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Verteidiger Johann Schwenn trägt bei Gericht grundsätzlich rote Socken. Damit das jeder sieht, stieg er auch am Dienstag langsam aus dem Wagen. Er schafft es, dass die Socken auch noch dann für kurze Zeit zu sehen sind, wenn er schon aufrecht steht. Offenbar schafft er das, indem er die Oberschenkel beim Herausdrehen aus dem Wagen zusammenhält, so dass die Hose einen Moment angehoben bleibt.

© Reuters

Auftritt Schwenn: Kachelmanns Anwalt fordert Freispruch

Im Vergewaltigungsprozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann hat die Verteidigung Freispruch beantragt. Anwalt Johann Schwenn sieht keinen einzigen Beweis für eine Schuld seines Mandanten.

Es war der Tag der Verteidigung in Mannheim, der Tag des Johann Schwenn, der pünktlich und akkurat wie stets an der Spalier stehenden Presse vorbei in den Saal des Landgerichts gerollkoffert kam. Der Hamburger Strafverteidiger durfte am Dienstag, zum Abschluss des Prozesses gegen Jörg Kachelmann, richtig ausholen.

Die angebliche Vergewaltigung von Claudia D. in einer Februarnacht 2010, für ihn ist sie nach dem Ende der Beweisaufnahme das Produkt hasserfüllter Fantasie einer gekränkten Frau. Ein Lügengebäude, abgestützt durch eine Staatsanwaltschaft, die „notorisch gutgläubig“ sei, als kritische, objektive Instanz „ein Totalausfall“, die sich „unwürdiger Tricks“ bedient habe. Sie sei einer alten Schlager-Devise gefolgt: „Tränen lügen nicht“, sagt er in seinem Plädoyer. Wenn das Opfer geweint habe, sei es ebenso ein Beleg für die Richtigkeit ihrer Aussagen gewesen wie wenn sie gelogen, sich in Widersprüche verstrickt oder auf Erinnerungslücken berufen habe.

Die Nebenklägerin sitzt, mit dem Rücken zum Publikum, stumm daneben. Manchmal schüttelt sie kaum merklich den Kopf.

Dabei sei sie nur eine von ihrem Geliebten Betrogene, wie es viele gibt, fährt Schwenn fort. „Jeder Familienvater, der sich eine Jüngere nimmt und sich von seiner Frau abwendet, hat mehr Schaden angerichtet als Jörg Kachelmann“, sagt er und appelliert an das Gericht: „Die Zeiten sind vorbei, in denen man Sexualmoral zum Maßstab machte. Die Strafkammer ist nicht die Rächerin enttäuschter Frauen.“ So beantragt Schwenn am Schluss seines knapp anderthalbstündigen Schlussvortrags einen Freispruch für seinen Mandanten und Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.

„Jeder Richter weiß, dass Untersuchungshaft soziale Vernichtung bedeutet“, kritisiert der Anwalt, gleichwohl hätten Staatsanwälte und Gericht immer an ihrem Tatverdacht festgehalten. Die Ankläger hätten zudem die Medien gefüttert, um „die Spurenlage als für Kachelmann verhängnisvoll erscheinen zu lassen“. Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge habe sich in seinem Plädoyer nur an Zuschauer und Medien gewandt, „denn nur von ihnen erwartet er das Urteil, auf das es für ihn ankommt“. Es sei nunmehr das „einzige Ziel“ der Ankläger, noch zu verhindern, dass die Hauptbelastungszeugin wegen einer Falschaussage bestraft wird. „Gipfel des Abstoßenden“ sei die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmilderung wegen der Anprangerung des Angeklagten in der Öffentlichkeit.

Johann Schwenn, 63 Jahre alt, gilt als ein Schwergewicht seines Fachs. Er ist ein Konfliktverteidiger, einer, der angreift und der sich verteidigt, wenn er angegriffen wird. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum gemütlichen Reinhard Birkenstock aus Köln, seinem Vorgänger, den Kachelmann gefeuert hatte. Birkenstock hatte es mit einer pädagogisch einsichtigen Strategie versucht: Lass die Richter selbst erkennen, dass sie auf dem falschen Weg sind, wenn sie verurteilen wollen. Dann überzeugen sie sich selbst. Schwenn dagegen sucht die Konfrontation, will seine Wahrheit in die Köpfe der Richter hämmern wie Nägel an die Wand. Er schulmeistert in diesem Prozess die Richter, macht die Staatsanwälte verächtlich. Gelingt ihm eine Attacke, schnaubt er zufrieden, geht sie daneben, nimmt er sich trotzdem das letzte Wort heraus. Sein Plädoyer, ruhig, aber mit scharfen Worten vorgetragen, gerät ihm zur Abrechnung.

In Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge erkennt er einen in besonderer Weise Schuldigen. Der jungenhaft wirkende Ankläger mit Studentenfrisur und auffällig hoher Stimme ist für ihn der uneinsichtige Schüler, bei dem alle Mühe vergebens ist. Er hat sich verrannt, will es nicht besser wissen. Er hat keine Argumente mehr verdient, nur Ablehnung.

