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Weltraumtransporter

© Esa/ddp

ISS-Versorgungstransporter: Europa füttert Astronauten durch

Ein unbemannter Weltraumtransporter soll Anfang 2008 starten. Bei der Rückkehr wird er verglühen.

„Jules Verne“ – der Name ist Programm. Der französische Schriftsteller und Vater des Science-Fiction-Romans hätte seine Freude an dem europäischen Raumtransporter, der nach ihm benannt wurde. Die Spezialisten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa sprechen von „ATV“ (Automated Transfer Vehicle). Das unbemannte Gefährt soll Nachschub zur Internationalen Raumstation ISS bringen. Vor einer Woche ist das knapp zehn Meter lange High-Tech-Gerät in Rotterdam eingeschifft worden. Das Ziel ist der europäische Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana im Nordosten Südamerikas.

Mit ATV emanzipiert sich Europa von den USA und Russland, was die Versorgung der Raumstation betrifft. „Das ATV bezahlt den europäischen Teil der Betriebskosten in der Raumstation“, erklärt Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn. Alle zwölf bis 18 Monate sollen bis zu 5,5 Tonnen Nutzlast zur ISS transportiert werden. Das geht von Kleidern und Nahrungsmitteln bis zur Laborausrüstung und zu hundert Kilogramm Atemluft, 840 Liter Trinkwasser sowie 860 Kilogramm Sprit für die Düsen.

1,4 Milliarden Euro hat sich die Esa die Entwicklung des Weltraum-Lastwagens kosten lassen, ein Viertel davon stammt aus deutschen Kassen. Für dieses Geld haben 30 Firmen aus zehn Esa-Staaten, Russland und den USA Technik vom Feinsten entwickelt. Außer Russland besitzt damit nur die Esa ein Raumfahrzeug, das vollautomatisch an die ISS andocken kann. „Der Automationsgrad ist beim ATV viermal höher als bei den russischen Transportern des Typs Progress", erklärt Schmid.

Während die Piloten US-amerikanischer Raumfähren ihre Shuttles nach wie vor per Hand an die Andockstelle der ISS manövrieren, erledigen dies beim ATV gleich mehrere vollautomatische Ortungssysteme. Neben dem Satellitenortungssystem GPS gibt es eine Automatik, die mit Radiowellen arbeitet. Gleichzeitig messen Infrarot-Laser an der ISS angebrachte Muster und berechnen so den exakten Kurs. Als die Esa in einem 600 Meter langen Kanal in der Nähe von Versailles bei Paris das Andocken mit Originalteilen getestet hat, traf das 979 Zentimeter lange und 448 Zentimeter dicke Gefährt die Andockstelle fast immer auf den Zentimeter genau.

Die Esa ist also zu Recht stolz auf diese deutsche Wertarbeit. Denn nach dem Prototyp „Jules Verne“, der voraussichtlich im Januar 2008 zur ISS fliegen wird, sollen mindestens vier weitere ATV gebaut werden, die zu 51 Prozent mit deutschem Geld produziert werden. Hauptauftragnehmer ist die Bremer Firma Astrium, 100-prozentige Tochter von EADS, die auf Raumfahrtsysteme spezialisiert ist.

In Kourou angelangt, wird das ATV auf eine der riesigen Ariane-5-Raketen der Esa montiert und voraussichtlich Anfang 2008 ins All geschossen. Gut dreihundert Millionen Euro dürfte ein Flug kosten – weniger als ein Shuttle-Flug der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, der pro Start gut eine halbe Milliarde US-Dollar verschlingt. „Ohnehin sollen die drei US-Raumfähren Atlantis, Endeavour und Discovery offiziell nur noch bis 2010 Astronauten und Fracht zur Raumstation bringen“, erzählt Volker Sobick, DLR-Experte für bemannte Raumfahrt. Dann muss die Nasa ihre Gelder in das vom Präsidenten George W. Bush angeordnete Weltraum-Erkundungsprogramm von Mond und Mars stecken.

Doch es gibt Überlegungen der Nasa, das Spaceshuttle noch ein paar Flüge länger zu nutzen, falls der nächste US-Präsident das Geld bereitstellen sollte. Die Wahrscheinlichkeit dafür wächst mit der Größe der Lücke, die sich nach dem letzten Shuttle-Flug für die USA auftut. Zwar arbeitet die NASA längst am Nachfolger der Raumfähre. „Orion“ heißt das Konzept, das wieder auf das Prinzip der Apollo-Kapsel zurückgreift, mit der Neil Armstrong 1969 zum Mond geflogen ist. Auf der Rakete sitzt eine Kapsel, die ihren eigenen Antrieb erst im All einsetzt. Das ist im Vergleich zur Raumfähre erheblich sicherer. Denn beim Spaceshuttle sitzen die Astronauten während des Starts unmittelbar neben den explosionsgefährdeten Flüssigtreibstofftanks.

Allerdings dürfte Orion frühestens 2015 oder sogar noch später startklar sein. Werden die Raumfähren also nach 2010 eingemottet, wären die Amerikaner auf die Hilfe Russlands und Europas angewiesen. Die Raumkapsel Sojus könnte Kosmonauten, die Transporter Progress sowie ATV könnten den Nachschub zur Raumstation bringen. Ob sich die Amerikaner in eine solche Abhängigkeit begeben wollen, darf bezweifelt werden. Auf alle Fälle hat sich die Nasa schon einmal erkundigt, ob sie zwei der ATV-Transporter kaufen könnte.

Das europäische Raumfahrzeug ist aber noch viel mehr als ein perfekter Transporter, der bis zu 7,6 Tonnen Fracht befördern kann. Genau wie der russische Weltraumfrachter Progress, der pro Flug weniger als drei Tonnen Material in den Weltraum hievt, soll auch das ATV die Flugbahn der Raumstation anheben.

Die ISS fliegt zwar in rund vierhundert Kilometern Höhe über der Erdoberfläche. Dort oben aber gibt es immer noch winzig kleine Mengen Luft. Wenn die ISS nun mit rund 29 000 Kilometern in der Stunde um die Erde rast, bremsen diese Luftteilchen die Raumstation ein wenig ab. Mit der Zeit sackt die ISS immer tiefer. Dort ist die Luft aber ein wenig dichter, die ISS wird schneller gebremst und droht abzustürzen.

Sobald nun das europäische Weltraumfahrzeug an die Raumstation angedockt hat, kann es seine vier Haupttriebwerke zünden und die im Endausbau wohl 330 Tonnen schwere ISS je nach Bedarf rund zwanzig Kilometer höher in eine sichere Umlaufbahn schieben.

Dabei verfeuert das ATV allerdings ein oder zwei Tonnen Sprit, die von der Nutzlast abgehen. Nach einem halben Jahr an der Raumstation dockt das ATV dann beladen mit 6,3 Tonnen Abfall aus der ISS ab und stürzt über dem Südpazifik so steil in die Atmosphäre, dass die gesamte Konstruktion verglüht. Die Emanzipation Europas aber endet damit keineswegs, Raumfahrtexperten gehen nämlich fest davon aus, dass Europa mehr als die bisher bestellten vier ATV bauen wird.

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