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Panorama: Leben in der Blase

Mit der Euphorie um Second Life entstehen virtuelle Millionenvermögen. Doch wie viele können gewinnen? Wann platzt die Illusion?

Wer heute noch etwas entdecken will, muss in die Ferne reisen. Etwa nach Emerald Island. Die Insel lockt mit tropischen Früchten, üppigem Grün und mit schier unbegrenzten Möglichkeiten. Emerald Island liegt in Second Life, der neuen Kolonie des digitalen Kapitalismus. Die blühenden Landschaften im Netz wurden von Linden Lab geschaffen. Eine kleine Firma im realen Kalifornien. Und da immer mehr Menschen in den USA, Großbritannien, China und Deutschland auf Entdeckungsreise gehen möchten, erlebt die kleine Welt eine Bevölkerungsexplosion. Die Anzahl der Siedler ist auf mehr als drei Millionen gestiegen, allein in den vergangenen zwei Monaten sind eine Million hinzugekommen. Das Versprechen des Spiels: das Vermögen aus der virtuellen Welt lässt sich in reales Geld tauschen.

Beeindruckend, zumindest für eine virtuelle Welt. Und in der Tat kann Linden Lab auf einige reale Erfolgsgeschichten verweisen. Etwa die von Anshe Chung, die in Second Life zum Immobilientycoon aufgestiegen ist oder Jennifer Grinnell, deren Mode die virtuelle Welt in Verzückung bringt. „Es ist längst kein Spiel mehr“, sagt Second-Life-Veteranin Kimberly Rufer-Bach. „Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und Universitäten ziehen Gewinn aus der Onlinewelt.“

Der Boom der digitalen Ökonomie lockt täglich Tausende neue Spieler an. Doch mit dem rasanten Erfolg gewinnen auch die Kritiker an Gewicht. Schon fragt das US-Magazin „Wired“: „Wie viele Teilnehmer können gewinnen, bevor der Boom endet?“ Glaubt man dem schärfsten Kritiker, dem Risikokapitalberater Randolph Harrison, dann verbirgt sich hinter der glitzernden Popcornfassade von Second Life keine Geldmaschine, sondern ein raffiniertes Pyramidenschema.

Harrison, früher Berater bei KPMG, berät heute mit seiner Firma Risiko Solutions Risikokapitalgeber beim Eintritt in Technologie- und Onlinewelten. Sechs Monate lang hat er mit 10 000 US-Dollar die Onlinewelt von Second Life auf Herz und Nieren getestet. Sein Fazit ist eindeutig: „Second Life ist ein klassisches Schneeballsystem.“ Eine These, die in der Webgemeinde kontrovers diskutiert wird.

Second Life gehört zu einer Reihe neuer Online-Rollenspiele, ähnlich wie World of Warcraft mit seinen mehr als sieben Millionen Spielern, die monatlich 15 Dollar als Eintrittsgebühr zahlen. Ein glänzendes Geschäft für Vivendis Spieletocher Blizzard Entertainment: 1,4 Milliarden Dollar Jahresumsatz machen World of Warcraft zum Blockbuster der Spieleindustrie. Doch anders als bei World of Warcraft, wo die Spieler in Kreuzzüge ziehen und Monster bekämpfen, bauen die Teilnehmer in Second Life ihre eigene Realität. Sie erschaffen alles in dieser Welt: Kleidung, Gebäude, Geschäfte, neue Landschaften.

Der Start ins zweite Leben ist kinderleicht: ein schneller Internetzugang, handelsüblicher Computer und die kostenlose Software von Second Life. Keine zehn Minuten Einrichtung und los geht der Spaß in der Parallelwelt. Jeder Spieler erhält einen sogenannten Avatar, ein virtuelles Alter Ego, dessen Aussehen, Körperbau und Kleidung er beliebig ändern kann. Mit ihm marschiert er durch die bewegte 3-D-Fantasiewelt des Onlinespiels. Der Clou: Avatare können sogar fliegen oder sich von einem Ort zum nächsten beamen. Ihre Bedienung ist einfach und mit etwas Übung und Geschick recht schnell erlernbar. Wer hier seine Zeit verbringt, wird Teil einer neuen Gesellschaft.

