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Mafia

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Mafia: Die Ehre der Bosse

Die italienische Mafia ist weit mehr als ein Schießverein – sie ist eine verfilzte gesellschaftliche Struktur.

Drei Tage vor dem Massaker in Duisburg machte in Italien ein seltsamer Bericht die Runde. Die sizilianische Mafia habe dem Staat angeboten, nach dem Vorbild der irischen IRA „die Waffen niederzulegen“, um Hafterleichterungen für ihre Bosse zu erreichen. Verhandlungen darüber scheiterten aber – sie wären ja auch am Thema vorbeigegangen. Denn auch wenn die Mafia einen bewaffneten Arm hat, ist sie viel mehr als ein Schießverein. Sie ist in Wahrheit eine undurchdringlich verfilzte gesellschaftlich-politisch-kriminelle Struktur, die in vielen Jahrzehnten über Süditalien gewuchert ist, ein Staat im Staate, dazu eine Ansammlung lokaler bis globaler Wirtschaftskartelle.

Die Mafia hat verschiedene Zweige. In und um Neapel agiert die „Camorra“. Das Wort leitet sich wohl von einem gleich lautenden spanisch-kastilischen Wort für „Streit, Prügelei“ ab. Der Name „'Ndrángheta“ für die Mafia in Kalabrien soll vom griechischen Ausdruck „anèr/andrós agathós“ abstammen – was nicht verwunderlich wäre, da Kalabrien in der Antike zu Großgriechenland gehörte und entlegene Bergdörfer noch heute einen griechisch gefärbten Dialekt sprechen. „'Ndrangheta“ würde demnach „guter, ehrbarer Mann“ bedeuten – von da ist nicht weit zur „Ehrbaren Gesellschaft“ und den „Ehrenmännern“ der Cosa Nostra von Sizilien.

Nur woher der Oberbegriff „Mafia“ selbst kommt, weiß niemand so recht. Der Ausdruck war bereits da, als Sizilien 1861 zum frisch geborenen italienischen Reich geschlagen wurde. Er stand für selbstverwaltete „sektenartige Bruderschaften“ in den Dörfern, die sich um einen „Capo“ scharten, gleich ob Pfarrer oder Grundbesitzer, und die eine gemeinsame Sozialkasse hatten – bewusst abseits der regulären politischen Struktur.

Der Staat, zunächst geistig und personell geführt von Norditalienern, ist den Sizilianern wie den Kalabriern immer fremd oder gar feindlich geblieben. Wo er Polizeigewalt aufbot, musste man rebellieren; wo er Lücken ließ, musste man sich selbst helfen, nach dem eigenen „Ehrenkodex“, nicht nach Gesetzen aus Rom. Sogar Mafia-Jäger Giovanni Falcone, von der Cosa Nostra 1992 ermordet, gab einmal zu Protokoll: „Alles in allem hat die Mafia über lange Zeit dazu beigetragen, einen Absturz der sizilianischen Gesellschaft ins soziale Chaos zu verhindern.“

Der Staat ist bis heute schwach im Mezzogiorno. Die Bürokratie ist nervtötend – also umgeht man sie mit geschickten Fädenziehern, mit Beziehungen, Seilschaften und der einen oder anderen Gefälligkeit. Der Arbeitsmarkt liegt darnieder – aber die Mafia hat Jobs zu bieten. Wer in Neapel Schmiere steht für die Kokain- und Heroindealer der Camorra, der verdient entschieden mehr als mit regulärer Arbeit. Wer Waffen oder Rauschgift im Schlafzimmerschrank zwischenlagert, kann bis zu 3000 Euro im Monat verdienen; wer einen Mafioso heiratet, hat ausgesorgt fürs Leben: Das „System“ garantiert eine Leibrente, auch und gerade wenn der Mann ins Gefängnis wandert. Allein in Neapel leben angeblich 25 000 Menschen unmittelbar von der Camorra.

