen einer Regierung und ihr Konflikt mit dem Westen.

Francesco Giammarco

Zur Startseite