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Kindesvernachlässigung: Baby lag zwischen Tierkot und Müll

Polizisten haben ein vernachlässigtes Kleinkind aus einer völlig verdreckten Wohnung im schwäbischen Illertissen gerettet. Das wenige Wochen alte, abgemagerte Mädchen wurde nach einer Anzeige wegen Verdachts auf Tierquälerei entdeckt.

Es ging eigentlich um Tierquälerei. Ein Nachbar hatte die Polizei alarmiert, weil er befürchtete, dass die drei Katzen eines jungen Paares in Illertissen nicht richtig versorgt werden. Doch als die Beamten das verdreckte und stinkende Appartement betraten, fanden sie direkt neben den verlausten und verwurmten Tieren ein Baby. Inmitten von Müll, auf einem verschmutzten Schlafsofa lag völlig apathisch die neun Wochen alte Sheila Selina. Das Kind befand sich "in einem desolaten Versorgungs- und Ernährungszustand", wie der Direktor des Amtsgerichts Neu-Ulm, Bernt Münzenberg, erklärt.

Sheilas Eltern, ein nicht verheiratetes, arbeitsloses Pärchen, sie 21 Jahre alt, er 22, müssen sich ab Mitte September deswegen vor Gericht verantworten. Und Münzenberg wird der Richter sein. Er war es auch, der den Fall jetzt bekannt machte, obwohl das Kind bereits im März befreit worden war. "Die Staatsanwaltschaft hatte die Brisanz des Falls nicht erkannt", stellt Münzenberg fest. Deswegen sei die Öffentlichkeit von der Anklagebehörde nicht informiert worden.

Kind hat sich inzwischen bei Pflegefamilie erholt

Seit mehreren Monaten ist Sheila nun schon bei einer Pflegefamilie untergebracht. Die schockierten Polizisten hatten sofort das Jugendamt eingeschaltet, als sie das Baby fanden. "Überall in der Wohnung herrschte ein Geruch von Urin, Tierkot und Müll", sagt der Richter. Flüssigkeitsmangel, Darmprobleme und Entwicklungsrückstände stellten Ärzte bei dem Kleinkind fest. "Inzwischen geht es dem Mädchen wieder gut", freut sich Münzenberg: "Bei der Pflegefamilie gedeiht sie prächtig."

Die Eltern waren nach seiner Einschätzung mit der Erziehung völlig überfordert. Beide sind wegen Diebstählen vorbestraft, der Vater auch wegen Drogendelikten. Er gilt laut Gericht als abhängig von Marihuana. Das Paar lebt von "Hartz IV". "Sie haben ihr Kind sicher nicht absichtlich verwahrlosen lassen", ist der Richter überzeugt. Bereits vor der Geburt sei das 30 Quadratmeter große Appartement in einem furchtbaren hygienischen Zustand gewesen. Allerdings wussten die Behörden damals noch nichts davon.

Keine medizinische Untersuchung nach der Entbindung

Das Kind wurde ganz normal im Krankenhaus entbunden. Danach gab es aber keine medizinischen Untersuchungen mehr. "Ein Arzt hätte sofort den schlechten Zustand erkannt", ist sich Münzenberg sicher. Da müsse man schon darüber nachdenken, ob eine regelmäßige Zwangsuntersuchung von Kindern solche Fälle nicht verhindern könnte, sagt der Jurist: "In diesem Fall hätte das sicher was gebracht."

Die Eltern haben seit März keinen Kontakt mehr zu Sheila, "obwohl wir das zigfach angeboten haben", wie Münzenberg sagt. Das Jugendamt versuche aber weiter, die Eltern und das Kind wieder einander näher zu bringen. "Selbst die schlechtesten Eltern sind noch die beste Lösung", betont der Jurist, der früher als Familienrichter tätig war. Natürlich werde die Familie dann "engmaschig überwacht".

Doch zunächst steht noch die strafrechtliche Seite des Falles an. Am 18. September findet der Prozess vor dem Amtsgericht Neu-Ulm statt. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht erhoben. Und auch für die schlechte Versorgung der drei Katzen muss sich das junge Paar verantworten. Verstoß gegen das Tierschutzgesetz lautet hier der Vorwurf.

Ulrich Meyer[ddp]

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