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Update

Kritik an einseitiger Deutung des Überwachungsvideos: Tugce-Prozess: Verteidigung hält Richter für befangen

Im Prozess um die getötete Studentin Tugce hat die Verteidigung des Angeklagten Sanel M. am Freitagmorgen in Darmstadt einen Befangenheitsantrag gegen einen der Richter gestellt.

Im Prozess um die gewaltsam zu Tode gekommene Studentin Tugce Albayrak hat die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Jens Aßling gestellt. Die Anwälte des wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagten Sanel M. werfen dem Gericht vor, es deute das Überwachungsvideo aus der Tatnacht auf einseitige Weise. „Das Gericht behauptet, das Video zeige, wie der Angeklagte sich unmittelbar vor seinem Schlag auf das Opfer zu bewege“, erklärte Verteidiger Kuhn. Das sei durch das Video aber keinesfalls gedeckt.

Der Anwalt bezieht sich auf ein Schreiben des Landgerichts Darmstadt an das Oberlandesgericht (OLG), das über eine Haftbeschwerde von Sanel M. zu befinden hat. Vor zwei Tagen habe er Kenntnis von diesem Schreiben bekommen, sagte Kuhn. „Das können wir so nicht stehen lassen.“

Kuhn und seine zwei Kollegen hatten Mitte März beim OLG für Sanel M. eine Haftbeschwerde eingereicht. Das Darmstädter Landgericht habe dem übergeordneten Gericht als Entscheidungsgrundlage jedoch nicht die vollständige Ermittlungsakte zur Verfügung gestellt. Das Überwachungsvideo habe das OLG nie bekommen, stattdessen in schriftlicher Form eine einseitige Deutung der Aufnahmen durch das Landgericht Darmstadt, wie Kuhn kritisiert.

Entscheidung am kommenden Mittwoch

Über den Befangenheitsantrag müssen nun ein Vertreter des Vorsitzenden Richters sowie die beiden beigeordneten Richter der Großen Strafkammer befinden. Die Verfahrensbeteiligten rechnen mit einer Entscheidung am kommenden Mittwoch. Würde dem Antrag stattgegeben, müsste der gesamte Tugce-Prozess neu aufgerollt werden. Oberstaatsanwalt Alexander Homm hält dieses Szenario für unwahrscheinlich: „Eine verzerrte Darstellung hat bei der Beweisaufnahme nicht stattgefunden.“ Es gebe keine Indizien, dass der Vorsitzende Richter eine innere Haltung eingenommen habe, die ihn befangen mache.

Tugce Albayrak zog im November 2014 bei einem Streit schwere Kopfverletzungen zu.
Tugce Albayrak zog im November 2014 bei einem Streit schwere Kopfverletzungen zu.

© dpa

„Ich denke, das ist taktisch motiviert, um das Gericht noch stärker unter Druck zu setzen und um vielleicht einen Anhaltspunkt für eine mögliche Revision ins Spiel zu bringen“, sagte Macit Karaahmetoglu, der als Nebenklageanwalt die Familie Albayrak vertritt. Verteidiger Stephan Kuhn beteuert, er habe kein Interesse daran, das Verfahren mit seinem Antrag in die Länge zu ziehen. „Das können wir nur so nicht stehen lassen“, sagte Kuhn. Der Vorsitzende Richter habe die Möglichkeit, mit einer Erklärung die Zweifel an seiner Unbefangenheit zu zerstreuen.

Nebenklage bezweifelt Unabhängigkeit der Zeugen

Nebenklageanwalt Karaahmetoglu zog derweil die Unabhängigkeit eines am Mittwoch als Zeugen befragten Türstehers in Zweifel. Der 29-Jährige Offenbacher, hatte Sanel M. als nicht aggressiv beschrieben und in seiner Schilderung des Streits zwischen Tugce Albayrak und Sanel M. den Freundinnen von Tugce in zentralen Punkten widersprochen. Anwalt Karaahmetoglu überreichte dem Gericht am Freitagmorgen Kopien zweier Facebook-Profile und führte aus: „Der scheinbar unabhängige Zeuge ist mit drei Freunden des Angeklagten bei Facebook befreundet und hat kürzlich einen Beitrag geliked, in dem einer von Sanel M. Freunden dessen Freiheit fordert.“

Das Gericht befragte am Freitagvormittag weitere Zeugen. Ein Polizeibeamter, der Sanel M. als Erster darüber aufgeklärt hatte, dass Tugce an ihren schweren Kopfverletzungen sterben könnte, sagte, der 18-Jährige habe darauf nicht reagiert. Man habe ihm mitgeteilt, Sanel M. sei bei seiner Festnahme aggressiv gewesen, berichtete der Kommissar. Der Streifenpolizist, der Sanel M. tatsächlich festgenommen hatte, widersprach dem: „Er hat nur gesagt, dass er sich nicht vorstellen könne, dass jemand von einer Ohrfeige so starke Verletzungen davonträgt.“ Danach habe er geschwiegen und auf seine Anwälte verwiesen.

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