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Katholische Kirche: Jesuiten-Anwältin zählt 115 Missbrauchsopfer

Der Skandal um sexuellen Missbrauch an Jesuiten-Kollegs weitet sich aus: Bundesweit hätten sich bereits 115 Opfer gemeldet, verkündete eine vom Orden beauftragte Anwältin. Unter den Tätern sind offenbar auch Frauen.

Zudringliche Zärtlichkeiten, gewalttätige Übergriffe, Griff an die Genitalien: Der Skandal um sexuellen Missbrauch an Jesuiten-Kollegs und anderen katholischen Schulen nimmt immer größere Dimensionen an. Inzwischen werden auch zwei Frauen beschuldigt, sich an Schülern vergangen zu haben. Unter den Opfern sind auch frühere Schülerinnen. Außerdem haben sich Opfer gemeldet, die nicht an Jesuiten-Schulen waren, wie die von dem Orden beauftragte Anwältin Ursula Raue am Donnerstag in Berlin sagte. Darunter sei auch jemand von einer evangelischen Einrichtung. Bundesweit hätten sich bis jetzt 115 bis 120 Missbrauchsopfer gemeldet.   

Zwölf mutmaßliche Täter bei Jesuiten

„Das hat eine Dimension angenommen, die bisher nicht zu ahnen war“, sagte Raue. In den nächsten Tagen werde ein Arbeitsstab gegründet, um alle Fälle aufzuarbeiten. Dem Zwischenbericht der Anwältin über den Missbrauch zufolge beschuldigen die Opfer nun schon bis zu zwölf mutmaßliche Täter, bei den Jesuiten überwiegend Patres, aber auch andere Lehrer und Bedienstete der Kollegs.

Nach Raues Worten berichten die Opfer vor allem von Manipulationen an ihren Genitalien und von zudringlichen Zärtlichkeiten, weniger von körperlichen Verletzungen. An einer nicht-jesuitischen Einrichtung habe es auch schwere gewalttätige Übergriffe gegeben.  

Zollitsch schweigt zunächst weiter

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hält sich weiter bedeckt. Zollitsch werde sich zu dem Thema sexueller Missbrauch erstmals öffentlich am Montag (22.2.) in Freiburg zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe äußern, sagte eine Sprecherin des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz am Donnerstag.

"Wunden, die nicht heilen"

In ihrer Pressekonferenz sagte die Anwältin Raue: „Es gibt Verfehlungen und Wunden, die heilen offenbar nicht. Und diese Wunden gehören dazu.“ Sie habe Berichte über Opfer, die sich das Leben genommen hätten. Andere hätten noch heute Alpträume. Manche Männer offenbarten sich nun zum ersten Mal und hätten selbst mit ihren Ehefrauen zuvor nicht über ihr Leid gesprochen. 80 Prozent der Opfer gehe es nicht um finanzielle Entschädigung, sagte Raue. Die jüngsten bekannten Fälle ereigneten sich nach dem Bericht Mitte der 80er Jahre. Raue sagte, sie gehe davon aus, dass alle Taten verjährt sind.

Erstaunlich sei, dass es in den Personalakten des Jesuitenordens, die sie ausgewertet habe, an keiner Stelle um das Seelenleben der Kinder gehe. „Den Formulierungen in den Akten kann man entnehmen, dass es in den meisten Fällen dem Orden bekannt war.“ Konsequenzen habe es aber nicht gegeben.

Missbrauch auch bei Pallottinern

Auch an einer Schule der katholischen Pallottiner-Gemeinschaft in Rheinbach bei Bonn ist es früher zu Missbrauchsfällen gekommen. Das bestätigte der Provinz-Pressereferent der Pallottiner, Nicolas Schnall, am Donnerstag. Es handele sich dabei um drei bekannte Fälle mit Jugendlichen aus den 60er Jahren im früheren Konvikt St. Albert. Der betroffene Pater sei damals suspendiert worden.

Das Berliner Canisius-Kolleg hatte im Januar die ersten Missbrauchsfälle bekanntgemacht. Immer mehr Opfer meldeten sich, auch von den Jesuiten-Schulen St. Blasien im Schwarzwald und Aloisiuskolleg in Bonn. Die bisher bekanntgeworden Fälle sexuellen Missbrauchs hatten sich in den 70er und 80er Jahren zugetragen. Die Jesuiten baten die Opfer öffentlich um Entschuldigung. Sie wollten am Donnerstag in München eine weitere Erklärung abgeben.

Der Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, wies einseitige Schuldvorwürfe gegen die katholische Kirche zurück. „Kindesmissbrauch ist kein katholisches Problem, sondern ein Gesamtgesellschaftliches“, sagte Reinelt der „Leipziger Volkszeitung“. Reinelt sieht eine größere Offenheit und einverstärktes Schuldbewusstsein der Kirche bei Missbrauchsfällen. „Ein Wegschauen darf es nicht geben“, forderte er. (ho/dpa)

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