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Panorama: Manisch dünnhäutig

Die einstige Pop-Göre Emma Forrest macht ernst: Mit ihrem zweiten Roman „Thin Skin“ geht sie an ihre Grenzen

Von Thérèse Balduzzi, New York

Vor zwei Jahren machte die junge englische Schriftstellerin Emma Forrest mit ihrem Erstling „dropper” Furore. In Deutschland unter dem Titel „Namedropping” herausgekommen, handelte ihr das Buch umgehend den Ruf der ultimativen Pop-Göre der MTV-Generation ein. Quirrlig und spritzig geschrieben erzählte es die Geschichte der blitzgescheiten, aber völlig desorientierten 16jährigen Viva Cohen, die bei ihrem schwulen Onkel Manny in London lebt. Kopflastig und jungfräulich unterhält sie eine platonische Beziehung zu einem zehn Jahre älteren Rockmusiker und sucht sich als beste Freundin ausgerechnet eine dummdreiste Sexbombe aus. Im Alter von zwei Jahren von ihrer Mutter verlassen, füllt sie das unermessliche Loch mit einem ungesunden Kult um Liz Taylor aus, deren Fotos ihre Wände schmücken.

Nicht von dieser Welt

Überhaupt lebt Viva lieber durch Filme (“Breakfast at Tiffany’s”), Fernsehserien („Seinfeld”) und Popmusik (Don Henleys „The Boys of Summer”) als sich mit ihrer realen Verlorenheit auseinander zu setzen. Kein Wunder verliebt sie sich in den selbstzerstörerischen Sänger Drew, weil er „nicht von dieser Welt ist.” Das von Bezügen auf die gegenwärtige und vergangene Popkultur strotzende Werk wurde in deutschen Besprechungen als „frecher, schneller Britpop” beschrieben und mit dem Etikett „kultverdächtig” versehen. Zur Vervollständigung des Popgören-Image lieferte die damals 22jährige nicht nur die passende Erscheinung – gefärbte Haare und die obligate Tätowierung – sondern auch eine Reihe biographischer Daten: Nachdem die Tochter eines Rechtsanwalts und einer Schriftstellerin bereits als 13jährige für ihre Schulzeitung in London zu schreiben begann, landete sie mit 16 in der Sunday Times eine Generation-X-Kolumne, der später eine weitere im Guardian folgte. Dies ebnete ihr den Weg zu Interviews mit Berühmtheiten wie Robin Williams, Ivana Trump, Brad Pitt und Natalie Portman, die in den Zeitschriften Marie Claire, Glamour, Vanity Fair, Esquire und GQ erschienen. Blutjung und höchst erfolgreich, beschloss sie - ebenso adäquat – nach New York zu ziehen, wo sie in Greenwich Village eine kleine Wohnung mietete. Durch ein Interview lernte sie dort sogleich das Girl der Saison, Chloë Sevigny („Boys don’t cry”), kennen, mit deren Bruder und Szenen-D.J. Paul sie bald eine stürmische Beziehung einging. Dies, sowie ihre Freundschaft zu Minnie Driver, die sie im legendären Hotel Chateau Marmont in Los Angeles kennen lernte, brachte das Bild der gestylt-verrückten Partyszeneliteratin zur Perfektion.

Doch Emma Forrests zweites Buch zwingt dazu, diese Einschätzung zu überdenken. Statt auf dem schön eingefahrenen Pop-Track weiterzugleiten, kommt „Thin Skin” (Dünne Haut) überraschend ernst und düster daher und spiegelt die erstaunliche Entwicklung, die die mittlerweile 25jährige Autorin durchgemacht hat.

Das stark autobiografisch gefärbte Buch spielt in New York und Los Angeles und erzählt die Geschichte der jungen Ruby, die bereits mit 20 Filmstar geworden ist, sich dabei aber schrecklich einsam fühlt. Ihre erste, adoleszente Liebe hat sie nie überwunden: Mit zwölf verliebte sie sich in den viel älteren Künstler Liev, den ihr Vater – ein wohlvernetzter Kunsthändler und Mäzen – als Hausgast aufgenommen hatte. Zusammen malten sie, schrieben sie Theaterstücke und gingen ins Kino. Doch Liev floh vor den sich anbahnenden sexuellen Spannungen zwischen ihm und der Minderjährigen. Nachdem sich auch noch ihre Mutter umbringt, sucht sich Ruby einen Agenten und wird gefragte Filmschauspielerin. Aber der Erfolg kann nichts gegen die tieferen Wunden ausrichten: Während Dreharbeiten driftet Ruby immer mehr auf einen selbstzerstörerischen Trip ab. Sie isst haufenweise Junk-Food und zwingt sich danach zum erbrechen. Zudem schneidet sie mit einer Klinge an ihren Armen, Beinen und schließlich am Nacken herum.

