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Kulturschock: Paris macht Japaner krank

Für viele Japaner ist eine Reise nach Paris ein Lebenstraum - doch für einige wird der Aufenthalt in der Stadt der Liebe zur Katastrophe. Keine andere Besuchergruppe leidet so sehr unter der harten Realität in Frankreichs Hauptstadt.

Paris - Der als "Paris-Syndrom" bezeichnete Kulturschock bringt pro Jahr dutzende Japaner ins Krankenhaus. Sie sehen ihre romantischen Vorstellungen von der Metropole brutal enttäuscht.

Aufmerksam auf das Phänomen wurde der japanische Psychiater Hiroaki Ota, nachdem er 1989 in Paris zu arbeiten begann. Jahr für Jahr entdeckte er Fälle von Landsleuten, die offenbar durch das Leben dort krank wurden. Dies beginnt regelmäßig mit einem leichten Angstgefühl, das sich dann bis zu einer Art Verfolgungswahn steigert. Betroffene trauen sich nicht mehr auf die Straße und schließen sich in ihren Hotel-Zimmern oder Wohnungen ein. In Extremfällen besteht sogar Selbstmord-Gefahr. Über hundert Paris-Syndrome pro Jahr diagnostiziert Ota, der im Pariser Saint-Anne-Krankenhaus arbeitet.

Genesung kann Monate dauern

Bei der japanischen Botschaft in Paris werden laut Konsulatschef Yoshikatsu Aoyagi jährlich etwa zwei Dutzend gravierende Fälle registriert: "Ein Dutzend sind ortsansässige Personen und ein Dutzend Touristen." In einem Viertel der Fälle muss die sofortige Rückkehr nach Japan veranlasst werden, um die Kranken zu heilen. In einigen Fällen kann die Genesung Monate dauern.

Viele seiner Landsleute stellten sich das Pariser Leben "als extrem aufregend vor, Paris als Kunst-Hauptstadt, des strahlenden und glanzvollen Lebens", erklärt Aoyagi das Phänomen. Die Realität sei dagegen "nicht immer einfach", vor allem wenn die Besucher kein Französisch sprächen. Dadurch könne es täglich zu Problemen kommen, die bei Häufung zu psychischer Instabilität führten.

Vor allem junge Frauen erleiden Kulturschock

Betroffen sind laut Ota vor allem junge Frauen, die "einen Schock durch die Konfrontation der beiden Kulturen" erlitten. Der kann für Besucher aus Japan tatsächlich hart ausfallen: Beim Gang in Geschäfte und Restaurants sind sie ein Höchstmaß an Freundlichkeit und Respekt gewohnt. Paris-Besucher erleben dagegen trotz von der Stadtverwaltung immer wieder aufgelegter Höflichkeits-Initiativen oft das Gegenteil: Gerade an touristischen Orten sind unfreundliche Kellner nicht selten, die Ausländer ohne Sprachkenntnisse ignorieren oder sichtbar ungeduldig warten, bis der radebrechende Gast seine Bestellung zusammenhat - oder schlimmer: sich über den Besucher aus Fernost auch noch lustig machen.

Der Ingenieur Kazuhiro Gamo, der gerade zwei Wochen in Paris verbracht hat, machte schlechte Erfahrungen vor allem mit älteren Franzosen, die kein Englisch sprachen. So habe ein Zeitungsverkäufer ihn trotz mehrfachen Versuchen nicht einmal angeschaut, als er nach dem Preis eines Magazins gefragt habe. "Das hat mich wirklich wütend gemacht." Junge Franzosen seien dagegen "offener und freundlicher".

Japaner kommen mit falschen Vorstellungen nach Paris

Doch allein aus dem Verhalten der Franzosen erklärt sich das Paris-Syndrom nicht. Der Schock hänge auch mit dem mitgebrachten Paris-Bild zusammen, sagt Patricia Barthélemy vom städtischen Tourismusamt. "Japanische Besucher glauben oft, dass sie hier die Romantik wiederfinden, die es in Filmen wie 'Die fabelhafte Welt der Amélie' gibt". Hinzu komme ein "Bild Frankreichs auf sehr hohem Niveau rund um Wein, Feinschmecker-Küche, Parfüm und Luxus-Boutiquen". Die Kulisse stimmt dann, die Menschen sind dann aber oft ganz anderes als erwartet.

Barthélemy wirbt in Gastronomie und Hotels dafür, die jährlich 700.000 nach Paris reisenden Japaner mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln. Regelrechte Warnungen vor dem möglichen Kulturschock gibt es in der Japan-Werbung der Tourismusbehörde nicht; schließlich will Paris die zahlungskräftige Klientel auch nicht verschrecken. Einmal Erkrankten empfiehlt die japanische Botschaft jedenfalls, den Traum von Paris für immer zu begraben und nie wieder nach Frankreich zu kommen. (Von Martin Trauth, AFP)

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