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Jackson

© dpa

Jackson-Trauerfeier: Heimgeholt

Die Trauerfeier für Michael Jackson wird zu einer Demonstration afroamerikanischen Selbstbewusstseins.

Zumindest haben sie es nicht vergeigt. Die Größe stimmte, und berührende Momente reihten sich nahtlos aneinander. Was die Jackson-Familie zu Ehren ihres toten Sohnes am Dienstag im Staples Center von Los Angeles auf die Beine gestellt hat, war beeindruckend – nicht nur wegen seiner globalen Wirkung ein medienhistorisches Ereignis. Nur Hollywood dürfte so trittsicher auf dem schmalen Grat zwischen Trauer, Bestürzung und Showbusiness wandeln wie bei der zweieinhalbstündigen Zeremonie, die nicht minder imposant geriet als die für ihre atemberaubenden emotionalen Effekte gerühmten Konzerte von Michael Jackson selbst. Perfekt durchdacht, ein Wechselbad der Gefühle. So könnte King Michael I. seiner Sippe verzeihen, dass sie ihn nun nach seinem Tod heimgeholt und zum Hauptgegenstand einer afroamerikanischen Selbstbeweihräucherung gemacht hat.

Vor 22 000 schwarz gekleideten und andächtig schweigenden Besuchern setzte sich im Staples Center eine Tendenz fort, die sich direkt nach Jacksons überraschendem Tod am 25. Juni angekündigt hatte. Schon bei der Verleihung der BET-Awards, einer Auszeichnung afroamerikanischer Künstler in der Fernsehbranche, hatte Moderator Jamie Foxx mit Blick auf Jacksons Herkunft gesagt, er sei „einer von uns gewesen und wir haben ihn mit der Welt geteilt“.

Einer von uns. Das ist das Empfinden vieler Menschen überall auf der Welt, die Michael Jackson als „ihr“ Idol betrachten. Dass die wenigsten ihn dabei als Afroamerikaner wahrnehmen, hängt mit dem hartnäckigen Bemühen Jacksons zusammen, sich seiner Hautfarbe, Herkunft, seiner Karriere als Kinderstar und letztlich auch seiner Familie zu entwinden. Als Grenzgänger quittierte er die Frage „black or white“ mit dem Satz: „it doesn’t matter“. Sein immer heller werdender Teint und maskenhaftes Äußeres, die Verschlankung seiner Nase, bis diese in sich zusammenfiel, drückten den manischen Wunsch aus, eben nicht mehr als „Schwarzer“ stigmatisierbar zu sein. Auch seine Musik reflektierte das Auflösungsbegehren. In einem furiosen Manöver löste Jackson die Bande, die die Soul- Musik seiner Anfänge bei Motown an schwarze, spirituelle Gospeltraditionen band, er mischte Hard-Rock- und Funk- Gitarren dazu und ließ sie von synthetischen Disco-Beats antreiben. Fertig war etwas, das es seit den Rolling Stones nicht mehr gegeben hatte: Musik ohne Hautfarbe.

Davon ist an diesem Gedenktag nichts mehr zu spüren. „Vielleicht wussten wir nicht, wer er war“, sagt Queen Latifah, „aber er war unser“ – und meint damit afroamerikanische Künstler wie sie selbst, denen Jackson den Weg geebnet habe. Diese Überzeugungsarbeit tut offennbar Not. Die Schwarzen Amerikas verfolgten die Wandlungen Michael Jacksons und den kometenhaften Aufstieg zum „King of Pop“ mit gemischten Gefühlen. HipHop war ihnen näher. Als im Zuge der Missbrauchsvorwürfe zudem bekannt wurde, dass der Musiker auf der Neverland Ranch die Nähe und Vertrautheit weißer Jungs gesucht hatte, war das der letzte Beweis für eine Entfremdung, die Motown-Magnat Berry Gordy mit den Worten umschrieb, Michael habe sich „auf eine eigene Umlaufbahn begeben, und er kam nie wieder zurück“.

Immerhin lässt Gordy die Disanz erkennen, über die alle Anwesenden im Nachinein wohl am meisten erschüttert sind. Nachdem der Jackson-Clan in privater Runde einen Trauergottesdienst abgehalten hatte, zog er ins Staples-Auditorium, wo der Abschied von Michael Jackson zur erweiterteten Familienfeier wird. Nicht pietätlos. Aber doch von dem Wunsch genährt, den als Freak verunglimpften Popstar zu rehabilitieren, als einen Menschen voller Wärme und Liebe darzustellen, dessen „Sensibilität größer war als sein Talent“, wie es einmal heißt. Man spürt, wie sehr Stars wie Stevie Wonder, Mariah Carey und Usher, Brooke Shields, die Kinder Martin Luther Kings und die Basketball- Helden Cobe Bryant und Magic Johnson ein Unrecht wieder gut machen wollen. Jacksons Kindern ruft Bürgerrechtler Al Sharpton zu, „es hat nichts Seltsames an eurem Vater gegeben, sondern seltsam war, womit er umgehen musste“.

Die Rede des Predigers besiegelt den Friedensschluss. Dass Jacksons Leichnam zu den Choral-Zeilen „Very soon we are going to see the king“ in die Halle geschoben wird, dass es zahlreiche Christus- Verweise gibt und Mariah Carey Jesus mit Jacko verwechselt („Thank you Jesus – we’ll miss you“) bereitet dafür den Boden. Immer lauter, energischer stellt Sharpton die Karriere Jacksons als idealtypischen afroamerikanischen Aufstieg dar. Der kleine Junge aus armen Verhältnissen, der einen Traum hat, und dafür alles auf sich nimmt. „Danke, Michael, danke, danke, danke!“

Michael Jacksons Musik tritt vor solchen Demutsgesten in den Hintergrund. Die meisten Songs der Veranstaltung stammen nicht aus seiner Feder. „Bad“ oder „Wanna Be Startin’ Somethin’“ hätten mit ihrer Wucht auch schwerlich hierher gepasst. Trotzdem bewegt, wie die schwarzen Superstars Stevie Wonder und Lionel Ritchie eigene Balladen singen, wie Usher „Gone To Soon“ aufleben lässt und Jennifer Hudsons Beitrag „Will You Be There“ durch ein Originaleinspiel von Jacksons Stimme zum Menetekel wird. Wobei Mariah Carey als Erste vor dem unerwarteten Anblick des goldenen, mit Rosen bedeckten Sargs, der kurz zuvor in einen Lichtkreis vor die Bühne geschoben wurde, die Stimme versagt. „I’ll Be There“, fispelt sie. Aber es packt sie der Zorn, so findet sie auch musikalisch zur Fassung zurück. Usher wird es später besser machen, als er zum Sarg hinabsteigt und seine Hand auflegt. Mit der leibhaftigen Anwesenheit des Toten hatte niemand gerechnet. Dass er da liegt in dem metallisch-vergoldeten Gehäuse, verwandelt die Szenerie in etwas anderes als Teilhabe. Man ahnt, jeden Augenblick kann etwas Unvorhergesehenes passieren.

Es passiert dann auch, als beinahe alles vorbei ist. Zu „We Are The World“ und „Heal The World“ wird es immer voller auf der Bühne, das Finale: Alles wird gut. Doch das Abschlussbild gerät zum heartbreaking moment. Paris, die elfjährige Tochter Jacksons, gesteht unter Tränen, wie sehr sie ihren Vater liebe und vermisse. Da ist er plötzlich – der Mensch.

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