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Das vom brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer entworfene Konzerthaus von Ravello gehört zu den spektakulärsten Neubauten Italiens.

© AFP

Konzerthaus von Ravello: Da ist keine Musik drin

Italien schüttelt den Kopf über einen Streit um das Konzerthaus von Ravello – der Bau bleibt geschlossen.

Die Amalfi-Küste gilt als eine der schönsten Landschaften der Welt. Schon im frühesten Erdkunde-Unterricht lernen italienische Schüler dieses atemberaubende Zusammenspiel von Himmel und Klippen, Zitronenblüten und Meeresblau zwischen Neapel und Salerno als „Wunder aller Wunder“ kennen. „Am meisten aber“, so könnte der antike Tragödiendichter Sophokles wieder einmal einwerfen, „wundert man sich über den Menschen“.

Da gibt es zum Beispiel das mittelalterliche Städtchen Ravello: auf einem 300 Meter hohen Felssporn gelegen, 2500 Einwohner, 16 Vier- und Fünfsternehotels, ein paar hundert Schwarzbauten in unübersehbarer Panoramalage, der Cappuccino dreimal so teuer wie in Rom. Ravello nennt sich „Stadt der Musik“, seit weiland – einen Esel unterm Gesäß, den „Parsifal“ im Kopf – Richard Wagner durch die Weinberge hochgeritten kam und hier oben „Klingsors Zaubergarten“ live entdeckte.

Stilgemäß veranstaltet Ravello seit 1953 auch ein Sommerfestival, das Grünhügelianer aus Deutschland ebenso unfehlbar anlockt wie jene mondänen Zirkel aus aller Welt, denen Salzburg zu nördlich und zu regnerisch ist. Ende Januar hat das Städtchen sogar ein natürlich sehr stilgemäßes, viel bewundertes Konzerthaus eingeweiht. Am 1. Juli beginnt nun wieder einmal das Festival – aber das Konzerthaus bleibt zu.

„So, als hätten wir’s geahnt“, sagt Nicola Mansi: „Für das Festival 2010 haben wir uns schon vor langer Zeit das Motto ,Die Verrücktheit’ ausgedacht. Im Sinn hatten wir die Verrücktheit in der Kunst. Jetzt spielt sich der Wahnsinn im wirklichen Leben ab.“

Mansi ist Sprecher der „Fondazione Ravello“, jener Stiftung, die das Festival seit 2001 organisiert, sich allein für 2009 rund 74 000 spendierfreudige Touristen auf ihr Konto schreibt, mit dem Bürgermeister aber in einem Dauerstreit steht, über den mittlerweile ganz Italien den Kopf schüttelt: ein Hahnenkampf ums Renommee. Im Mittelpunkt steht das Konzerthaus, einer der spektakulärsten Neubauten des Landes. Entworfen und „aus Liebe zu Ravello“ der Gemeinde geschenkt hat ihn der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer im geradezu zarten Alter von 93 Jahren. Es ist eine strahlend weiße Welle aus Beton, die kühn, freitragend über die Bergkante schießt, als wolle sie sich der Brandung da unten entgegenwerfen. Eine Stirnseite hat Niemeyer komplett verglast, um das Panorama der Amalfiküste hereinzulassen, und über dem Orchesterpodium tut sich ein weites Auge auf, damit Ravello-Besucher, die sonst die stimmungsvollen Frühmorgenkonzerte in Wagners „Klingsor- Park“ schätzen, sogar noch im Saale den Sonnenaufgang über einem azurblauen Meer bestaunen können.

Die Idee fanden alle gut: Ravello wollte seinen bisher auf drei Sommermonate konzentrierten Konzert- und Kongress-Tourismus aufs ganze Jahr ausdehnen, und weil das Wetter an der Amalfiküste im Winter alles andere als lieblich ist, brauchte es dafür einen Innenraum.

Das Gebäude an sich sorgte für den ersten Streit. Denkmalschützer wetterten gegen den „architektonischen Horror“, gegen die „Verschandelung“ einer einzigartigen Küste, eines Unesco-Weltkulturerbes, mit einem „neumodischen Fremdkörper“. Die politische Gemeinde Ravellos spaltete sich. Es gab zwar den Baubeschluss, es gab 18 Millionen Euro von der Europäischen Union, dann aber einen Machtwechsel, mit ihm die Verschleppung des Projekts.

Nach dem Machtwechsel im Rathaus von Ravello regiert dort zurzeit wieder einmal der Rechtsanwalt Paolo Imperato, der das Konzerthaus von Anfang an nicht wollte. Jetzt, da das „Auditorium Oscar Niemeyer“ fertig geworden ist, streitet er sich mit dem Stiftungspräsidenten, dem Soziologen Domenico De Masi, darüber, wer es bespielen darf. Der Bürgermeister reklamiert eine „zentrale Rolle der Gemeinde als Eigentümerin: Wir lassen Feuer sprühen“. De Masi gibt zurück, allein die Stiftung habe die notwendige, in jahrelanger Arbeit bewährte Erfahrung, den logistischen Apparat, das Know- how, die Kontakte zu den besten Künstlern der Welt.

Der Bürgermeister sagt, das Auditorium sei baurechtlich noch nicht abgenommen, die Stiftung entgegnet, das sei lediglich vorgeschobener bürokratischer Kram – und außerdem habe die Gemeinde selbst erst vor wenigen Tagen ein Galaessen für mehr als hundert Leute just in dem angeblich nicht freigegebenen Bau aufgetischt. Im Oktober vergangenen Jahres gab es bereits einen Nutzungsvertrag zwischen Stadt und Stiftung; den hatte auch der Bürgermeister unterschrieben – ein halbes Jahr darauf ließ ihn derselbe Bürgermeister im Gemeinderat ablehnen, auch dies wieder mit seiner eigenen Stimme. Die Stadt hat Sitz und Stimme im Aufsichtsrat der Stiftung, aber der Bürgermeister lässt sich dort nicht sehen, und die anderen Mitglieder – eine Bank als Hauptsponsor, Regionalregierung, Landkreis, sogar ein leibhaftiger Minister – schafften es nicht, ihrer viel größeren Mehrheit Geltung zu verschaffen und den Streit zu beenden.

So beginnt also das Festival unter den Sternen der Villa Rufolo, wie Wagners „Klingsor-Garten“ im wirklichen Leben heißt. Es beginnt mit John Malkovich und seiner „Höllischen Komödie für Barockorchester, zwei Soprane und einen Schauspieler“. Es folgen das Orchester der Mailänder Scala sowie viele andere Berühmtheiten. Drei Tage lang diskutiert aber auch ein Seminar über den „Wahnsinn in den Institutionen“. Und nebenan verstaubt ein spektakuläres Konzerthaus, von dem keiner weiß, ob es überhaupt jemals geöffnet wird.

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