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Panorama: Kein Wasser für einen Teller Nudeln

Von Thomas Migge, Agrigent Lucia Catulli aus der südsizilianischen Stadt Agrigent kann ihre beiden kleinen Söhne, 5 und 7 Jahre, nur alle paar Tage waschen. Ein großes hygienisches Problem in einer Gegend, in der Temperaturen um die 30 Grad an der Tagesordnung sind.

Von Thomas Migge, Agrigent

Lucia Catulli aus der südsizilianischen Stadt Agrigent kann ihre beiden kleinen Söhne, 5 und 7 Jahre, nur alle paar Tage waschen. Ein großes hygienisches Problem in einer Gegend, in der Temperaturen um die 30 Grad an der Tagesordnung sind. Sie und ihr Mann haben sich daran gewöhnt, dass man in den heißen Monaten des Jahres nicht jeden Tag unter die erfrischende Dusche springen kann.

„Auch wenn wir uns zwangsweise diesem Zustand anpassen und uns jeden Tag mit einem Schwamm und mit Mineralwasser aus Flaschen abwaschen“, sagt die 35-Jährige, „so ist es doch ein himmelschreiender Skandal“. Dass in den letzten Tagen in Palermo hunderte von Menschen gegen den chronischen Wassernotstand demonstrierten, findet Lucia deshalb „wunderbar, denn vielleicht wird sich ja doch bald etwas ändern“.

Lucio Garcia hingegen hat die Hoffnung bereits aufgegeben, dass sich etwas zum Besseren hin ändern wird.

„Seit Jahren schon“, sagt der Familienvater aus Agrigent, „herrscht in jedem Sommer Wasserknappheit.“ Dieses Jahr aber, klagt er, „hat diese Knappheit schon jetzt im Mai begonnen“. Er befürchtet dramatische Zustände, so wie im letzten August, „als wir hier tagelang bei totaler Hitze noch nicht einmal ausreichend Leitungswasser zur Verfügung hatten, um uns einen Teller Nudeln zu kochen“. Lucios Frau Carlotta ist davon überzeugt, dass solche schlimmen Zustände bald schon der Vergangenheit angehören werden. „Die in Rom werden uns schon nicht vergessen“, sagt sie, „und wenn unser Protest immer lauter wird, kommen sie nicht drum herum, uns zu helfen.“

Das hofft auch Don Francesco Furi, verlässt sich aber nicht auf die irdischen, sondern auf die himmlichen Kräfte. Der katholische Geistliche aus Agrigent hat im letzten Sommer für großes Aufsehen gesorgt, weil er jeden Tag Bittgottesdienste für Regen abhielt. Gottesdienste, an denen tausende von Gläubigen teilnahmen. Der Priester findet es gut, dass „die Menschen sich erheben und ihr Recht auf Wasser einfordern“. Don Francesco Furi fordert deshalb seine Gläubigen auf, am kommenden Samstag auf die Straße zu gehen. Die großen Gewerkschaftsverbände haben zu einem „Marsch für Wasser“ aufgerufen. In allen sizialianischen Städten werden diese Demonstrationen organisiert, mit denen, so Don Furi, „die Regierenden endlich auf Trab gebracht werden sollen“. Er fand es auch gut, dass am Donnerstag hunderte von Landwirten in vielen Städten wie in Enna beispielsweise die Innenstädte mit ihren Kühen blockierten und Wasser forderten. „Dass bei uns Kühe an Verdurstung sterben“, so der Priester, „ist schon eine traurige Sache, denn Sizilien ist ja nicht Afrika.“

„Sizilien ist die Dritte Welt Europas“ schrieb vor kurzem „The Economist“. Nirgendwo sonst auf dem alten Kontinent, so das britische Magazin, würde es an so vielen lebenswichtigen Dingen mangeln wie auf der größten italienischen Insel.

„Die Zeitschrift untertreibt in keiner Weise“, meint Ignazio De Francisci. Der Staatsanwalt aus Agrigent ist seit Jahren ein Fürsprecher für eine Wasserrevolution. Er wettert gegen die bestehenden Verhältnisse und findet es ein Unding, „dass hier in Sachen Wasser afrikanische Zustände herrschen“. „Jedes Jahr versickern zirka zwei Milliarden Kubikmeter Wasser im Erdreich“, weiß er, „weil die Rohre löchrig sind“. Im letzten Jahr fehlten eine Milliarde Kubikmeter in Süditalien. Vor allem in Sizilien. Dass Wasser rationiert werde, so De Francisci, „gehört bei uns zum Alltag“. Italien ist dasjenige Land der EU, „in dem so viel Wasser wie nirgendwo sonst verbraucht wird“. Weltweit „sind wir an dritter Stelle“. De Francisci kennt sich mit dem sizilianischen Wasserproblem aus. Seit zehn Jahren ermittelt er gegen diejenigen, die mit dem knappen Nass viel Geld verdienen.

„Ich meine die Wassermafia“, so der Staatsanwalt, „der es gelingt, ganze Seen auszupumpen und das Wasser Gewinn bringend zu verkaufen.“ Unglaublich, aber wahr leeren mafiose Clans kleinere Trinkwasserseen und, so der Staatsanwalt, „niemand schaut hin, weil die Behörden bestochen werden“. Das Wasser wird anschließend über Tanklaster vertrieben. „Alles illegal natürlich“, weiß De Francisci. Auch wenn die Regierung am Donnerstag 420 Millionen Euro bereitstellte, um im nächsten Jahr das Wassernetz Siziliens zu modernisieren, so müsse gleichzeitig die Wassermafia bekämpft werden. Eine Mafia, die vorsichtigen Schätzungen zufolge im letzten Jahr mit dem Verkauf gestohlenen Wassers rund 150 Millionen Euro einnehmen konnte.

In diesem Jahr aber werden die Geschäfte der Wassermafia nicht so gut laufen: In den letzten vier Monaten ist wesentlich weniger Regen gefallen als in den letzten Jahren und sämtliche Wasserreservoirs sind leer. „Ohne illegale Wasserverkäufer, mit leeren Talsperren und Seen und dazu auch noch einem defekten Rohrystem“, befürchtet Ignazio De Francisci, „wird uns ein katastrophal trockener Sommer bevorstehen.“

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