Doch manches an der Überheblichkeit ist Pose. Leute, die ihn kennen, schildern den silberhaarigen Maßanzugträger, der eine Vorliebe für geschmacklich streitbare rote Socken pflegt, als umgänglich, locker, ja witzig. In Verfahren, die weniger Publikum und Presse anlocken, verzichtet er häufiger auf aggressive Attitüden. Schwenn kann auch sachlich. Schwenn, sagen Kollegen, ist trotz selbstgewissen Auftretens, seines Mercedes und der Eigenschaft, die eigenen Beweisanträge gelegentlich „brillant“ zu finden, ein Hamburger mit Understatement, eitel, aber kein Angeber. Seine Kanzlei am Hamburger Elbufer ist nüchtern und verzichtet auf jenen Büroprotz, den ähnlich erfolgreiche Kollegen gern ausstellen, der Mitarbeiter-Dresscode ist leger, im kahlen weißen Besprechungszimmer hängt kein einziges Bild an der Wand.

Und er kennt sich aus, vor allem in Fragen des Strafprozessrechts, kann mit Inbrunst darüber räsonieren, welcher Richter wie und wann am Bundesgerichtshof wirkte. Das Kachelmann-Verfahren, sagen Kollegen, sei ihm deshalb auf den Leib geschneidert, auch im Hinblick auf eine mögliche Revision. Ein Freispruch aber wäre, trotz bislang schon prominenter Namen auf der Mandantenliste, wohl die Krönung seiner Karriere. Und so sieht er es wohl auch selbst.

Gleichwohl, erzählt man aus seinem Umfeld, sei das für ihn noch keine ausgemachte Sache. Anders als im Gerichtssaal soll er sich, wenn Kameras und Zuschauer weg sind, in den letzten Wochen skeptischer geben, fast sogar ein wenig kleinlaut und spricht dann in eher ungewohnt demütigem Tonfall davon, dass es auch anders ausgehen könnte als erwünscht, dass das Ende in Mannheim offen sei.

Eine Haltung, die sich in gewisser Weiser am Mittwoch bestätigt, indem sich Schwenn gleich eingangs seines Plädoyerst an die beiden Schöffen wendet und ihnen deutlich macht, dass sie mit ihren Stimmen einen Freispruch auch gegen den Willen der drei Berufsrichter erreichen können. Er spricht sie sogar, eine ausgesuchte Höflichkeitsgeste, mit Namen an. Man gewinnt den Eindruck, sie sind für Schwenn, wenn nicht die einzige, dann zumindest eine große Hoffnung, um einen Schuldspruch abzuwenden.

Aber an ihm soll es nicht liegen, auch nicht an seiner Kollegin Andrea Combé, die am Vormittag über dreieinhalb Stunden klarmachen wollte, was von der Nebenklägerin zu halten sei: Rache und Hass sei ihr Motiv gewesen, Kachelmann falsch zu beschuldigen nach dem Motto: „Du hast mich vernichtet, also vernichte ich Dich“. Niemals hätte sie in der angeblichen Tatnacht damit gerechnet, dass Kachelmann nach seinem Geständnis anderer Liebschaften sie verlassen würde; eine Zukunft sei für sie zusammengebrochen, auf die sie gebaut habe, obwohl sie schon wusste, dass der Geliebte untreu war. Für Combé ist Claudia D., wie für Schwenn, die geborene Lügnerin, der es gelang, alle zu täuschen, erfahrene Polizisten ebenso wie die Staatsanwälte. Ihre Lügen schildert sie als „charakterliche Eigenschaft“, immer wieder habe sie nachweisbar falsche Angaben gemacht, auch habe sie eine komplette Legende erfunden, um unter Aliasnamen mit ihrer Nebenbuhlerin Viola S. per Chat in Kontakt zu kommen.

Es gebe „keinen einzigen Sachbeweis“, der eine Schuld Kachelmanns eindeutig belege, sagt Combé, die Detail für Detail sorgfältig aneinanderreiht. Die Staatsanwaltschaft unterlasse eine „seriöse Beweisführung“. Zeuginnen, die von Kachelmanns „Grenzüberschreitungen“ in der Sexualität berichtet haben, spielten für das Verfahren keine Rolle. „Es sind keine tragfähigen Aussagen, zudem wollten die Frauen Kasse machen“, indem sie ihre Berichte an die Medien verkauft hätten. Objektive Indizien, etwa das Fehlen von Hautpartikeln am Saum des angeblich hochgerissenen Kleids oder am angeblichen Tatmesser sprächen klar für eine Falschbeschuldigung.

Am Nachmittag bekommt der Angeklagte, der im ganzen Prozess geschwiegen hatte, das letzte Wort. Will er es? „Nein, danke“, sagt Kachelmann höflich, aber etwas desorientiert, und schweigt weiter. Das Landgericht will sein Urteil am kommenden Dienstag verkünden.

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