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Am Mittwoch durchsuchen Ermittler ein Gymnasium im nordrhein-westfälischen Wetter. Marcel H. finden sie nicht.

© Marcel Kusch/dpa

Kindermord in Herne: Die Polizei sucht nach einem Allerweltsgesicht

Der mutmaßliche Mörder eines neun Jahre alten Jungen aus Herne ist noch immer nicht gefasst. Es scheint, als spiele er Katz und Maus mit den Ermittlern.

Vielleicht versteckt er sich in einem Krankenhaus. Plausibel klingt der Hinweis, dass sich Marcel H. in einer Klinik in Mönchengladbach aufhalte. Immerhin meldete die Polizei, dass sich H. womöglich an der rechten Hand geschnitten haben könnte und deshalb einen Arzt, ein Krankenhaus oder eine Apotheke aufsuchen werde. Also durchsuchen Beamte das gesamte Gebäude, den 19-jährigen H. finden sie nicht.

„Das war einer von mehreren Einsätzen bundesweit“, sagt eine Sprecherin der Polizei Dortmund am Donnerstag. Bereits am Mittwochnachmittag wurde ein Gymnasium im nordrhein-westfälischen Wetter durchsucht. Mehrere hundert Hinweise auf den mutmaßlichen Mörder des neunjährigen Jaden gingen bei der Polizei ein, im Minutentakt werden es mehr. „Wir gehen jedem kleinsten Indiz nach, etwas anderes können wir uns auch gar nicht erlauben“, heißt es bei der Polizei. Eine heiße Spur fehlt bislang. „Der Junge hat ein Allerweltsgesicht. Das verwechselt man schnell“, sagt Reinhard Peters, der Anwalt der Familie.

Es scheint beinahe so, als wolle der mutmaßliche Täter mit den Ermittlern Katz und Maus spielen. Am Donnerstagnachmittag tauchte bei der Polizei eine Audiobotschaft auf, in der die Tat geschildert wird. „Wir nehmen an, dass die Botschaft vom Täter stammt“, sagt ein Polizeisprecher.

Bundesweit wird nach Marcel H. gefahndet

Marcel H. wird verdächtigt, am Montagabend den Nachbarsjungen erst unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt und dann erstochen zu haben. H. habe ihn gefragt, ob er kurz helfen könne, eine Leiter zu halten. Als der Neunjährige nicht zum Abendessen nach Hause kommt, geht sein Stiefvater ihn suchen. Er findet die Leiche im Keller des Nachbarhauses. Seitdem wird bundesweit nach H. gefahndet, vieles ist unklar. Im Internet soll H. Bilder von der Tat veröffentlicht haben. Frei zugänglich, sagt die Polizei, nicht, wie mitunter behauptet wurde, im Darknet – jenem geschlossenen Raum im Netz, wo sich vorwiegend Halb- und Illegales abspielt.

„Er will Aufmerksamkeit, egal ob positiv oder negativ. Er will zeigen: Im Schrecklichen ist das so schnell nicht zu überbieten“, vermutet Brigitta Sticher. Sie ist Professorin für Psychologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Im Internet behauptet jemand, der sich als Marcel H. ausgibt, einen weiteren Mord begangen zu haben, droht mit einem Amoklauf. Ob er es wirklich ist oder bloß jemand, der sich einen schlechten Scherz erlaubt, müssen die Ermittler prüfen. Sie haben ein Fahndungsfoto von H. herausgegeben, später noch das Bild eines Hundes. Der könne irgendwie mit der Tat in Verbindung stehen, wie genau, will die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sagen.

Der hagere Junge soll trotz seiner Erscheinung gefährlich sein

Im Ruhrgebiet, längst nicht mehr nur in Herne, herrscht Verunsicherung. Die Polizei ruft dringend dazu auf, H. nicht auf eigene Faust stellen zu wollen. Der 1,75 Meter große, hagere Junge soll trotz seines schmächtigen Erscheinungsbildes gefährlich sein, zudem Kampfsporterfahrung haben. In Herner Kitas dürfen die Kinder nicht mehr draußen spielen, Pausenhöfe bleiben leer, weil die Schüler das Gebäude nicht verlassen. „Ist die Schwelle einmal übertreten, steigt die Gefahr, dass sich eine solche Tat wiederholt, enorm“, bestätigt auch Sticher.

Es geht das Gerücht um, der Rockerklub Bandidos würde auf eigene Faust nach H. suchen. „Alles Quatsch“, sagt Reinhard Peters. Marcel H. habe ein paar Freunde, die bei den Bandidos seien. Er sei aber weder Mitglied noch habe er sonst irgendwelche Verbindungen zu dem Rockerklub. Eine Polizeisprecherin wiederholt weitgehend das Gleiche. Es gab zwar einen Polizeieinsatz in dem Milieu, eine Verbindung mit dem Mord wollte die Polizei jedoch nicht bestätigen. Auch die Bandidos selbst wiesen das via Facebook von sich.

Einige Medien greifen derlei Gerüchte dankbar auf. Sie verbreiten Fotos aus dem Netz weiter, analysieren manches, interpretieren noch mehr. Eine Boulevardzeitung zitiert die Mutter des Opfers. Fernsehsender befragen Nachbarn. Schlimm sei das, was da passiert ist. Und nur schwer zu begreifen. Gespenstisch, die Leere auf den Schulhöfen, berichtet ein Reporter in die Kamera. Als müsse der Zuschauer/Leser seine eigene Gefühlswelt zur Rückversicherung mit den zufällig Befragten abgleichen. Erkenntnisse bringt das keine. Und die, so viel steht fest, bräuchte es gerade dringender als alles andere.

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