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Geschlossen. Auch der neue Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal will keine Vergnügungsmeilen: Im Isaf-Hauptquartier in Kabul, das einen lauschigen Biergarten besaß, verbot er den Alkoholausschank, Burger King auf der US-Basis Bagram ließ er dichtmachen. Foto: pa/dpa

© picture-alliance / dpa/dpaweb

Panorama: Kampfgebiet – auch gegen Alkohol

Jahrelang beherbergte Kabul eine muntere Partyszene. Nun will die Polizei das „sündige Treiben“ stoppen

Der durchtrainierte Privatsöldner aus Südkorea ist genervt. Es ist Nacht in Kabul, und der Mittdreißiger, der bei einer privaten Sicherheitsfirma arbeitet, hat Bierdurst. Doch das handgemalte Schild an der populären Bar „Lounge“ verkündet seit Tagen eisern: „Heute geschlossen“. Auch andernorts stehen Ausländer in Kabul vor verschlossenen Türen – oder müssen sich neuerdings mit Wasser und Fruchtsaft begnügen.

Kabuls Ausländergemeinde sitzt auf dem Trockenen. Die Regierung hat ihr weitgehend den Zapfhahn zugedreht. Binnen weniger Tage wurden die vier beliebtesten Nachtlokale Opfer von rüden Razzien, die Polizei kassierte tausende Flaschen Bier, Wein und Spirituosen ein. Andere Lokale nahmen daraufhin Alkohol lieber gleich von der Karte. Der Zwangsentzug scheint einige Ausländer mehr zu erregen als Terror und Bomben. Einige Journalisten sprachen gar von „Szenen wie unter den Taliban“.

Es gehört zu den eher gehüteten Geheimnissen, dass Kabul über Jahre eine rege ausländische Partyszene beherbergte. Tausende, wahrscheinlich zehntausende Ausländer – Helfer, Diplomaten, Söldner, Geschäftsleute – tummeln sich in Afghanistans Hauptstadt, viele haben Bündel voller Dollars in der Tasche, aber wenig zu tun in ihrer Freizeit. Über Jahre duldeten die Behörden, dass die Expats, wie man sie nennt, abends bei einem Drink ausspannen. Und stellten Ausnahmelizenzen für die West-Lokale aus.

So schuf sich die Ausländergemeinde inmitten der Hauptstadt des islamischen Landes kleine Party- und Ausgehinseln, eine surreale Parallelwelt fernab vom afghanischen Alltag. Hinter hohen Mauern und beschützt von Wächtern mit Gewehren entstanden Clubs, Bars und Restaurants, die Ausländern und auch der afghanischen Elite bei lauschiger Musik internationale Küche und geistige Getränke kredenzen. Ein Abendessen dort kann leicht mehr kosten, als ein normaler Afghane im Monat verdient.

Doch der Tanz auf dem Vulkan scheint nun vorerst ein Ende zu finden. Selbst das legendäre „L’Atmosphère“, ein französisches Lokal, das in Kabul schon Institution ist, blieb nicht verschont. Seit 2004 bietet das „L’Atmo“ eine Oase französischer Lebensart. Man kann Pâté speisen, Wein trinken oder am Gin Tonic nippen. Kabul-Veteranen schwärmen noch immer von den „Wild and wet“-Parties am Swimmingpool.

Der Hunger nach Zerstreuung ist verständlich. Die latente Terrorgefahr frisst an den Nerven, viele Ausländer haben einen Lagerkoller. Aber der Alkohol-Krieg zeigt auch, wie groß die Kluft zwischen Einheimischen und Ausländern ist. Von den Afghanen können die trinkfreudigen Ausländer wenig Sympathie erwarten. Viele sehen die West-Lokale als „Zentren der Unmoral“ und fühlen sich durch das „sündige Treiben“ brüskiert. Weil der Ausschank von Alkohol an Muslime verboten ist, ist Afghanen der Zutritt zudem verwehrt. „Nur Inhaber eines ausländischen Passes“, heißt es auf Schildern, die ungute Vergleiche heraufbeschwören. Nur reiche Afghanen standen über dem Verbot.

Nun wurden die einschlägigen Bars bereits in denVorjahren immer mal wieder von der Polizei dichtgemacht. Meist wollten die Behörden einfach mehr Schmiergeld von den ausländischen Inhabern erpressen. Doch diesmal scheint es ernster. Einige wähnen hinter dem Kreuzzug gegen die Bars eine Racheaktion von Präsident Hamid Karsai gegen den Westen, mit dem er immer öfter über Kreuz liege. Ein US-Diplomat hatte Karsai sogar unterstellt, Drogen zu nehmen. Nun wolle Karsai die Ausländer schikanieren, indem er ihnen den Feierabend-Drink versage, klagen Ausländer in Kabul. Es werde immer schwerer, in der Hauptstadt noch an Alkohol zu kommen.

Andere nehmen es gelassener: „Ich halte das für richtig. Dies ist ein islamisches Land. Wir sind Gäste hier und sollten die Kultur und Sitten respektieren“, sagt ein Brite. Auch der neue Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal, der angeblich gut mit Karsai kann, hat die Truppen zur Askese verdonnert: Im Isaf-Hauptquartier in Kabul, das einen lauschigen Biergarten besaß, ließ er Alkohol bannen, auf den US-Basen Bagram und Kandahar Burger King und Co. dichtmachen. „Dies ist ein Kampfgebiet, keine Vergnügungsmeile“, begründete sein Sprecher.

Viele Ausländer in Kabul hoffen, dass die Zeit der Entbehrung bald endet und der Alkohol wieder fließt. Andere stellen sich auf eine Durststrecke ein und decken sich zu Mondpreisen auf dem Schwarzmarkt ein. Nur Diplomaten sind fein raus, sie sind vom Alkoholbann ausgenommen. Ein Brite vermutet hinter dem Schlag gegen die West-Lokale eine Zeitenwende. „Die Afghanen wollen ihr Land zurückhaben“, meint er.

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