In der Realität laufen Investoren dem Initiator, Linden Lab, die Bude ein. Allein im vergangenen Jahr sammelte dessen Chef Philip Rosedale elf Millionen Dollar ein. Neben den Finanzinvestoren Benchmark Capital, Catamount Ventures und Globespan Capital Partners gehören die Software-Legende Mitch Kapor, die Omidyar-Finanzgruppe des Ebay-Gründers Pierre Omidyar sowie Amazon-Chef Jeff Bezos zu den Geldgebern. Bezos redet nicht über sein Investment, aber Rosedale sagt: „Er glaubt einfach, dass es cool ist.“ Vor allem Mitch Kapor treibt als Investor und Chairman die Entwicklung von Linden Lab voran. Der Erfinder von Lotus 1-2-3 gilt unter den Dinosauriern im Silicon Valley als Visionär. „Second Life ist kein Spiel“, sagt Kapor. „Es ist eine Welt, erschaffen von ihren Bewohnern.“

Andererseits sucht etwa auch der große Medienkonzern Endemol Mitarbeiter für den Aufbau einer Second-Life-Präsenz. Die Verbindung zum echten Leben scheint im Trend zu liegen: Große US-Konzerne bieten in eigenen Shops virtuelle Versionen ihrer Waren, etwa Sportschuhe, an, die dann natürlich auch im echten Leben erworben werden sollen. Und die alleine durch ihr Mode-Label „Preen“ in Second Life bekannt gewordene Aimée Webber will nun eine echte Modelinie aufbauen. Adidas, Dell, IBM oder Amazon glauben die Eintrittskarte in das Internet der Zukunft entdeckt zu haben, um für ihre Produkte zu werben. So betreibt etwa der Computerhersteller Dell einen Onlineshop, der nahtlos in die 3-D-Welt von Second Life integriert ist. Second-Life-Nutzer kaufen im Dell-Shop mit ihren Avataren ein und bezahlen die PCs in der Währung der Parallelwelt: dem Linden-Dollar. Die Computerfirma liefert die gewünschte Ware danach an die realen Nutzer aus. Sogar die BBC hat Second Life für sich entdeckt und hostet reale Events nun auch virtuell auf einer eigens gemieteten Insel in Second Life. Die Begeisterung treibt den Erfolg von Linden an: Das Unternehmen veröffentlicht keine Umsatz- und Gewinnzahlen, aber im letzten Quartal war, sagt Lindens PR-Mann Alex Yenni, Linden erstmals profitabel.

Der Erfolg lässt die Träume in den Himmel wachsen. „Linden Lab will einen dreidimensionalen Ersatz für das WWW schaffen“, sagt Johannes Sperlhofer, Software-Entwickler und Forscher in der Arbeitsgruppe i-Spaces beim Wiener „E-Commerce Competence Center EC3“. Jedoch warnt Sperlhofer vor übertriebener Euphorie. Second Life ist „definitiv overhyped“, sagt Sperlhofer. „Jetzt Milliarden hineinzuinvestieren ist der falsche Weg, aber sich alles anschauen – kritisch – ist sicher gut.“ Was Beobachter in der virtuellen Kolonie sehen, ist erzkapitalistisch. Jeder kann reich werden, aber auch scheitern.

Was in Europa der Euro, ist in Second Life der Linden-Dollar. An der Linde X, einer eigens von Linden Lab eingerichteten und geführten Wechselstube, werden die Linden-Dollar in echtes Geld getauscht. Linden Lab ist dabei die Zentralbank, der Chef John Zdanowksi de facto Zentralbankpräsident. Derzeit tauschen die Zentralbanker 270 Linden-Dollar gegen einen echten Greenback ein. Die Aussicht auf reale Gewinne befördert den Ehrgeiz. Erste Spieler beschäftigen bereits andere Teilnehmer in Niedriglohnländern wie China, um immer neue Produkte für die Onlinewelt von Second Life zu schaffen. Sie programmieren und erspielen Gegenstände, die ihre Auftraggeber gewinnbringend verkaufen. Und so kopiert die zweite die erste, unsere Welt.

Sven Scheffler

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