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Panorama: Kommt der Kannibale frei?

Der Bundesgerichtshof verhandelt über den Fall Armin Meiwes. Vielleicht muss er lebenslang hinter Gitter. Oder auch nicht

Das Urteil, welches das Kasseler Landgericht im Januar 2004 im Namen des Volkes fällte, hat das Volk nie zu Gesicht bekommen, nicht einmal anonymisiert und mit geschwärzten Stellen. Die Justiz hielt es unter Verschluss, niemand sollte lesen, was Armin Meiwes im Detail alles getrieben hat, so lange es nicht rechtskräftig ist. Und genau darum dreht es sich jetzt: Ob dieses Urteil rechtskräftig wird.

Für Meiwes, den „Kannibalen von Rotenburg“, geht es um viel, um alles. Gewinnt er, hat er Chancen, bei guter Führung vielleicht schon in drei Jahren wieder auf freien Fuß zu kommen. Verliert er, droht ihm Lebenslang. Am Mittwoch verhandelte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision des Falles. Bedeutend ist ihr Ausgang nicht nur für Armin Meiwes, sondern möglicherweise auch für andere künftige Mordverfahren in Deutschland. Denn nach dem Willen der Bundesanwaltschaft muss der weltweit einzige Fall dieser Art einen deutlichen Einfluss auf die Rechtsprechung haben: Ein Lustmord kann auch ein Lustmord sein, wenn er gar nicht sexuell motiviert war, sondern einfach nur dies: Lust.

Auch für die erfahrenen Richter des Zweiten Strafsenats ist der Fall Armin Meiwes eine Provokation ihres Vorstellungsvermögens. „Rechtsfragen sind von Interesse, nicht sensationelle Details“, sagt die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan beschwichtigend. „Wir nehmen Rücksicht darauf. Sie bitte auch“, wendet sie sich an die Zuschauer- und Pressebänke im Saal. Ihre Mahnung hat Gründe, denn ein Teil der Presse hat die grausige Tat so ausgeweidet wie Meiwes sein Opfer.

Dabei sind es nicht die schrecklichen Details, die diesen Fall in der Kriminalgeschichte einzigartig machen. Einzigartig ist auch nicht der Täter. Einzigartig ist das Opfer – und seine Verbindung zum Täter. Bernd B. stammte aus Berlin und hatte Meiwes im Internet kennen gelernt. Der Computerfachmann bot sich an, sich auf ein Inserat von Meiwes hin schlachten und ausnehmen zu lassen – wenn dieser ihm zuvor das Glied amputiert. Er meinte es auch tatsächlich ernst, anders als andere junge Männer, mit denen Meiwes zuvor im Internet-Chat und bei sich zu Hause war.

Beide trafen sich im März 2001 in Meiwes Haus im hessischen Rotenburg, in dem der sich extra einen „Schlachtraum“ eingerichtet hatte. Nach sexuellen Kontakten zwischen den Männern verstümmelte Meiwes B. auf dessen Bitte hin, verband ihn, und schließlich, nach Stunden, erstach er ihn – so wie B. es sich innig gewünscht hatte. Meiwes zerstückelte das Opfer, verzehrte Teile und fror die Reste ein. All das nahm er auf Video auf, einige Bilder stellte er gar ins Internet. Das Landgericht Kassel hatte das Geschehen als Totschlag gewertet und achteinhalb Jahre Haft verhängt. Bernd B., hieß es, habe unter einer „progredienten Form sexuellen Masochismus’“ gelitten, er habe die Tragweite seines Handelns nicht überblickt. Klar war aber auch: B. wollte schwer verstümmelt werden, der Tod schien ihm angesichts seines befriedigten Verlangens zweitrangig. Meiwes dagegen weise „schizoide Züge“ auf, seine Sehnsucht nach Männerfleisch, das er sich einverleiben wollte, um, wie er selbst in seinem Prozess sagte, „nicht mehr allein zu sein“, sei krankhaft. Zum Zeitpunkt der Tat aber hatte er, davon sind die Psychiater, die Meiwes examinierten, überzeugt, einen klaren Kopf.

Ist es auch ein Mord, wenn jemand nicht aus sexueller Lust, sondern aus einer bizarren Bindungssehnsucht heraus tötet? Nach dem Gesetz unterscheiden den Mord vom Totschlag verschiedene Merkmale.Eines heißt: „Befriedigung des Geschlechtstriebs“. Die Behörde von Generalbundesanwalt Kay Nehm, die der Revision beitrat, ist der Auffassung, ein Mensch könne auch ein Sextäter sein, wenn er zum Zeitpunkt der Tat nachweislich gar nicht erregt ist. Bundesanwalt Lothar Senge beruft sich in Karlsruhe auf die Videos, die Meiwes auch angefertigt habe, um sich später daran zu berauschen. Er meint, auch weitere Mordmerkmale habe Meiwes erfüllt. Es seien ohne Zweifel „niedrige Beweggründe“, die Meiwes getrieben hätten, denn er habe aus „eigennützigen Motiven den personalen Eigenwert seines Opfers negiert“. Dass B. auf seinen „personalen Eigenwert“ offenbar gerne verzichtet hat, hält Senge nicht für entscheidend. Und noch ein weiteres Merkmal für Mord sei gegeben, die Tötung „um eine andere Straftat zu ermöglichen“. Denn indem Meiwes den Toten aß, habe er dessen „Totenruhe“ gestört – was in Deutschland strafbar ist. Auch hier sei das Einverständnis egal, denn es werde gerade das „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ geschützt. Damit wollten die Ankläger mit einer wichtigen Rechtstradition brechen, hält ihnen Meiwes Anwalt Harald Ermel vor: Dass der Mordparagraf wegen seiner zwingend folgenden lebenslangen Strafe zurückhaltend angewendet werden müsse. Seiner Ansicht nach war die Tat nicht einmal ein Totschlag, sondern lediglich eine milde zu bestrafende „Tötung auf Verlangen“. Auch das, lassen die Richter am Mittwoch durchblicken, halten sie für keine vollkommen fern liegende Argumentation.

Am 22. April fällt der Bundesgerichtshof sein Urteil. Wenn er die Strafe für Meiwes aufhebt, muss ein anderes Gericht nach den neuen Maßgaben neu verhandeln. Ein Menschenfresser bald in Freiheit? Für die Öffentlichkeit mag das so unvorstellbar erscheinen wie die Tat selbst. Aber möglich ist auch das.

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