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Panorama: "Klasse Burschen": Österreichs Pandorabüchse

Für Verächter der political correctness muss Josef Haslinger ein buchstäblich rotes Tuch sein. Denn der in Wien und Leipzig lebende Autor versteht sich als dezidiert politischer Schriftsteller, der von Autoren erwartet, "immer dann, wenn ihnen das Nötige abverlangt wird, unnötige Einwände zu formulieren" und nicht "in dem Augenblick, in dem ich an einem neuen Text schreibe, alle politischen und sozialen Konflikte zu vergessen, die mich formten und täglich umgeben".

Für Verächter der political correctness muss Josef Haslinger ein buchstäblich rotes Tuch sein. Denn der in Wien und Leipzig lebende Autor versteht sich als dezidiert politischer Schriftsteller, der von Autoren erwartet, "immer dann, wenn ihnen das Nötige abverlangt wird, unnötige Einwände zu formulieren" und nicht "in dem Augenblick, in dem ich an einem neuen Text schreibe, alle politischen und sozialen Konflikte zu vergessen, die mich formten und täglich umgeben". Dass er sich dabei nicht auf eine simple agit-prop-Literatur reduzieren lässt, bewies er mit seinem Bestseller "Opernball", der vom Publikum begeistert aufgenommen, jedoch auch kritisiert wurde: die einen warfen ihm den Verrat seines aufklärerischen Ethos an eine reißerische Thrillerhandlung vor, die anderen den Missbrauch des Krimigenres zu politischen Zwecken.

In Reinkultur kennt man den engagierten Citoyen aus seinen brillanten Essaysammlungen. Wie in "Politik der Gefühle", in der Haslinger das Österreich der Waldheim-Ära analysierte, stehen in seiner aktuellen erneut österreichische "Klasse Burschen" im Zentrum, J. Haider allen voran: wie schon Kurt Waldheim ist auch das Phänomen Haider Symptom für den Verfallsgrad der öffentlichen Moral einer Politik, die vor dem Hintergrund von Neoliberalismus/Globalisierung geschickt Ängste und Emotionen aufgreift, schürt und steuert. Der Politiker Haider ist für Haslinger eine Randfigur der österreichischen Geschichte; wie der seinerzeit populäre Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der einem trostlosen Studenten namens Adolf Hitler zum großen Vorbild wurde, könnte Haider aber die Pandorabüchse für unselige Vollender seiner Saat geöffnet haben.

Die amnestische Befindlichkeit der österreichischen Seele leitet Haslinger überzeugend aus dem Bürgerkrieg von 1934 ab, dessen paradoxe Koalitionen bis in die Gegenwart weiterwirken: "Österreich kann einem als ein Land erscheinen, in dem es unmöglich ist, etwas zu beenden, einen Irrweg abzubrechen, ein historisches Kapitel zu schließen." Dass die xenophobischen Ressentiments der Haiderwelt kein ausschließlich österreichisches Phänomen sind, beleuchtet Haslinger in Essays über die EU-Osterweiterung, die Balkankriege oder die westeuropäische Asylpolitik. Artikel zum Wandel der Informations- und Medienkultur sowie der veränderten Rolle des Schriftstellers runden ein Buch ab, in dem Haslinger schnörkellos, streitbar und fundiert Klartext redet. Seine analytischen und sprachlichen Qualitäten machen Haslingers "unnötige Einwände" zu durchaus nötigen.

Thomas Schaefer

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