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Klimawandel: Der Winter ist entzaubert

Gletscher schmelzen, die Skisaison kann nicht starten. Einige Gebiete überleben nur mit technischen Tricks.

Berlin/Kitzbühel/Jerzens - Gondeln schaukeln im Föhnwind unbenutzt über grüne Wiesen, Regen prasselt auf leere Sessellifte: Viele Skigebiete müssen den für dieses Wochenende geplanten Start in die Wintersaison verschieben. Nur dort, wo sich zwischen kahlen Felswänden künstliche Pisten winden, wo Gletscher derzeit noch gefallenen Schnee konservieren, kann man Snowboard und Ski anschnallen, durch verschneite Wälder wandern und Kinder auf dem Schlitten ziehen. Das weite Bergpanorama mit türkisblauem Gletschereis existiert schon in wenigen Jahrzehnten nur noch auf Fotos und Postkarten, lauten übereinstimmende Prognosen von Wissenschaftlern diverser Klimainstitute aus den Alpenländern: 2050 werden die meisten Gletscher geschmolzen sein. In den deutschen Mittelgebirgen wird der Wintersport über kurz oder lang ganz der Vergangenheit angehören.

Um den für die Region wirtschaftspolitisch lebenswichtigen Wintersporttourismus möglichst lange zu erhalten, behelfen sich die Bergbahnbetreiber im österreichischen Pitztal jetzt wie das schweizerische Zermatt als weitweit erste Regionen mit einer neuartigen Schneeproduktionsanlage, die völlig unabhängig von Außentemperaturen arbeitet und sonst eigentlich Diamantenbohrungen etwa in Südafrika kühlt. Selbst auf dem größten deutschen Berg, der 2962 Meter hohen Zugspitze, könnten bald Schneekanonen und -lanzen den Skibetrieb sichern. Man prüft auch, dafür einen Speicherteich in den Berg zu bauen. Und hofft auf den Gesetzgeber: In Deutschland darf man noch nicht über der Baumgrenze beschneien. „Man kann mit bloßem Auge sehen, wie sehr der Gletscher schmilzt“, heißt es bei den bayerischen Zugspitzbahnen.

Nach Auskunft des Umweltreferenten des Deutschen Skiverbandes (DSV), Tobias Lienemann, schmilzt der Zugspitzgletscher trotz Abdeckung mit Lkw-Planen an den Bergbahnträgerstützen, Hütten und Stationen „jedes Jahr um rund drei Meter in der Höhe“. 60 Meter ist das Eis noch dick, somit ist der Gletscher rechnerisch in gut zwei Jahrzehnten weg. Die Erderwärmung sei kaum abzuwenden, selbst wenn zwischendurch kalte Winter das subjektive Gefühl vermittelten, es sei nicht so schlimm, betont die Bundesbehörde Deutscher Wetterdienst (DWD).

Ihren Prognosen nach wird es in den Bergen wegen des losen Schiebegesteins, das nicht mehr von der Eislast gehalten wird, mehr Erdrutsche geben. Bäche und Flüsse werden weniger Wasser führen. Die Erderwärmung schreitet zudem noch schneller voran als gedacht, haben 100 Wissenschaftler weltweit im Vorfeld der Klimakonferenz in Kopenhagen gewarnt: Bis 2100, das erlebt also die jetzige Enkelgeneration, könnte der Mittelwert in Deutschland sogar um bis zu sieben Grad steigen. Eine Temperaturerhöhung sei selbst dann nicht mehr zu bremsen, wenn der Austoß des Treibhausgases CO2 sofort weltweit gestoppt würde.

Diese „Horrorszenarien“, sagt Tourismus-Chefin Andrea Saexinger vom Skigebiet Kitzbühel, würden die Welt der Berge weitreichend verändern, nicht nur Flora und Fauna. Wenn der Wirtschaftssektor Wintersporttourismus wegfällt, „werden auch die Täler ausgestorben sein“. Viele Menschen würden in die Städte strömen, um Arbeit zu finden. „Derzeit sind unsere Gäste jedenfalls auf den Golfplätzen unterwegs statt auf den Pisten.“ Ab diesem Wochenende wird die Kunstpiste am Resterkogel eröffnet.

Für die klassische Kunstschneeproduktion braucht man Temperaturen um null Grad. Doch überall in den Alpen war es zu warm, der November laut DWD einer der drei wärmsten seit dem Jahr 1881. So wirbt St. Anton am Arlberg mit „Schneesicherheit“ auf der Homepage, doch das Bild auf den Webcams sieht anders aus. Mangels Schnee zu Füßen der Bergstation am Zuger Hochlicht auf 2377 Meter muss die Saisoneröffnung verschoben werden. Da haben die Bergbahnbetreiber am Pitztaler Gletscher mit der höchsten Bergstation am Hinteren Brunnenkogel auf knapp 3440 Meter mehr Glück. Und sie haben zwei Millionen Euro in neuartige Technik und das dazugehörige Gebäude investiert.

„Wir sind von dem israelischen Konzern ,IDE Technologies’ angesprochen worden, weil er von unseren Bemühungen gehört hat“, sagt Magister Willi Krüger von der Pitztaler Gletscherbahn. Vor einem Jahr begann der Probebetrieb des „Snowmakers“ in dem 15-Meter-Turm auf 2840 Meter Höhe neben der Talstation der Pitz-Panoramabahn. Der im Sommer mit Vlies abgedeckte Gletscher verliert jedes Jahr einen Meter Höhe. Der einst bei Bohrkühlungen als Abfallprodukt angefallene Schnee kann unabhängig von Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind per Vakuumprinzip und ohne chemische Zusätze erzeugt werden, 1000 Kubikmeter pro Tag. Die Anlage verbraucht so viel Energie wie acht Schneekanonen. Eigentlich wollten die Pitztaler damit ihren Gletscher wieder aufbauen, doch das Wasser der Speicherteiche war jetzt im Herbst schon alle, nachdem der untere Schmelzrand des Gletschers bis zum Zubringerlift aufgefüllt wurde.

Jetzt gibt es im Pitztal einen neuen Tourismus: von Fachpublikum aus aller Welt, Loipenanlegern aus Skandinavien, Skigebietsbetreibern aus den USA, Skihallenchefs aus der arabischen Welt. Sie alle hoffen auf die künstliche neue Skiwelt.

Annette Kögel

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