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Elton H. nach seiner Verhaftung wegen Vandalismus am 22. November 2014 in Singapur.

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Update

Singapur: Stockschläge und Haft für Leipziger Graffitisprayer

Zwei Leipziger bekommen in Singapur drei Stockschläge auf den nackten Hintern und müssen für neun Monate ins Gefängnis. Sie waren in ein U-Bahn-Depot eingebrochen und hatten einen Waggon mit Graffiti besprüht.

Wie Schwerverbrecher stehen die beiden Graffiti-Sprüher aus Leipzig in Singapur vor dem Richter: Die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt werden sie in den Saal gebracht. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift: Gefangener. Dann präsentieren sich die beiden als reumütige Sünder: Er schäme sich, sagt der eine, richtig dumm gewesen sei er, räumt der andere ein.

Richter Liew Thiam Leng lauscht und verzieht keine Miene. Er verkörpert die ganze singapurische Staatsräson: Es geht um den kleinen asiatischen Stadtstaat, der sich mit eiserner Disziplin, autoritärer Regierungsführung und strengsten Gesetzen aus dem nachkolonialen Chaos in der Region zu einem der wohlhabendsten Standorte der Welt entwickelt hat.

„Andere abschrecken“, belehrt der Richter die beiden - das sei neben der Strafe die Absicht seines Urteils. Die ganze Planung des Einbruchs in ein U-Bahn-Depot mit Beschmierung eines Waggons, das deutet er als kriminelle Energie: der Einkauf der zwölf Sprühflaschen - am 6. November um 17.31 Uhr in einem Laden für Künstlerbedarf, wie die Staatsanwaltschaft penibel verliest; dann auch noch das dreiste Ausspähen des Tatorts in der Nacht zuvor. Neun Monate Haft und drei Stockschläge, verkündet er schließlich.

„Dieser Akt des Vandalismus zeugt von bemerkenswerter Anstrengung“

Der Staatsanwalt hat die Tat vorher per Foto demonstriert. Zu sehen ist auf der Farbaufnahme ein U-Bahnwaggon, daran das Sprühbild der Deutschen: zehn Meter lang und 1,8 Meter hoch. „Dieser Akt des Vandalismus zeugt von bemerkenswerter Anstrengung“, sagt der Staatsanwalt. Was anderswo mit einer Strafe oder ein paar Stunden gemeinnütziger Arbeit abgetan worden wäre, gilt in Singapur als schwere Straftat.

Singapurs Obrigkeit nimmt für sich in Anspruch, die Bevölkerung vor Gefahren wie etwa Terrorismus zu schützen. Als Gegenleistung müssen die Bürger strenge Gesetze und drakonische Strafen, auch die Todesstrafe, akzeptieren. Der Einbruch der beiden Deutschen in ein hoch gesichertes U-Bahn-Depot wiegt deshalb schwer, offenbart er doch eine Lücke im Sicherheitssystem des Stadtstaats. Videos mit Warnungen vor Bombenanschlägen in der U-Bahn und Bildern von den Madrider Zuganschlägen von 2004 laufen immer wieder über die Monitore der Singapurer Bahnstationen. Wer sich unerlaubt Zugang zu einem Zug verschaffen kann, muss deshalb aus Sicht der Singapurer Regierung hart bestraft werden.

Singapur gilt als eine der sichersten und saubersten Städte der Welt. Auch für die drakonischen Strafen ist der Stadtstaat bekannt.
Singapur gilt als eine der sichersten und saubersten Städte der Welt. Auch für die drakonischen Strafen ist der Stadtstaat bekannt.

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Ansehen in der Sprayerszene

Die simple Botschaft „Ich war hier“ motiviert Sprayer zu ihren Graffiti - das sagt Sebastian Drechsel vom Leipziger Graffitiverein zum Fall der beiden Leipziger. Manche Sprayer reisten durch die ganze Welt, um ihre Bilder zu hinterlassen. Harte Strafen schreckten sie nicht. Jeder wisse, dass in Singapur harte Strafen drohten, und eine Prügelstrafe finde auch niemand cool. „Das ist schon ein einschneidendes Erlebnis“, sagte Drechsel. Die Risiken würden aber in Kauf genommen, um sich auszudrücken. Der Reiz sei derselbe, der auch Touristen dazu bewege, sich etwa im Treppenaufgang der Berliner Siegessäule mit ihrem Namen zu verewigen.

