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© dpa

Panorama: Kunst ist das höchste Gebot

Edvard Munchs Werk „Der Schrei“ wurde in New York für 120 Millionen Dollar versteigert – nach Katar?

Zeigt das Bild einen Kunstkäufer, der „mehr Dollars“ ruft, wie eine Twitter Nutzerin schrieb? Natürlich nicht. Es ist Edvard Munchs große Beschreibung existenzieller Angst, der moderne Mensch, der sich in einem von Gott verlassenen Universum allein findet – ein Schlüsselbild des 20. Jahrhunderts. Vier Versionen hat er gemalt. Aber es ist Millionen Mal nachgedruckt, kopiert und variiert, in Teenagerzimmern aufgehängt, auf T-Shirts und in Schulbüchern abgebildet, auch Homer Simpson ist ein Kenner. Dazu hat das Bild noch einen blutroten Sonnenuntergang, voll frischer Pastellfarben, wie es Kunstsammler heute mögen. Rot und Gelb sind, das haben Kunsthändler tausendfach gelernt, die beliebtesten Farben.

Niemand hatte Zweifel, dass Munchs „Der Schrei“ den neuen Auktionsrekord schaffen würde. Schon die Mindesttaxe, 80 Millionen Dollar, war die höchste, die je ein Werk bekommen hat. „Wenn es je auf dem Kunstmarkt ein Werk von Schock und Angst gab, dann ist es Munchs ‚Schrei’“, erklärte Sotheby’s Chefspezialist Simon Shaw, nachdem das Gemälde mit 120 Millionen Dollar den Rekordpreis geschafft hatte. Er benutzte die amerikanische Militärsprache, „shock and awe“, als sei der Munch eine Kunst-Bazooka.

Aber Sotheby’s hatte bei der Vorbesichtigung des Bildes in London erlebt, was für ein Blockbuster es ist. In vier Tagen strömten 7000 Neugierige in das Auktionshaus, um das schwer bewachte Werk einmal im Original in Augenschein zu nehmen – so wie Munch es malte und auf den Rahmen eine Erklärung schrieb: „Der Himmel wurde blutrot und ich fühlte einen Anflug von Melancholie. Ich stand, still und todesmüde. Über dem schwarzblauen Fjord und der Stadt hingen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter. Ich blieb zurück, bebend vor Angst, und fühlte den großen Schrei in der Natur.“

Zwölf Minuten dauerte die Versteigerung durch Auktionator Tobias Meyer, der sich für die historische Stunde mit einem Smoking angetan hatte. 2004 hatte er schon einmal einen Auktionsrekord abgeklopft – Picassos „Junge mit Pfeife“ aus der blauen Periode für 104 Millionen Dollar. Souverän ließ er den beiden streng anonymen Telefonbietern Zeit, die sich langsam aber sicher über die Rekordmarke steigerten. Das war kurz nach 90 Millionen Dollar der Fall, denn Sotheby’s legt noch einmal kräftig Provision dazu. Als der Hammer bei 107 Millionen Dollar fiel, hatte das Auktionshaus 12,9 Millionen verdient – exakter Endpreis für den Munch: 119 922 500 Dollar – 91 Millionen Euro.

Nach unbestätigten Angaben geht das Gemälde nach Katar. Die Herrscherfamilie des Emirats habe das Kunstwerk ersteigern lassen, erfuhr dpa in Istanbul am Donnerstag aus arabischen Quellen.

„Eine ekelhafte Freak Show“, schimpfte der New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz auf das „abstoßende Spektakel“ – obwohl er selbst einen Preis von 200 Millionen Dollar prophezeit hatte. Wie viele, die ins Museum gehen müssen, weil ihnen das Geld für den Heimbesitz solcher Meisterwerke fehlt, findet er, so epochale Werke dürften nie versteigert werden, nur um für Jahre in einem Privatmuseum oder gar einem Safe zu verschwinden. Aber für diejenigen, die es sich leisten können, ist dieser Selbstbesitz des Unwiderbringlichen und Auratischen eine Begierde, seit Gemälde auf tragbare Tafeln und Leinwände gemalt werden und damit verkäuflich sind. Auch für Diebe. Zweimal wurden andere Versionen des Munchschen Meisterwerks, die in Osloer Museen in Staatsbesitz sind, gestohlen.

Gerade der Munch zeigt aber auch, wie wichtig solcher Privatbesitz ist. Eingeliefert hat ihn der norwegische Reeder Petter Olsen, dessen Vater Thomas Freund und Nachbar des Malers war. Als die Nazis die Kunst Munchs als entartet verboten, kaufte Olsen Munchs Werke aus Deutschland, um sie in seiner Heimat in Sicherheit zu bringen. Seit 1937 haben die Olsons den „Schrei“ – nun will die Familie mit dem Erlös ein Munch-Museum gründen.

Sotheby’s hat für solche Werke eine Daumenregel. Superreiche setzen bis zu einem Prozent ihres Vermögens für Kunstwerke ein. Mit seinem Schätzwert von mindestens 80 Millionen Dollar kamen für den Auktionskauf demnach weltweit 116 Superreiche mit Vermögen über acht Milliarden Dollar infrage. In Wahrheit war der Kreis viel kleiner. Ein knappes Dutzend potenzieller Bieter meint Sotheby’s beim Durchforsten seiner Kundenliste ausgemacht zu haben. Sieben davon beteiligten sich an der Versteigerung.

„Sammler bieten für solche Werke, weil sie sie absolut besitzen müssen“, erklärt Sotheby’s Impressionistenspezialistin Helena Newman die Begierde – eine Leidenschaft, aber keine vernunftlose. „Sie suchen museale Meisterwerke und wissen, wie außergewöhnlich die Chance ist, ein solches Werk zu besitzen. Und sie wissen, dass sie dabei heute mit Sammlern aus aller Welt konkurrieren“.

Das ist es, was die Kunst immer teurer macht: Immer neue Sammler und immer mehr Geld strömt in den Markt. Vor 20 Jahren, beim letzten Kunstboom, waren neben Amerikanern und Europäern nur Japaner an Impressonisten und moderner Kunst interessiert. Nun ist die Kunstleidenschaft global und die Geldströme der Eliten schwellen an. Russische Oligarchen, chinesische Fabrikanten, brasilianische Landbesitzer, amerikanische Hedgefonds-Manager, deutsche Maschinenbauer – alle können diesen Munch, einprägsam, direkt in seiner emotionalen Wirkung, begehren und verstehen.

So gesehen ist es geradezu ein Zeichen von Maß und Vernunft, dass der Preis nicht höher ging. Jenseits der Auktionskulissen wurde Kunst schon oft teuerer verkauft. Der mexikanische Finanzier David Martinez bezahlte 2006 in einem privaten Deal 140 Millionen Dollar für Jackson Pollocks Gemälde „No. 5“. Ronald Lauder bezahlte für Gustav Klimts „Goldene Adele“ 135 Millionen Dollar. William de Koonings „Woman III“, das einst dem Schah von Persien gehörte, soll für 150 Millionen Dollar privat verkauft worden sein. Und hartnäckig hält sich das Gerücht über den absoluten Superkauf: Cezannes Kartenspieler aus dem Nachlass des griechischen Reeders Giorgios Embiricos, wie bei Munch „die letzte Version, die noch in Privatbesitz ist“, soll für 250 Millionen Dollar verkauft worden sein. Ebenfalls nach Katar.

Matthias Thibaut

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