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Nachtschicht mit Eckart von Hirschhausen (l.), organisiert von Pfarrer Ralf Vogel.

© Nachtschicht

Kirchentag: Nachtschicht-Gottesdienste: Einfach mal ansprechen

Pfarrer Ralf Vogel organisiert Talkgottesdienste mit Prominenten und hat damit großen Erfolg. Auch in Berlin will er zeigen, wie die Kirche in diesen Zeiten noch gehört werden kann.

Von Johannes Nedo

An den Moment, als seine Nachtschicht-Gottesdienste zu einer Erfolgsgeschichte wurden, kann sich Ralf Vogel noch genau erinnern. 1999, als der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann 100 Jahre alt geworden wäre, wollte der evangelische Pfarrer aus Stuttgart-Obertürkheim einen Gottesdienst abhalten über diesen so „bedeutenden und ehrlichen Menschen“, wie er sagt.

So lud er sich jemanden ein, der Heinemann gut kannte: den ehemaligen Verfassungsrichter Helmut Simon. In der Obertürkheimer Andreaskirche sprach Vogel dann mit Simon über Heinemann, und als Vogel in die vollbesetzten Reihen schaute, saßen die Menschen nicht zurückgelehnt in den Kirchenbänken, sondern vorgebeugt – und hörten andächtig zu, saugten auf, was Simon berichtete.

Aus diesem Aha-Erlebnis beim ersten Nachtschicht-Gottesdienst wurde eine besondere Gottesdienst-Reihe. Mit anderen Formen und Inszenierungen, an ungewöhnlichen Orten, und mit Prominenten wie Joachim Gauck, Eckart von Hirschhausen oder Andreas Bourani, die ein Thema intensiv und sehr persönlich beleuchten. All das führt dazu, dass diese Talkgottesdienste im Durchschnitt von 500 Menschen besucht werden.

Auch beim Evangelischen Kirchentag in Berlin gibt es drei Nachtschicht-Gottesdienste: Der erste fand am Donnerstagabend statt. Der zweite wird an diesem Freitag (21 Uhr) in der Mercedes-Welt am Salzufer begangen, unter anderem mit Bundestagspräsident Norbert Lammert und dem Kabarettisten Bodo Wartke. Und der dritte folgt am Sonnabend (19 Uhr) in der Messe Berlin, unter anderem mit der Schauspielerin Anna Thalbach. Natürlich wird auch Ralf Vogel dabei sein. Denn ohne den Erfinder wären die Talkgottesdienste in den vergangenen fast 18 Jahren nicht zu solch einer Erfolgsgeschichte geworden.

Vogel kann die Menschen begeistern, kann sie unaufdringlich einnehmen für seine große Leidenschaft: den Gottesdienst für alle Menschen interessant zu machen. Dazu gehört auch, dass er mit den Nachtschicht-Gottesdiensten zu den Menschen geht. Etwa in eine Produktionsstätte von Daimler oder ins Stuttgarter Rathaus.

Was die Umsetzung betrifft, verweist der 54-Jährige sofort auf den großen Einsatz der 40 Ehrenamtlichen, die die Veranstaltungen mitgestalten. Die Berliner Gottesdienste konzipierte Vogel außerdem gemeinsam mit dem Soziologen Hartmut Rosa und dem Musiker Patrick Bopp. Doch Mateja Babsek, die als Ehrenamtliche seit Beginn der Reihe dabei ist, betont: „Das alles lebt sehr von Ralf Vogel und dem Charme, den er mitbringt.“ Für die 28-Jährige ist das Erfolgsrezept klar. „Es geht um Dinge, die uns heute interessieren. Es zeigt, dass Kirche und Gottesdienst auch in diesen Zeiten noch die Menschen bewegen können.“

Mit seinen Talkgottesdiensten verfolgt Vogel besonders eine Idee: „Nicht nur der Pfarrer soll von sich reden“, sagt er. Darum schafft er immer wieder Raum für eine hintergründige Gesprächssituation. „Das ist dann aber keine Diskussionsveranstaltung“, betont Vogel. „Ich frage und lasse die Antwort stehen – so lange keine verunglimpfenden Positionen geäußert werden.“ Damit wolle er zeigen: „Die Kirche hört zu und weiß nicht alles besser.“

Außerdem ersetzt Vogel in den Nachtschicht-Gottesdiensten die Lesungen durch biblische Inszenierungen und Musik. „Das ist interessanter für junge Leute“, sagt er. „Wir wollen alle ansprechen – und dann müssen wir auch deren Sprache sprechen“, betont Vogel. „Nur so können wir ihre Herzen, Köpfe und Seelen bilden.“ Er versteht seine Arbeit mit den Talkgottesdiensten auch als eine Antwort auf die Frage: „Wie kann die Kirche in der Großstadt, der modernen Diaspora, noch gehört werden?“

Beim Gehör finden seiner Gottesdienst-Reihe helfen ihm natürlich die bekannten Gäste. Weil er keine Gagen zahlt, muss Vogel bei seinen Anfragen den Prominenten immer beweisen, dass sie für das betreffende Thema des Gottesdienstes genau die Richtigen sind. „Ich habe schon viele Absagen bekommen“, sagt er. „Aber unser Projekt bringt auch viele Leute zum Staunen, die mit der Kirche eher wenig zu tun haben, wie Fernsehköchin Sarah Wiener oder Schriftstellerin Amelie Fried.“

Nicht jeder ist begeistert, wenn um einen Gottesdienst so viel Aufsehen gemacht wird. Doch genau das will Vogel. Und so entwickelt er die Nachtschicht-Gottesdienste mit vollem Einsatz weiter. „Ich habe eine halbe Stelle und arbeite Tag und Nacht“, sagt er. „Denn es gibt nichts Schöneres.

Ralf Vogel hat auch ein Buch über die Gottesdienst-Reihe mit dem Titel „Nachtschicht“ geschrieben.

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