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JVA Siegburg: "Tote können nichts mehr erzählen"

Gut fünf Monate nach dem Tod eines Häftlings in Siegburg werden die drei geständigen Zellengenossen des Opfers wegen Foltermordes angeklagt. Vor der Tötung notierten die Täter die Vor- und Nachteile des Mordes.

Bonn - Die Ermittlungen gegen die fünf Justizbeamten wurden eingestellt. Den Vollzugsbediensteten war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft kein pflichtwidriges Verhalten nachzuweisen. Den drei Beschuldigten legen die Strafverfolger zur Last, ihren 20-jährigen Mithäftling auf grausame Weise aus Mordlust, niedrigen Beweggründen und zur Verdeckung von Straftaten umgebracht zu haben. Außerdem müssen sich die zur Tatzeit 17, 19 und 20 Jahren alten Männer demnächst wegen Misshandlung, sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung vor Gericht verantworten.

Das Verbrechen vom 11. November vergangenen Jahres hatte wegen der Brutalität der Täter bundesweit Entsetzen ausgelöst. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zwangen die Häftlinge Ralf A., Danny K. und Pascal I. ihr Opfer nach stundenlangem Martyrium, sich selbst in der Zelle der Siegburger Justizvollzugsanstalt (JVA) aufzuhängen. Zuvor hatte Hermann H. unter anderem Wasser mit scharfem Pulver und Salz trinken, eine Tube Zahnpasta essen und aus dem Halter der Toilettenbürste Urin und Spucke trinken müssen.

"Sehen, wie ein Mensch stirbt"

Nach Angaben der Strafverfolger notierten die Zellengenossen vor dem Mord auf einer Liste, was für und was gegen eine Tötung des 20-Jährigen spreche. Als Nachteile der späteren Tat vermerkten sie demnach unter anderem, dass vier Leute auf einer Zelle mehr einkaufen dürften als drei. Als Vorteil stuften sie dagegen ein, dass sie nach dem als Selbstmord getarnten Verbrechen psychische Probleme vortäuschen und so auf eine frühere Haftentlassung hoffen dürften. Auch fand sich auf der Liste der Eintrag "Tote können nichts mehr erzählen". Einer der Beschuldigten gab zudem an, die Täter hätten sehen wollen, wie ein Mensch stirbt.

Dagegen fand die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben bei ihren Ermittlungen keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten der Justizbeamten. Nach dem Mord hatten die Ermittler neben dem damaligen Gefängnisleiter zwei seiner Mitarbeiter ins Visier genommen, die für die Zusammenlegung der mutmaßlichen Täter mit dem Opfer verantwortlich waren. Ermittelt wurde auch gegen zwei Beamte, die am Tattag die Zelle zu Kontrollzwecken betreten und vom Martyrium des Opfers angeblich nichts bemerkt hatten.

Opfer war "sehr zufrieden"

Strafrechtliche Vorwürfe seien den JVA-Beschäftigten aber nicht zu machen, befanden die Strafverfolger. So seien zwar zwei der Täter als "potenziell gewalttätig" einzuschätzen gewesen. Hinweise auf eine "hohe konkrete Gefährlichkeit" der Männer habe es aber nicht gegeben. Zudem habe der später ermordete H. noch am Tag vor dem Verbrechen einer Sozialarbeiterin gesagt, er sei mit der Situation in der Zellengemeinschaft "sehr zufrieden".

Der Foltermord von Siegburg beschäftigt seit Monaten auch die Landespolitik. Die SPD-Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag forderte im Zusammenhang mit der Bluttat wiederholt den Rücktritt von Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU). Ende März setzte das Landesparlament einen parlamentarischen Untersuchungsauschuss ein, der mögliche Mängel und Missstände in dem Siegburger Gefängnis und im gesamten Strafvollzug des Bundeslandes untersuchen soll. (tso/AFP)

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