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Paul Pott

© dpa

Karriere: Das Märchen von Paul Potts

Seine Chance kam, als er vor Millionen sang: Paul Potts stand da - untersetzt, mit schiefen Zähnen und hilflos hängenden Armen. Dann erhob er seine Stimme und aus spöttischer Häme wurde grenzenlose Begeisterung. Vincerò!

Seine Geschichte verkörpert die Sehnsucht, die tief verborgen in allen Menschen steckt: Endlich als die wertvolle, einzigartige Persönlichkeit erkannt zu werden, die man im Innersten ist. Sei man, eingezwängt in das unnachgiebige Korsett des täglichen Überlebenskampfes, ein kleiner Handy-Verkäufer oder Regal-Einräumer im Supermarkt, verschuldet, krank, klein und nicht mehr ganz jung. Wie Paul Potts.

Niemand, auch nicht er selbst, hätte jemals gedacht, was aus ihm werden würde. Wie er dastand, in einem preiswerten Anzug, untersetzt und pummelig, mit schiefen Zähnen, hilflos hängenden Armen und einfältig-treuem Lächeln. Da stand er also, vor dem Publikum der britischen Casting-Show „Britain’s got talent“, dem Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“. Die überheblichen Blicke der dreiköpfigen Jury verhießen nichts Gutes. Dann begann der 37 Jahre alte Waliser zu singen. Eine Opernarie. Ausgerechnet. Paul Potts sang „Nessun dorma“ von Puccini. Enthusiastisch, selbstvergessen, sich nicht darum kümmernd, dass er hier vor einer gnadenlosen Jury als Kasper dasteht. Dann, plötzlich, schlägt die Stimmung um im Saal, aus spöttischer Häme wird grenzenlose Begeisterung. Zuschauer, auch das Jury-Mitglied Amanda Holden, weinen vor Rührung.

Es ist eine eigene, ergreifende Emotionalität, die Potts mit seinem Auftreten transportiert. Er scheut sich nicht vor Pathos, Rührung und Leidenschaft und erlaubt damit auch seinen Zuhörern das Eintauchen in den Rausch der intensiven Gefühle. Große Oper. Vor allem aber steht Potts für den Verlierertyp, der es aus seinem lang erduldeten Schattendasein schafft, für den Tellerwäscher, der zum Millionär wird, für den Underdog, der es den Hellen, Strahlenden, vom Schicksal Begünstigten zeigen kann. Die bewegenden Momente seines Auftritts bei der Talentshow kann man seitdem nicht nur auf dem Videoportal Youtube miterleben, wo der Clip bisher über 30 Millionen Mal angeklickt wurde, sondern seit Juli auch in einer Fernseh- und Internetwerbung der Telekom. Dieser Werbespot machte Potts mit einiger Verspätung auch in Deutschland auf einen Schlag berühmt. Sein Album „One Chance“ steht diese Woche auf Platz eins der deutschen Charts und hat Coldplay verdrängt. Am 15. August wird sein „Nessun dorma“ als Single veröffentlicht. Außerdem wird Paul Potts zum Bundesligaauftakt vor dem Eröffnungsspiel Bayern München gegen den HSV auftreten.

Es ist der Zeitpunkt, an dem die deutschen Feuilletons, die ihn vorher ignoriert hatten, anfangen, über ihn zu schreiben. Kritisch natürlich. So mäkelt die „FAZ“, Potts und die Plattenfirma Sony BMG hätten verschwiegen oder heruntergespielt, dass er bereits einiges an sängerischer Vorerfahrung mitbringe. Der Vorwurf ist nicht ganz nachvollziehbar. Paul Potts Lebensgeschichte wird schon seit längerer Zeit immer wieder in englisch- und deutschsprachigen Medien erzählt. Niemand hat irgendetwas verheimlicht. Warum auch? Immer wieder war von dem langen, mit Misserfolgen und Rückschlägen gepflasterten Weg des ehemaligen Handyverkäufers zu lesen, der gerne singen möchte und es schließlich geschafft hat, zu einem hoch dotierten Plattenvertrag und einem Auftritt vor der Queen. Wie der Sohn eines Busfahrers und einer Supermarktkassiererin wegen seines Aussehens in der Schule von seinen Mitschülern gehänselt wurde, und wie allein das Singen ihm Kraft gab. „Ich habe aber immer nur für mich selbst gesungen, das war mein sicherer Ort, an dem es keine Probleme gibt“, erzählte Potts. Er nahm privat Gesangsunterricht und gewann 1999 bei der Talentshow „My kind of music“ umgerechnet 10 000 Euro. Mit diesem Geld ging Potts nach Norditalien, nahm dort Unterricht an Opernschulen unter Vilma Vernocchi und Katia Ricciarelli und wurde kurzzeitig sogar in die Meisterklasse von Luciano Pavarotti aufgenommen. Bis 2003 trat er auf mehreren Bühnen in kleineren Produktionen als Tenor ohne Gage auf. Potts verschickte auch Demo-Bänder an mehrere Plattenfirmen und wartete vergeblich auf eine Reaktion.

Es folgte mit einem Blinddarmdurchbruch, einem gutartigen Nierentumor und einem Fahrradunfall, bei dem er sich das Schlüsselbein brach, eine Zeit der Schicksalsschläge, die ihn finanziell an den Rand des Ruins brachten. Um seine Schulden zu bezahlen, arbeitete er bei einer Supermarktkette, machte dort bei niedrigem Stundenlohn zahllose Überstunden. Dann wurde er Verkäufer von Mobiltelefonen und stieg 2006 zum leitenden Angestellten auf.

Seinen Glauben an eine Sängerkarriere hatte Potts längst verloren, als ihn eine Rundmail erreichte, sich bei „Britain’s got talent“ zu bewerben. Ein Münzwurf entschied gegen seine Zweifel. Ohne an einen Erfolg zu glauben, kaufte er sich für wenig Geld einen neuen Anzug und nahm all seinen Mut zusammen, vor einem großen Publikum zu singen. Er hatte Angst, sich zu entblößen: Als er 2003 seine Frau Julie-Ann heiratete, traute er sich nicht, für die Hochzeitsfotos mit offenem Mund zu lächeln, zu sehr schämte er sich für seine schiefen Zähne.

Die konnte dann auch das Publikum sehen. Vielleicht hat sich das Publikum auch deshalb so plötzlich in ihn verliebt. Weil da einer steht mit schiefen Zähnen und inbrünstig singt.

Jetzt hat er sich die Zähne richten lassen. Schade. Gerade ein unperfektes Äußeres, hinter dem sich etwas Schönes und Ergreifendes verbirgt, berührt. Das wusste schon der kleine Prinz.

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