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Panorama: Kurzer Prozess

Am Mittwoch steht Boris Becker in München vor Gericht. Finanziell und privat ist er arg gebeutelt. Kommt er mit einer milden Strafe davon?

Können die Journalisten ihre Ellbogenschützer zu Hause lassen? Die Verhandlung am kommenden Mittwoch, so teilte das Oberlandesgericht München mit, sei nun doch in den größten Sitzungssaal verlegt worden. Im Raum mit der Nummer A 101 / I finden nun 80 Pressevertreter Platz und noch mal so viele Zuhörer. Ob das reicht? „Kommen Sie trotzdem nicht erst 20 Minuten vor Verhandlungsbeginn“, warnt Pressesprecherin Aiga Salwetter, „dann stehen Sie vor der Tür“. Das Interesse ist gewaltig, denn einer wird auf jeden Fall im Saal sitzen, auf einer Holzbank. Der Angeklagte heißt Boris Becker und es geht um Steuerhinterziehung. Zwei Verhandlungstage sind angesetzt.

Teure Affären mit Frauen

So viel steht fest. Über alles andere wird seit Wochen mit Begeisterung spekuliert und dementiert. So meinten die „Stuttgarter Nachrichten“ zu wissen, dass Becker mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe davonkommen werde und außerdem eine Steuerschuld von rund 2,5 Millionen Euro sowie eine Geldbuße in sechsstelliger Höhe zahlen müsse. Er werde, so das Szenario, zum Prozessauftakt eine persönliche Erklärung verlesen, die vom Gericht als strafmilderndes Geständnis akzeptiert werde. Danach werde das Verfahren sofort beendet, Becker könne das Gericht als freier Mann verlassen.

Ähnliches hatte der „Spiegel“ schon vor Wochen vermutet, zudem soll Becker bereits vorab 3,2 („Focus“) oder 1,6 („Bunte“) Millionen Euro an Steuern nachgezahlt haben, um Richterin und Staatsanwalt milde zustimmen. Laut „Spiegel“ von heute könnte es sich um wesentlich weniger handeln: Demnach habe Becker Steuerbescheide für die Jahre 1991 bis 1993 erhalten, die nur noch von einer Schuld von 320000 Euro aus Einkommen- und Vermögensteuer ausgehen. Mit Hinterziehungszinsen kämen rund 450000 Euro zusammen.

Einen Teil dieses Betrags hat Becker laut „Spiegel“ bereits Anfang vergangener Woche an das Finanzamt überwiesen, der Rest soll bis zum Verhandlungsbeginn am Mittwoch bei der Staatskasse eingehen. Es stehen noch weitere Steuerbescheide für andere Jahre aus, über die vor Gericht jedoch nicht verhandelt wird. Nur: Bislang haben Beckers Anwälte und die Justiz einmütig jede Absprache – die in einem Steuerverfahren nicht ungewöhnlich wäre – bestritten. So darf man gespannt sein, was im Saal A 101/I tatsächlich an Fakten auf den Tisch kommt.

Im Kern geht es darum, ob Boris Becker zwischen 1991 und 1993 seinen Hauptwohnsitz nicht, wie angegeben, in Monte Carlo, sondern in München hatte und damit auch dort steuerpflichtig gewesen wäre. Der Münchner Steuerfahnder Walter F. hatte in akribischer Kleinarbeit Fakten rund um die Wohnung Gaußstr. 4 im Stadtteil Bogenhausen gesammelt, die eigentlich Beckers Schwester Sabine angemietet hatte. Eine spektakuläre Durchsuchung von Beckers damaliger Münchner Villa im Dezember 1996 lieferte anscheinend Berge von Beweisen. Nach jahrelangen Ermittlungen stand für die Steuerfahndung und für Staatsanwalt Matthias Musiol fest, dass Becker zwischen seinen Turnieren wesentlich öfter in München als in Monaco gewesen sei und, so die ursprüngliche Schätzung der Ermittler, dem Finanzamt 5,3 Millionen Euro Steuern vorenthalten habe.

Damit schien Becker Böses zu drohen, schließlich ist gerade die Münchner Justiz für ihre harte Linie gegen Steuersünder bekannt. So wurde vor fünf Jahren Konzert-Manager Marcel Avram hier zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – und der hatte gerade mal 4,9 Millionen – Mark – am Fiskus vorbeigeschleust. „Muss Becker in den Knast?“, fragten Boulevardblätter so bang wie gierig. Wohl nicht, denn die Vorwürfe sackten bald in sich zusammen. „Die angeblich vielen Millionen, die Herr Becker hinterzogen haben soll, entsprechen nicht der Realität“, sagte die Richterin Huberta Knöringer gegenüber der Presse, „in der Anklage geht es lediglich um einen Betrag von rund 1,5 Millionen Euro.“ Es könnte also sein, dass Boris Becker noch einmal mit einem blauen Auge davonkommt. Bleibt zu hoffen, dass er den vorläufigen Tiefpunkt seiner Zeit nach dem Tennis als Wendepunkt begreift und nutzt.

Vor drei Jahren trat er als Profi ab. Seitdem hat er fast so viele Fehlschläge hingelegt, wie er in den 15 Jahren zuvor Grand-Slam-Trophäen gesammelt hat. Seine Agentur Boris Becker Marketing wurde schnell wieder aufgelöst. Sein Online-Portal Sportgate ist pleite. Der Biokost-Versand New Food, bei dem er einstieg, hat Insolvenz angemeldet. Seine Mercedes-Autohäuser in Mecklenburg-Vorpommern stehen zum Verkauf, dazu lief auch privat alles schief: Scheidung plus Unterhalt und eine Londoner Wäschekammer-Affäre kosteten Becker viele Millionen Euro. Blickt man auf dieses Desaster, dann ist klar, dass der 34-Jährige genau so schnell und gründlich abgestürzt ist, wie er vorher emporgestiegen ist. Aber eine andere Geschwindigkeit als rasendes Tempo gab es bei Boris Becker wohl noch nie.

Jörg Schallenberg[München]

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