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Panorama: Kann denn Beten Sünde sein?

In einer Istanbuler Moschee wurden Frauen ohne Kopftuch fotografiert: Ein Affront gegen streng Gläubige

Auf den ersten Blick sieht das Foto recht harmlos aus. Männer und Frauen stehen nebeneinander in einer Reihe, die Hände vor dem Bauch verschränkt, manche haben die Augen geschlossen. Die Gruppe wurde vor einigen Tagen beim Gebet in einer Istanbuler Moschee fotografiert. Eine friedliche Szene, könnte man meinen. Doch als die Zeitung „Takvim“ das Bild veröffentlichte, war das eine Sensation. Denn nach dem traditionellen Verständnis im Islam müssen Frauen in den Moscheen getrennt von den Männern beten. Vor allem aber müssen sie ein Kopftuch tragen. Die Frauen auf dem Foto aber trugen ihre Haare offen. Nun ermittelt die Polizei, Gelehrte melden sich zu Wort, und ein Regierungsberater bangt um seinen Posten.

In der Türkei gibt es immer Anlässe für Diskussionen über den Stellenwert der Frau im Islam. Vor einigen Jahren sorgte ein liberaler Imam für Aufsehen, weil er Frauen beim Gebet in der ersten Reihe duldete – nach traditionellem Verständnis haben sich Frauen im Hintergrund zu halten. Dass sich nun in der Subasi-Moschee offenbar ein organisierter Verein versammelte und dass Beyza Zapsu, die Frau von Cüneyd Zapsu, einem einflussreichen Berater von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, zu der Gruppe gehörte, macht den Fall zu einem Politikum. Nur wenige Islam-Experten sehen das Gebet ohne Kopftuch als persönliche Glaubensauslegung, die meisten Gelehrten brandmarken das Verhalten als unislamisch.

Die liberalen Gläubigen aber sind sich keiner Schuld bewusst. Es handele sich um eine informelle Gruppe, die regelmäßig gemeinsam Tee trinke und eben auch zum Beten gehe, sagte einer von ihnen, der pensionierte Zahnarzt Ahmet Küre. Sie seien gebildete Leute, allesamt Anhänger von Staatsgründer Atatürk, dem der Islam ein Graus war.

Die Polizei fragte beim Imam der Moschee nach, um herauszufinden, ob hier eine – in der Türkei verbotene – islamische Bruderschaft einen Angriff auf den Glauben plane. Erdogan-Berater Zapsu räumte ein, er habe nicht gewusst, dass seine Frau ohne Kopftuch bete. Beyza Zapsu selbst musste Berichte dementieren, sie als Frau habe in der Moschee sogar die Aufgaben eines Vorbeters übernehmen wollen. „Lasst uns eine Revolution starten“, soll sie gesagt haben. Da helfen auch Dementis wenig. Die gemäßigt-islamistische Zeitung „Zaman“ berichtete von Vermutungen, die Moschee-Aktion sei von christlichen Missionaren aus den USA angezettelt worden, die den Islam verwässern und Verwirrung in den Köpfen der Gläubigen stiften wollten.

Mit einer zu 99 Prozent moslemischen Bevölkerung versucht die Türkei, radikalen Kräften keine Chance zu geben. Das staatliche Religionsamt kontrolliert alle 70 000 Moscheen, bezahlt die Imame und schreibt die Freitagspredigten. Regierungschef Erdogan, ein frommer Moslem bemüht sich, die Wogen zu glätten – um die Aufregung um das Foto nicht zu einem Problem seiner Partei AKP zu machen. Deren religiöser Flügel ist ohnehin unzufrieden, weil er bisher keine Lockerung des Kopftuchverbots durchgesetzt hat.

Sein Berater Zapsu gestand einem Zeitungskolumnisten bereits, unter dem Druck religiöser Kreise möglicherweise vor der Wahl zu stehen, entweder seine Karriere oder seine Ehe aufzugeben.

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