Der Roman „Thin Skin” folgt keiner linearen Struktur. Die Erzählperspektiven werden oft gewechselt, die Grenzen zwischen erzählter Realität und Fiktion verwischt, das Ende bleibt mehrdeutig: „Es handelt sich um die Geschichte von einer Frau, die in Stücke zerfällt, so eine Geschichte kann man nicht linear erzählen”, erklärt Forrest am Telefon aus London, wo sie gerade mit Ethan Hawk Lesungen hält. Die Kehrseite eines frühen Erfolgs hat Forrest selbst erlebt. Obwohl ihre Eltern wenig mit den Romanfiguren der beiden Bücher gemein haben, sie nach allen Kräften unterstützen und ihre frühe Schreibkarriere begrüßten, war ihre Umgebung nicht so großzügig. „Ich war zwar das Aushängeschild der Generation X, hatte aber kaum Gleichaltrige um mich herum”, erzählt Forrest. Diese reagierten auf ihren Erfolg mit Neid und Eifersucht.

Kotzen und Hautritzen

Auch die viel älteren Redakteure auf den Zeitungen, für die sie schrieb, waren vom Jungtalent nicht immer nur begeistert. „Ich war einsam und asozial”. In „Thin Skin verarbeitete Forrest auch ihre bisher größte Lebenskrise: Einen Teil des Manuskripts verfasste sie in einer Psychiatrieklinik in England. Nachdem Forrest schon als Kind hyperaktive Züge zeigte, setzte mit 16, als sie bereits erfolgreiche Journalistin war, ihre Bulimie ein. Auch das Hautritzen hat sie am eigenen Körper ausgelebt. Nach ihrem Umzug nach New York verschlimmerte sich ihr Zustand und sie wurde zum ersten Mal als manisch-depressiv diagnostiziert. Obwohl es ihr nicht einfach fiel, machte Forrest eine bewusste Entscheidung, über ihre biographischen Bezüge, vor allem ihre Bulimie und das Hautritzen, offen zu reden. „Ansonsten würde ich nur die englische Tradition, sich über psychische Krankheiten auszuschweigen, weiterführen”, sagt sie.

Beim Schreiben hätte sie auch oft an die Filmschauspielerin Angelina Jolie gedacht, die öffentlich über ihre Phase des Hautritzens gesprochen hat. Soweit sich das übers Telefon beurteilen lässt, wirkt Forrest wie eine durch schwierige Umstände früh gereifte und – wie alle ernsthaften Schriftsteller – höchst belesene Person.

Mit dem Image des MTV-Girls kann sie wenig anfangen. Sie zieht den Vergleich zu Bret Easton Ellis vor. „Weibliche Schriftsteller werden oft unterschätzt und gerne als lebhafte, aber oberflächliche Autorinnen dargestellt.” Sie räumt aber ein, dass sie schließlich noch ein Teenager war, als sie „Namedropper” zu schreiben anfing und heute vieles anders schreiben würde. Doch die Vorurteile sitzen fest. Forrest beobachtet, dass ihr neues Buch in Ländern wie etwa Japan, wo ihr Erstling nicht erschien, auf größeres Echo stößt als dort, wo sie zuerst mit „Namedropper” bekannt wurde. „Doch wenn die Leser anhand des neuen Buches auf ,Namedropper’ zurückgreifen, werden sie merken, dass sich die düsteren Züge bereits dort abzeichnen.” Zwar wimmelt es darin von Bezügen auf die Pop-Kultur, aber wie Forrest bemerkt, handelt es sich um die falschen. „Viva lebt im ,Golden Age’ von Hollywood auf, der Ära von Liz Taylor, Ava Gardner und Lauren Bacall und liegt damit zeitlich völlig daneben. Das Partygirl ist sehr, sehr einsam.”

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