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Eurovision Song Contest: Lena war Oslo

Vor einem Jahr war sie ironisch, fröhlich, liebenswert; 2011 ist Lena Meyer-Landrut Teil eines Experiments. Wie konnte etwas, das so reizend begann, nur so enden?

Es ist gar nichts passiert. Noch steht die Trophäe im Schrank. Und dass die anderen es besser können, müssen sie auch erst beweisen. Gute Nachrichten für Stefan Raab dürften auch sein, dass „Good News“, das Album seines Schützlings Lena, schon in der ersten Woche Rang eins der Hitparade erklommen hat. Sechs Stunden Dauerwerbesendung für das Album bei „Unser Song für Deutschland“ hat seine Wirkung nicht verfehlt. Wer wollte noch bezweifeln, dass die Popstars der Gegenwart im Fernsehen gemacht werden.

Mit durchschnittlich 2,2 Millionen Zuschauern fiel das Interesse an der großspurig als Titelverteidigung angekündigten Lena-2.0-Show auf ProSieben allerdings recht gering aus. Am Freitag soll das Finale bei der ARD über die Bühne gehen. Die hat nicht nur den Eurovision Song Contest auszurichten, sondern auch einen Ruf zu verlieren. Dass man sich überhaupt mit Raab, dem „Rebell“ des deutschen Primetime-Entertainments („Spiegel“), zusammengetan und ihm erneut die Macht über das Auswahlverfahren übertragen hat, findet in der Anstalt nicht nur Befürworter. Man ließ sich überrumpeln, als Stefan Raab leichtfertig beschloss, dass Lena nach ihrem grandiosen Triumph in Oslo vor heimischer Kulisse ein zweites Mal antreten müsse. Europa hatte das nette Mädchen aus Hannover ins Herz geschlossen. Warum sollte das nicht erneut funktionieren?

Aber nun das: ein Sendeformat, das nicht zieht. Das zu einseitig auf Lena, den Star des Vorjahrs, ausgerichtet ist. Und dann geht es darin nicht mal um Menschen, die einander besiegen wollen, wie bei Raab sonst immer. Stattdessen stehen Songs im Mittelpunkt. Die sind der Rohstoff einer Popkarriere. Aber man versteht sie erst, wenn sie mit jemandes Leben verschmolzen sind. „Hound Dog“ mit dem Leben von Elvis, „Respect“ mit dem Aretha Franklins oder „Bohemian Rhapsody“ mit dem Freddy Mercurys. Die Kritiken fielen entsprechend reserviert aus.

Dabei macht Stefan Raab der Nation das Geschenk, an die Quelle einer Popstar-Existenz zurückzukehren. Denn die beginnt nicht damit, dass sich ein Jugendlicher für begabt genug hält, einer Castingjury irgendeinen bewährten Hit vorzutragen. Das beweist nur seinen Ehrgeiz. Wie sehr es darauf ankommt, etwas Wesentliches mitteilen zu wollen, selbst wenn niemandem klar ist, worin dieses Wesentliche bestehen könnte, dafür steht jetzt Lena.

Vor einem Jahr musste man es nicht so genau wissen, als bei „Unser Star für Oslo“ Lena Meyer-Landrut aus der Kulisse trat und Marius Müller-Westernhagen der Bürgerstochter „Starqualitäten“ attestierte. Sie stand kurz vor dem Abitur, träumte von einer möglichen Schauspielkarriere, und eine vom RTL2- Trash frustrierte Fernsehnation war augenblicklich verliebt in sie. Lena Meyer-Landrut trug bürgerliche Ironie in ein Medium, in dem man die nicht erwartet hätte. Und Raab, ihr Mentor, erkor sie als seine Muse aus, schrieb ihr das Lied „Love Me“.

Es sind noch weitere Raab-Lieder dazugekommen. Heute aber scheint Lena das alles nicht allzu ernst zu nehmen. Was das Popstarlexikon an verbalen Dämlichkeiten zu bieten hat, wird von einer offenkundig überforderten Darling-Darstellerin in bräsigen Hintergrundberichten vorgetragen. Wie konnte etwas, das so reizend begann, nur so enden?

Manche sagen, Lena sei überheblich geworden. Doch das ist nicht der Punkt. Ein führender NDR-Mitarbeiter drückt das Dilemma so aus: „Vor einem Jahr hat Lena die Beschützerinstinkte eines ganzen Landes geweckt. Jetzt ist sie älter, erwachsener. Die Frage lautet: Erlauben ihr die Zuschauer, erwachsen zu werden.“ Es ist das Drama jedes Teeniestars. Die Entwicklung findet unter verschärften Bedingungen statt. Denn Lena soll nicht mehr sein, was sie früher ausgezeichnet hat – sie selbst. Das ist der Preis von Stefan Raabs Mission. Sie müsste sich selbst besiegen. Wie macht man das?

Stefan Raab hat einen langen Weg zurückgelegt, um so weit zu kommen. Mit eiserner Hartnäckigkeit hat er den Grand-Prix von seinem Image einer klebrigen Schlagerparade befreit. Mag sein, dass ihn der Wettkampf gereizt hat. Allerdings dürfte ihm auch der plebiszitäre Charakter der Veranstaltung entgegengekommen sein. Denn Raab verkörpert das Ende der Expertokratie. Seit er nach seiner Metzgerlehre als Jingle-Produzent um Aufmerksamkeit buhlt, folgt er dem Leitsatz: Das kann ich auch. Über besondere Talente verfügt er dabei nicht. Weder als Moderator – Übergänge kriegt er nicht hin, und wortgewandt ist er auch nicht – noch als Musiker. Dass er in seiner Sendung die Peinlichkeiten des Fernsehens ausstellt und sich lächerlich macht über die Hilflosigkeit einfacher Leute, das passt in dieses Bild. Nur wer im Prinzip nicht besser ist als all die Fernsehtrottel am Maschendrahtzaun, kann sich über sie amüsieren.

Ob „Schlag den Raab“, „Wok WM“ oder Lena – Raab riskiert ständig, auch als Person zu scheitern. Und die Enttäuschung kann er nicht verbergen, als mit „That Again“ gleich der beste seiner drei Songs für Lena aussortiert wurde. Welcher andere Künstler würde sich öffentlich so weit zur Disposition stellen?

Am Freitag wird nur noch ein Song übrig, die anderen bald vergessen sein. Und eigentlich geht es nur darum, ob sie das liebe Mädchen bleiben darf, das immer weiter voran will („Push Forward“). Oder ob sich ihre Furcht vor einem Leben durchsetzt, das ihr fremd und gefährlich vorkommt – wie in „Taken By A Stranger“.

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