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Im französischen Le Vernet, nahe dem Absturzort des Airbus, erinnert eine Gedenktafel in vier Sprachen an die 149 Opfer der Katastrophe.

© Peter Kneffel/ dpa

Jahrestag Germanwings-Absturz: Wie Angehörige der Opfer trauern

Am 24. März 2015 ließ Andreas Lubitz den Germanwings-Flug 4U9525 abstürzen - alle 149 Passagiere starben. Ihre Angehörigen gehen mit dem Verlust unterschiedlich um.

Sie wird ihn still und leise begehen, diesen 24. März. Eine Kerze wird Nele Solf vielleicht anzünden, sagt sie, "und den Sternen und den Vögeln von Jule erzählen". Und die junge Frau dürfte viel zu erzählen haben über ihre Freundin Juliane Noack. Die Künstlerin starb vor einem Jahr in der Germanwings-Maschine mit der Flugnummer 4U9525, die Kopilot Andreas Lubitz mutwillig gegen einen Berg steuerte. 30 Jahre alt war Noack – und im dritten Monat schwanger. Solf und Noack waren Mitbewohnerinnen, lebten gemeinsam in Leipzig. "Wir haben unseren Alltag geteilt", sagt Solf, "und als sie plötzlich nicht mehr da war, war das komplett schockierend für uns alle."

Doch in gewisser Weise lebt die junge Künstlerin für ihre Angehörigen und Freunde weiter. Nach ihrem Tod gründete Noacks Lebensgefährte David Nowak einen Förderverein, der ihren Namen trägt. Ziel des Vereins ist die Unterstützung junger Künstler. Noch sind Vorstand und Mitglieder dabei, Gelder einzuwerben; sobald genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, soll der Förderverein zu einer Stiftung werden.

"Juliane war selber in dieser Situation. Als junge Künstlerin den Lebensunterhalt zusammenbekommen, ist eine schwierige Sache. Sie war gerade zwei Jahre mit dem Studium fertig, hier und da hatte sie eine Ausstellung, nebenbei hat sie immer gejobbt. Eigentlich hat sie von der Hand in den Mund gelebt. Dieses Problem wurde dann natürlich nochmal drängender, als sie schwanger wurde", erklärt Nele Solf.

Ein Förderverein für Künstler als Trauerarbeit

"In gewisser Weise ist die Arbeit an dem Projekt auch Trauerarbeit für uns", sagt Lukas Adolphi, ein enger Freund Noacks und ebenfalls Mitglied des Vereins. "Und Jule war eine Macher-Persönlichkeit. Ihr in einer aktiven, konstruktiven Form zu gedenken, die auf ein Ziel gerichtet ist, das hätte ihr gefallen." Nele Solf bestätigt das: "Es fühlt sich so an, als ob wir durch den Verein Julianes so sinnlosem Tod zumindest einen kleinen Sinn geben konnten. Wir können so ein bisschen besser mit dem Unfassbaren umgehen."

Es war ein schwieriges Jahr für Freunde und Familie von Juliane Noack. "Wenn jemand, der einem nahesteht, stirbt, dann ändert sich auf einmal alles. Normalerweise weiß der Rest der Welt davon nichts – in diesem Fall schon", sagt Nele Solf. Ein individuelles Gefühl der Trauer sei zu einem kollektiven geworden. Damit umzugehen, sei nach wie vor schwer. Auch die Berichterstattung der Medien kurz nach dem Absturz der Germanwings-Maschine kritisiert Solf: "Es wurde in sehr kurzer Zeit sehr viel spekuliert, besonders über die Motive von Lubitz, dem Piloten." Das sei für sie "sehr belastend" gewesen.

Haltern: "Unglück gehört zur Stadtgeschichte"

Auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Haltern am See riss Lubitz vor einem Jahr mit in den Tod. An der Schule ist inzwischen der Alltag wieder eingekehrt, trotzdem ist die Katastrophe präsent. Auf dem Pausenhof steht eine große Gedenktafel mit den Namen der Opfer, vor der Stahlplatte stehen Bänke.

"Da sitzen in den Pausen Schüler. Und das ist das, was ich immer gut finde: Es herrscht hier nicht so ein Zwang zum Schweigen, zur Andacht. Es wird hier wieder gelacht, gescherzt", sagt Schulleiter Ulrich Wessel. Trotzdem sei die ganze Stadt geprägt von der Katastrophe, erklärt Bodo Klimpel, Bürgermeister der 38.000-Einwohner-Gemeinde. "Das Unglück gehört zu unserer Stadtgeschichte. Auch nach einem Jahr ist die Trauer nach wie vor vorhanden."

"Trauer noch nicht erträglicher"

Eines der Halterner Opfer war die 16-jährige Elena Bleß. Ihre Mutter Annette sagt, den Eltern der verstorbenen Schüler gehe es "sehr unterschiedlich". "Viele konnten lange Zeit gar nicht arbeiten. Es ist jedenfalls nicht so, dass die Trauer jetzt schon erträglicher geworden wäre. Es ist nach wie vor sehr schwer und gerade jetzt zum Jahrestag hin ist es besonders belastend."

Genau wie die Angehörigen von Juliane Noack gründeten auch Annette Bleß und ihr Mann Martin eine Stiftung, die den Namen ihrer Tochter trägt. Die "Elena Bleß-Stiftung" soll Schüler bei Austauschprogrammen und Auslandspraktika unterstützen. "Kein Denkmal aus Stein und Stahl" wollten die Eltern der Schülerin ihrer Tochter setzen, heißt es auf der Internetseite der Stiftung -"sondern eines, das anderen ermöglicht, auch zu erleben, was ihr immer so große Freude bereitet hat: Sprachen lernen, Menschen begegnen und sich verständigen."

Gedenken in Le Vernet

Auch das Ehepaar Bleß wird am Donnerstag bei der Trauerfeier in Le Vernet dabei sein, der Alpengemeinde nahe der Absturzstelle. Doch noch am selben Tag will das Paar wieder zurückfliegen. Am 25. März wäre Elena 17 Jahre alt geworden – und zum Geburtstag ihrer Tochter möchten die beiden in ihrer Heimat Haltern sein. Auch Juliane Noacks Freunde haben im vergangenen September ihren Geburtstag gefeiert –und möchten das dieses Jahr wieder tun. Für Nele Solf ist das "ein viel schönerer Anlass, an sie zu denken, als ihr Todestag". (mit dpa)

Julia Beil

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