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Panorama: Lebenslänglich nur für das Opfer - Das Gericht beweist Augenmaß (Kommentar)

Ein schreckliches Foto: Es zeigt einen Mann ohne erkennbare Leidenschaften. Nicht einmal Leiden.

Ein schreckliches Foto: Es zeigt einen Mann ohne erkennbare Leidenschaften. Nicht einmal Leiden. In dunkler Apathie starren die Augen des Franzosen Daniel Nivel ins Nichts, das Getöse im frühsommerlichen Gerichtssaal schlägt sich weder in Habitus noch in Mimik nieder. Augenzeugen berichten, dass die Schilderung des Tat-Ablaufs allenfalls bis in in die linke Hand des Gendarmen vordringt. Mit ihr knetet er ab und an, sporadisch seinen rechten Arm, als wolle er einen Fremdkörper ertasten. Gestern wohnte Daniel Nivel regungslos der Urteilsverkündigung bei. "Vielleicht kommt seine Reaktion später," hofft seine Frau. Auch das ist ein schreckliches Bild, eines von Hoffnung in der Verzweiflung.

Mit "großer Kraft", so der Vorsitzende Richter im Verfahren vor dem Essener Landgericht, Rudolf Esders, hat der 28jährige deutsche Hauptangeklagte, Andre Zawacki, mit einem "metallischen Gewehraufsatz" auf den Kopf des Gendarmen gezielt und dann auf ihn eingeschlagen. Das Geräusch des berstenden Schädels möchte man sich lieber nicht vorstellen. Das ist im Juni 1998, wie es heißt, "am Rande der Fußball-Weltmeisterschaft" in Frankreich, in Lens passiert. Für vier deutsche Hooligans sollte es nur das übliche, banal-böse Auftaktspiel sein. Für Nivel wird es das ewig währende Endspiel bleiben.

Die medizinischen Gutachten haben nach Ermessen des Gerichts nicht klären können, ob es die Wucht der Schläge mit dem Gewehraufsatz waren, die zu den Gesundheitsschäden geführt haben, oder etwa die Fußtritte der drei anderen - zu dreieinhalb bis sechs Jahren Gefängnis - verurteilten Hooligans. "Daher konnte die Höchststrafe nicht verhängt werden", sagte Esders. Außerdem, so muss man hinzufügen, war es kein vollendeter Totschlag. Die Gewalt der Hooligans hat den Familienvater, das ist vielleicht schlimmer als der Tod, wohl zu einem lebenslänglichen Seelen-Koma verurteilt. Es ist kaum anzunehmen, dass sie bei ihrem Wüten noch bewußt die Grenze zur sicheren Tötung haben einhalten können - oder wollen.

Die Urteilsbegründung läßt sich so lesen: Womöglich dient sie dem Gericht dazu, ein im Sinne des Augenmaßes getroffenes Strafmaß eher zu legitimieren als es tatsächlich zu begründen. So minutiös das Strafrecht Millimeter für Millimeter Strafbarkeit auslotet, so vage bleibt es beim Festlegen harter Regeln bei der Strafzumessung. Auch hier spielt der Daumen, über den gepeilt wird, eine Rolle. Das Urteil liegt jedenfalls im Rahmen des Vernünftigen - angesichts der Tatumstände - und auch des Notwendigen. Zehn Jahre für den Haupttäter sind bei einem Strafrahmen von drei bis 15 Jahren ist keineswegs milde und auch nicht von demonstrativer Überhärte. Bei einem nicht vorbestraften Täter ist die Hälfte der Höchststrafe bereits sehr, sehr hoch. Wem dies nicht genug "Signalwirkung" ist, sollte bedenken: Das Unrechtsbewusstsein dieser vier, wie auch der meisten anderen seelenverwandten Täter ist weit geringer entwickelt als ihre wölfische Gier nach Gewalt, die sie an den Tag legen. Das sind emotional Minderbemittelte, psychisch Deprivierte. Das ist Clockwork Orange.

Vielleicht will es ein Versehen, dass die Täter sich das schreckliche Foto einmal ansehen müssen. So werden sie erkennen, dass sie einen Menschen in den lebenslänglichen Tod geprügelt haben. Die Vier waren Teil einer Herde von 500 Mensch gewordener Pitbulls, die ihrer Umgebung stets mit hochdosierter Gewalt zu Leibe rücken. Ihre kaum sublimierten Rituale der Jagd ähneln der antiken Lust am Kampf in der Löwengrube. Die Arena ist noch da, die Gehetzten auch. Die Zuschauer sowieso - in und vor den Arenen.

Rüdiger Scheidges

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