zum Hauptinhalt
Am Fuße des Vesuv. Zuletzt gerieten Pompeji und seine jährlich zwei Millionen Besucher in die Fänge von geldgierigen illegalen Führern, Souvenirhändlern und Parkplatzwächtern.

© laif

Italien: Pompeji wird umgebaut

Die weltberühmte Ruinenstadt Pompeji stand vor dem Verfall. Jetzt wird sie gerettet – und Kritiker warnen vor einem antiken Disneyland.

Es riecht nach frischem Brot; irgendwo im Hinterhof spielen Kinder, man hört sie jedenfalls lachen. Maurer hämmern und scherzen, in der Küche klappert Geschirr, und plötzlich wabert der Herr Polybius durch den Raum. Klein, graumeliert, mit weißer Toga und einem Bäuchlein, auf das er stolz ist: Er hat es, als früherer Sklave, zu etwas gebracht; ihm gehört ein Haus in Pompeji. Das zeigt er nun jedem, der es sehen will – solange der bedrohlich grummelnde Vulkan draußen ihm diesen Reichtum lässt.

Herr Polybius ist ein bewegliches, dreidimensionales Hologramm. Aber es hat ihn wirklich gegeben. Die Technik von heute hat den antiken Freigelassenen Gaius Julius Polybius „originalgetreu“ auferweckt aus jenen Abdrücken, die sein Körper im August 79 hinterlassen hat, als der Vesuv die Stadt unter heißer Asche begrub. Polybius sowie die multimedial nachgestellten Geräusche und Gerüche von einst gehören zum Sommerprojekt „Pompeji lebt“, mit dem Sonderkommissar Marcello Fiori jenen modernen Verfall stoppen will, der für die weltberühmte Ruinenstätte auf Dauer nicht minder folgenreich gewesen wäre als der erste.

Pompeji drohte zuletzt gar aus der Unesco-Liste des Weltkulturerbes zu verschwinden, weil es keinen Plan für seine Erhaltung gab. Pausenlos wechselten sich reguläre Chefs und aus Rom entsandte „Not“-Kommissare ab, Archäologen stritten mit Verwaltern, Posten wurden nach wechselnden politischen Mehrheiten vergeben und intrigenreich wieder entzogen.

Zugleich gerieten die weltberühmte Ruinenstadt und ihre jährlich zwei Millionen Besucher in die Fänge von geldgierigen illegalen Führern, Souvenirhändlern und Parkplatzwächtern. Streunende Hunde machten das Flanieren abseits der Hauptwege zur Gefahr, und der Bischof der Marienwallfahrtskirche gleich nebenan predigt immer noch gegen die Menge der Prostituierten: Das sei ja schlimmer als im alten Rom.

Als Marcello Fiori, der gelernte Katastrophenschützer, 2009 sein Amt antrat, fand er in den Kassen Pompejis 40 Millionen Euro vor, die seine Vorgänger vor lauter Konzeptlosigkeit gar nicht geschafft hatten auszugeben. Jetzt sind 37,5 Millionen Euro weg: Fiori hat zahlreiche Baustellen aufgemacht, er hat Häuser zur Besichtigung geöffnet, die über Jahrzehnte geschlossen waren.

Inzwischen sind die Ruinen beleuchtet und offen für Nachtspaziergänge. Im Halbrund des „Großen Theaters“, das seit Jahrzehnten verwaist und dann für Restaurierungen geschlossen war, hat der Dirigent Riccardo Muti diesen Donnerstag wieder angefangen, Konzerte zu geben: sein Jugendorchester nahm es mit der Antike auf.

Genau der Umgang mit dem „Großen Theater“ indes steht derzeit im Mittelpunkt heftiger Kritik. Das antike Pompeji werde „auf dem Altar des modernen Marketings“ geopfert, tönt es aus den Lokalzeitungen. Denkmalschützer, ein privates „Observatorium für das Kulturerbe“, sowie linke Politiker (weil die Regierungsmehrheit derzeit rechts ist) laufen Sturm gegen die „Verschandelung“ und „Zerstörung“ eines der ältesten Römertheater überhaupt.

Weltkulturerbe. Weil es keinen Plan gab, drohte der Entzug des Titels.
Weltkulturerbe. Weil es keinen Plan gab, drohte der Entzug des Titels.

© AFP

Das Theater, sagen sie, sei mitnichten restauriert, sondern mit Baggern ausgeräumt worden. Man habe den antiken Unterbau zerstört, um Kanäle für armdicke Scheinwerferkabel und Rohre für moderne Massentoiletten zu graben. Archäologen wettern, im „Verstoß gegen alle internationalen Regeln der Restaurierung“ sei auch jene einzigartige Anlage zerstört worden, aus der antike Theaterbesucher an heißen Sommertagen mit erfrischendem, parfümiertem Wasser besprenkelt wurden – und all das nur, weil ein allzu hemdsärmeliger Katastrophenschützer als Sonderkommissar unbedingt schnelle Erfolge habe vorweisen wollen.

Antike Schätze. Viele Schauplätze wurden wieder geöffnet.
Antike Schätze. Viele Schauplätze wurden wieder geöffnet.

© picture-alliance / Mel Longhurst

Alles sei „in Stress und Hast“ nur darauf abgestimmt worden, dem großen Riccardo Muti pünktlich zu den Konzertterminen eine standesgemäße, für die Fernsehpropaganda taugliche Bühne bieten zu können. Außerdem, so schimpfen die Kritiker, zeige sich an Pompeji exemplarisch, was die Regierung Berlusconi als „Erschließung von Kulturdenkmälern“ verstehe: Spektakularisierung, „Disneylandisierung“, gewinnorientierte Vermarktung – ohne Rücksicht auf Verluste.

Sonderkommissar Fiori verteidigt sich: Nicht von ihm stammten die Restaurierungspläne für das „Große Theater“; er habe nur endlich einmal ausgeführt, was National- und Regionalregierungen vor ihm längst diskutiert und beschlossen hätten. Mit anderen Worten: Die Kritik, die Fiori von sich weist, bleibt durchaus an früheren Regierungen Berlusconis hängen.

Immer trauriger wird, im Lauf der einstündigen Führung durch seine Villa, auch der Herr Polybius. Am Ende weist er, ein wortloses Zeichen mit dem Kopf, in ein Zimmer, in dem seine hochschwangere Tochter sitzt. Sie streicht sich – ein aus den Gipsabdrücken ihres Leichnams erstelltes, lebensechtes Hologramm – wehklagend über den Bauch, während draußen das Donnern des Vulkans, das Krachen seiner Ausbrüche immer bedrohlicher wird. In dem Moment aber, in dem die Tochter ihre Hand hilfesuchend nach den Touristen ausstreckt und die Angst vor dem Vulkan auf diese überspringt, bricht der Albtraum ab.

Die Inszenierung erlischt, man geht nach draußen in die helle Sonne. Unwillkürlich aber drehen fast alle Besucher auch den Kopf in Richtung Vesuv. Zum Glück schläft er derzeit. Es weiß nur keiner, wie lange noch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false