zum Hauptinhalt
Duisburg

© ddp

Mafia-Mord: Kugeln im Kopf

Die Flucht nach Deutschland hat nichts geholfen: Von sechs Leichen im Duisburger Hauptbahnhof, rivalisierenden Clans und Spuren am Tatort, die im Regen wegschwimmen.

Mit dem Strahl aus Wasserschläuchen fegt die Feuerwehr die letzten Überbleibsel eines gigantischen Verbrechens vom Steinpflaster. Jede Menge Glassplitter sowie Kreise und Zahlen von 1 bis 6, von Beamten der Spurensicherung mit gelber Kreide auf den Boden gemalt: Sechs Menschen sind hier gestorben, in der Nacht, knapp 100 Meter entfernt vom Duisburger Hauptbahnhof. Sechs Männer im Alter von 16 bis 38 Jahren, sie wurden erschossen. Das Szenario lässt auf eine Hinrichtung schließen.

Um 2 Uhr 24 in der Nacht hatte sich eine junge Frau bei der Polizei gemeldet. Sie habe Schüsse gehört. Als der erste Streifenwagen eintrifft, bitten die Beamten bei der Leitstelle sofort um Verstärkung. In der Einfahrt zu dem Gebäude, die gleichzeitig der Verbindungsweg zu zwei weiteren Bürohäusern ist, stehen sich ein blauer VW-Golf mit Pforzheimer Kennzeichen und ein weißer Opel-Kastenwagen frontal gegenüber. Die Scheiben sind zertrümmert. Im Golf sitzen vier leblose und blutende Gestalten, im Kastenwagen zwei weitere Männer, von denen einer sich bewegt. Die Opfer werden aus den Fahrzeugen gezogen, die Beamten leisten Erste Hilfe. Doch alle sechs Männer sind schon gestorben, bevor der erste Krankenwagen eintrifft.

Sie hatten Geburtstag gefeiert, wie sich später herausstellt. Ihr Freund TomassoFrancesco, der jetzt auch tot im Auto liegt, ist 18 Jahre alt geworden. Die sechs Männer, allesamt Italiener, hatten in der nur einen Steinwurf entfernten Pizzeria „Da Bruno“ gefeiert, zu der sie laut Polizei „in enger Beziehung standen“. Alle sechs haben in dem Restaurant gearbeitet oder waren finanziell daran beteiligt. Geburtstagskind Tomasso-Francesco war Lehrling in der Pizzeria.

Um 2 Uhr 10, so ermittelte die Polizei später, ist das Gasthaus abgeschlossen worden. Auf ihre Mörder müssen die Männer getroffen sein, als sie schon in ihren Autos saßen. Wieder und wieder haben die Killer geschossen, von außen durch die Scheiben, meist seitlich und von hinten. Etwa 70 Patronenhülsen sollen am Tatort gefunden worden sein, heißt es. Zwei Männer seien vom Tatort geflohen, berichtet eine Zeugin. Auf der Überwachungskamera eines Bürogebäudes, dessen Bilder in den kommenden Tagen vielleicht veröffentlicht werden, sind die Unbekannten laut Polizei „wohl nur von hinten zu sehen“. Ob die Mörder am Tatort noch weitere Spuren hinterlassen haben, ist unklar.

Die Spurensicherung wird in der Nacht von starkem Regen erschwert. Damit nicht allzu viele Hinweise „wegschwimmen“, stellen die Ermittler Zelte auf. In den frühen Morgenstunden werden die Körper der Ermordeten weggebracht. Rot-Kreuz-Helfer schützen die Leichname mit hoch gehaltenen Decken vor den Objektiven der Fotografen. Kurze Zeit später werden die Autos, in denen die Männer getötet wurden, für weitere Untersuchungen abtransportiert. „Die Welt wird immer verrückter, da wundere ich mich über gar nichts mehr“, sagt eine Frau. Hinter der Absperrung der Polizei drängen sich Schaulustige. „So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben“, sagt ein Rentner. „Doch, im niedersächsischen Sittensen“, erinnert sein Nachbar an den fünffachen Raubmord im Chinarestaurant vom Februar 2006. „Ach was, die Sache hier riecht nach organisiertem Verbrechen“, entgegnet ein Dritter. Das übliche Spekulationsgerede in den Stunden nach einem Mord? Die Agenturen bestätigen später die Darstellung. Italiens Innenminister berichtet, die Opfer würden zu einem von zwei rivalisierenden Clans der kalabrischen Verbrecherorganisation ’Ndrangheta gehören. Eines der Opfer hatte sich bewaffnet, wohl aus Angst vor Killern der Gegenseite. Die Angst war berechtigt. Die Flucht nach Deutschland aber, sie hat ihm nicht geholfen.

Detlef Schmalenberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false