Die meisten Sprayer kämen aber dorthin, wo das Sprühen erlaubt sei: „Sie wollen ja nicht verfolgt werden. Sie wollen ihre Bilder sprühen.“ Der Graffiti-Künstler „AKTEone“ aus Berlin verglich Sprayer, die in Singapur ihre Bilder hinterlassen, mit Fallschirmspringern, die aus dem Weltall springen. Das sei etwas ganz Besonderes, fast Unerreichbares: „Die werden ihren Ruf dafür bekommen.“

Was für ein Graffiti haben die Leipziger gesprüht?

Auf der Internetseite der "The Straits Times" Singapur war am 17. Dezember 2014 ein Artikel über die beiden verhafteten Leipzigern zu finden. Dort wurde ein Bild von einem beschmierten U-Bahnwaggon gezeigt. Sollte es sich dabei tatsächlich um das Werk der Leipziger handeln, kann von sicherer Dosenführung oder Kreativität wohl kaum gesprochen werden. In den Medien in Singapur wurde ebenfalls ausführlich über die deutschen Straftäter berichtet.

Der erste Regierungschef Lee Kuan Yew hat Singapur seit der Staatsgründung vor 50 Jahren einen autoritär-paternalistischen Stil verpasst, der bis heute durchgezogen wird. Sein Sohn ist heute Regierungschef. Einen Tag vor dem Urteil hat das Berufungsgericht noch einmal bekräftigt: Die Prügelstrafe sei verfassungskonform. Das Folterverbot im Gesetz gelte nicht für Verurteilte, sondern nur für Verdächtige, um zu verhindern, dass Geständnisse erpresst werden. „Ja, wir haben drakonische Strafen: Prügelstrafe, lange Haftstrafen, Todesstrafe“, sagte Justizminister K. Shanmugam 2012 im Parlament.

Andreas Von K., einer der zwei Leipziger, die in Singapur wegen Vandalismus verurteilt wurden. Vor Gericht bereuten sie ihre Tat, trotzdem gibt es Schläge auf den nackten Po.
Andreas Von K., einer der zwei Leipziger, die in Singapur wegen Vandalismus verurteilt wurden. Vor Gericht bereuten sie ihre Tat, trotzdem gibt es Schläge auf den nackten Po.

© dpa

„Das Ergebnis: Wir sind eines der wenigen Länder, das etwa das Rauschgiftproblem ziemlich erfolgreich eingedämmt hat.“ Das kleine Ländchen, nicht mal so groß wie die Insel Rügen, hat eine der niedrigsten Kriminalitätsraten der Welt und ist blitzsauber.

Abschreckung durch drakonische Strafen

Die Singapurer schließen daraus: Abschreckung durch drakonische Strafen funktioniert. Ein Anwalt der beiden Leipziger, Rüdiger Ackermann, meint, er sei zwar persönlich nicht für körperliche Züchtigung. Aber: „Wenn man ins Ausland reist, muss man die dortigen Gesetze beachten.“ So werden die Leipziger - wie durchschnittlich mehr als 2000 andere Verurteilte im Jahr - demnächst im Gefängnis die Hosen runterlassen müssen.

Die Aussicht, in einer Berufung um die Prügelstrafe herumzukommen, sind gleich null. Mit den Stockschlägen, scheint es, haben sich die beiden schon abgefunden: Ihr Anwalt hat in seinem Plädoyer zwar eine kürzere Haftstrafe gefordert, die drei Stockschläge aber akzeptiert.

Die Prügelstrafe wird mit einem feuchten Peddigrohr auf den nackten Po verabreicht. „Eine Woche hat es höllisch wehgetan“, sagte der Bangladescher Forhad Mridha, der einmal ohne Visum erwischt wurde und deshalb Stockschläge bekam. Nach seinen Angaben wird die Prügelstrafe meist am Ende der Haftstrafe verabreicht - damit der Verurteilte die schmerzliche Erfahrung auch noch in Freiheit in Erinnerung behält. (dpa, rok)

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