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Panorama: Istanbul, zu cool

Ehrgeizige Baupläne gefährden den Charme der Stadt, meinen Kritiker

Das hat man davon, wenn man einen Architekten zum Oberbürgermeister wählt: Seit Kadir Topbas im Frühjahr vergangenen Jahres neuer Chef der türkischen Metropole mit ihren zwölf Millionen Einwohnern wurde, wird am Bosporus entworfen, geplant und gebaut wie nie zuvor. Die Silhouette Istanbuls, bekannt für ihre prächtigen Sultansmoscheen, alten Kirchen und die malerische Altstadt am Meer, wird sich in den nächsten Jahren völlig verändern, wenn die Ideen von Politikern und Unternehmern Wirklichkeit werden. Allein eine Investorengruppe aus Dubai will am Bosporus fünf Milliarden Dollar für Wolkenkratzer und Hotels ausgeben, darunter eines der höchsten Gebäude Europas. Längst nicht alle Istanbuler sind darüber begeistert.

Topbas und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der selbst einmal Istanbuler Bürgermeister war, haben große Pläne für die Perle der Türkei. Vor kurzem empfingen sie am Bosporus den Kronprinzen von Dubai, Scheich Mohammed bin Raschid al Maktum. Der Kronprinz ist Chef des Unternehmens Dubai International Properties, das unter anderem mit dem futuristischen Luxushotel „Burj al Arab“ in Dubai von sich reden machte. In Istanbul hat der Scheich ähnlich Spektakuläres vor: Auf der europäischen Seite der Stadt will er bis zum Jahr 2008 einen Wolkenkratzer-Komplex aus zwei Türmen bauen, in denen ein Hotel, Büros, Wohnungen und ein Einkaufszentrum untergebracht werden sollen. Mit 300 Metern Höhe sollen die „Dubai Towers“ alle anderen Gebäude in der Türkei in den Schatten stellen. Das bisher höchste Gebäude des Landes, das 182 Meter hohe Hauptquartier der türkischen Bank Is Bankasi in Istanbul, würde dagegen wie Spielzeug wirken.

Aber die „Dubai Towers“ sollen lediglich ein Zehntel der geplanten Investitionssumme von fünf Milliarden Dollar kosten. Für den Aussichtshügel Camlica über dem asiatischen Bosporus-Ufer gibt es schon Pläne für einen weiteren riesigen Turm. Am südöstlichen Stadtrand soll in der Nähe der neuen Formel-1- Piste auf drei Millionen Quadratmetern ein neuer Komplex aus Wohnhäusern, Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen entstehen.

Bürgermeister Topbas dementierte, dass in der Stadt ein Hochhaus-Monster von 650 Meter Höhe entstehen soll. Dennoch kritisierte eine Zeitung, Istanbul werde „dubaiisiert“. Erst vor wenigen Monaten sorgte Topbas für Streit, als er vorschlug, unmittelbar vor der historischen Halbinsel von Istanbul, die von der Hagia Sophia, der Blauen Moschee und dem Topkapi-Palast dominiert wird, eine Riesen-Statue eines wirbelnden Derwisches errichten zu lassen. Sie hätte die weltberühmte Silhouette Istanbuls zerstört. Bisher haben es die städtischen Planer geschafft, alle Hochhäuser aus der unmittelbaren Umgebung des historischen Stadtkerns im früheren Byzanz und Konstantinopel fern zu halten. Büro- und Hoteltürme halten sich im Stadtbild relativ dezent im Hintergrund – mit einem 300 Meter hohen Zwillingsturm wenige Kilometer von der Hagia Sophia entfernt wäre es damit jedoch vorbei.

Mit Blick auf die „Dubai Towers“ wird gefragt, wie so ein gigantisches Projekt mit der Erdbebengefahr in Istanbul in Einklang zu bringen ist. 30 Kilometer vor der Stadt läuft eine äußerst aktive tektonische Verwerfungslinie durchs Maramar-Meer, die nach Einschätzung von Experten in den nächsten Jahren ein Erdbeben von der Stärke wie zuletzt in Pakistan auslösen könnte.

Während der erste Spatenstich für die „Dubai Towers“ im kommenden Jahr ansteht, nehmen auch andere Vorhaben konkrete Formen an: Vor kurzem wurde der Auftrag zum Bau des „Galataport“ vergeben, eines milliardenschweren Komplexes mit Anlegestellen für große Kreuzfahrtschiffe am Bosporus. Ebenfalls ins Auge gefasst wird der Bau einer dritten Autobahnbrücke über den Bosporus. Zeitungsberichten zufolge dürfte durch die neue Brücke der malerische Stadtteil Arnavutköy schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Bürgerinitiativen laufen schon jetzt Sturm dagegen.

Die plötzliche Gigantomanie in Istanbul ist Zeichen einer neuen Attraktivität der Stadt für finanzkräftige Investoren und Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Türkei. Istanbul ist in: „Cool Istanbul“ titelte das amerikanische Magazin „Newsweek“ vor kurzem; auch der Film „Crossing the Bridge“ von Fatih Akin hat mitgeholfen, ein neues Image für das uralte Konstantinopel zu schaffen. In diesem Jahr werden vier Millionen Besucher in der ehemaligen Sultansstadt erwartet, so viel wie nie zuvor. Früher war Istanbul meistens das Ziel kulturell interessierter Touristen, heutzutage kommen auch viele junge Leute: Die Nachtszene im Stadtteil Beyoglu mit vielen Kneipen und Clubs zieht immer mehr Besucher an. Bei Großereignissen wie dem ersten türkischen Formel-1-Rennen im August werden die Hotelzimmer knapp.

Investitionen werden also gebraucht, aber die Pläne von Topbas und Erdogan gehen vielen zu weit. Neben einer Hafenarbeiter-Gewerkschaft zieht auch die türkische Architektenkammer gegen das Galataport-Projekt vor Gericht und will mit einem internationalen Ideenwettbewerb Alternativen suchen. Es dauert noch eine Weile, bis sich Topbas mit den geplanten Großprojekten verewigen kann.

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