Andererseits garantierte die Mafia lange Zeit – doch dieser Service gerät heute ins Wanken – eine öffentliche Sicherheit, die der Staat nicht herstellen konnte. Um sich diese Ruhe zu erkaufen, zahlen allein in Palermo mehrere zehntausend Geschäfte ihr „Schutzgeld“ an die Cosa Nostra – regelmäßig und schon deswegen verlässlicher als bei der Steuer an den Staat, weil die „picciotti“, die „Laufburschen“ der Mafia die vom Boss festgelegten Summen persönlich eintreiben.

Paradoxerweise waren es die „Befreier Italiens“, die der Mafia direkt zur politischen Macht verholfen haben: Als die US-Truppen 1944 in Sizilien landete, hatten sie eine Liste mit 850 faschismus-unverdächtigen, „verlässlichen Personen“ dabei, die sie eigens beim amerikanisch-sizilianischen Mafiaboss Lucky Luciano bestellt hatten. So sahen sich viele Chefs der örtlichen Mafia, die von Mussolini mit Erfolg niedergedrückt worden war, auf einmal zu Bürgermeistern ernannt.

Und Lucky Luciano verhalf der bis dahin kleinbäuerlichen Cosa Nostra, vor allem aber der Camorra zum Einstieg ins internationale Business. Als der Zustrom amerikanischer Zigaretten versiegte und das Tabakmonopol des italienischen Staates nur etwa 20 Prozent des Bedarfs deckte, erkannte die Mafia ihre Chance: Zuerst produzierte, dann importierte sie Zigaretten tonnenweise, illegal, übers Mittelmeer, in immer besser eingespielten Kontakten zum Balkan, nach Spanien, nach Nordafrika. Auf die Zigaretten folgten die Drogen – aber auch erst in den vergangenen 20 oder 15 Jahren und nach langwierigen, harten Diskussionen im „System“ selbst: Rauschmittel verstießen gegen den Ehrenkodex; sie beschädigten ja die Gesundheit anderer Menschen.

In dieser Umbruchszeit zog eine bis dahin kaum beachtete Gruppe in aller Seelenruhe an den anderen vorbei: Während die Cosa Nostra gegen den Staat bombte, auf diese Weise weltweit in die Schlagzeilen kam, während sich Camorra-Banden gegenseitig zerfleischten, webte die kalabrische 'Ndrangheta gänzlich unbehelligt ihr weltweites Rauschgiftnetz. Über kalabrische Auswanderer verhandelt sie direkt mit den kolumbianischen Koka-Anbauern; über Albanien und die Türkei kontrolliert sie Rauschgiftrouten aus dem Osten. Und überall, so stellten die italienischen Fahnder kürzlich in einem Bericht ans Parlament fest, sei die 'Ndrangheta gerne gesehen: „Sie ist finanziell sehr verlässlich, auch wegen der ungeheuren Reserven, die sie bar in ihren Kassen hat.“

Auf Schutzgeld ist die kalabrische Mafia längst nicht mehr angewiesen; sie treibt es nur noch ein, um ihre Herrschaft über die Region zu demonstrieren. Sie kontrolliert lokale Fisch- oder Gemüsemärkte, Autohändler, Feriendörfer, das Beschaffungswesen der staatlichen Kliniken und Polikliniken. Dabei ist sie eng mit Verwaltern, Richtern oder Politikern verfilzt; die Mafia – die kalabrische wie die sizilianische – organisiert die nötigen Stimmen bei diversen Wahlen. Und wer nicht mitspielt, wird eingeschüchtert, erpresst, bedroht. 12 000 solcher Vorfälle hat man allein in Kalabrien im Jahr 2006 gezählt. Der Regionalpolitiker Francesco Fortugno, der im Sanitätswesen aufräumen wollte, wurde 2005 im Wahllokal erschossen – im Auftrag jener 'Ndrangheta-Familien aus San Luca, die nun das Massaker in Duisburg angerichtet haben.

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