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Panorama: Mann muss gut riechen

Die Lust lebt vom Duft – und von Erfahrung. Eine Charité-Studie untersucht das weibliche Sexualerleben

Wie erleben Frauen Sexualität? 575 Frauen zwischen 17 und 71 Jahren haben sich richtig viel Zeit nehmen und vielleicht auch ein wenig Mut fassen müssen, um einen 23 Seiten langen Fragebogen auszufüllen. Dieser Fragebogen wurde in ganz Deutschland in Arztpraxen, Friseursalons oder Unis ausgeteilt: „Es handelt sich hier um eine der detailliertesten Umfragen zum weiblichen Sexualerleben, die je in Deutschland gemacht wurden“, sagt Studienleiterin Sabine Grüsser-Sinopoli vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité. Repräsentativ sind die Ergebnisse trotzdem nicht. „Das ist bei Studien zu diesem Thema fast nicht machbar“, sagt Psychologin Anja Lehmann, die die Antworten jetzt für ihre Doktorarbeit auswertet.

Die befragten Frauen waren im Schnitt 30 Jahre jung, über die Hälfte hatte Abitur, 74 Prozent gaben an, in einer festen Partnerschaft zu leben, im Schnitt hatten sie acht Sexualpartner gehabt.

Für das erste Erwachen sexueller Empfindungen ist aber offensichtlich oft nicht ein Partner, sondern die Erkundung des eigenen Körpers wichtig: Die Hälfte der befragten Frauen erlebte ihren ersten Orgasmus bei der Masturbation. Für fast 78 Prozent spielt Selbstbefriedigung auch später eine Rolle. Andererseits machten 18 Prozent der Frauen zu diesem Thema überhaupt keine Angabe. Trotz der allgegenwärtigen Sexualisierung unserer Gesellschaft gebe es hier immer noch ein Tabu, meint Grüsser-Sinopoli.

Aus sexualwissenschaftlicher Sicht nicht ganz neu sind die Erkenntnisse der Studie zur Art des Orgasmus. Schon die feministischen Debatten der 70er und 80er Jahre hatten mit dem Mythos des allein „vaginalen“ Orgasmus aufgeräumt. Die überwiegende Mehrheit der jetzt befragten Frauen unterschied überhaupt nicht zwischen verschiedenen Formen des Höhepunkts, sondern allenfalls ganz pragmatisch zwischen den Wegen, auf denen er erreicht wurde. Dass die Klitoris , deren Nervenenden in die Vagina hineinreichen, eigentlich immer am Geschehen beteiligt ist, scheint heute zumindest theoretisch fast Allgemeingut zu sein.

Anja Lehmann interessiert sich besonders dafür, ob das sexuelle Erleben von Frauen von der Art der Aufklärung beeinflusst wird und wie es sich im Verlauf des Lebens aufgrund von Erfahrungen verändert. Die Auswertung der Daten ist hier noch nicht ganz abgeschlossen. „Doch es zeichnet sich deutlich ab, dass ein offenes Familienklima später viel zur Zufriedenheit in Beziehungen beiträgt – aber nicht unbedingt zur Orgasmusfähigkeit.“ Dafür ist hingegen gezieltere Aufklärung hilfreich, wahrscheinlich auch Erfahrung. „Die Lustfähigkeit steigert sich mit dem Alter, auch wenn die Häufigkeit der Sexualkontakte abnimmt“, sagt Lehmann.

In der Hitparade der Rahmenbedingungen, die für das Erleben eines Höhepunkts wichtig sind, steht bei den Frauen der „Geruch des Partners“ ganz oben. An zweiter Stelle folgt – etwas diffuser, aber nicht überraschend: die „Stimmung“. Konkreter wiederum, was auf Platz drei bis fünf zu finden ist: Die Hygiene des Partners, die Klitoris-Stimulation und eine „Sicherheit vor Krankheiten“. Auch Offenheit, Vertrauen und Attraktivität sind erwartungsgemäß nicht ganz unwichtig.

Das Verliebtsein kann überraschend nur einen mittleren Rangplatz beanspruchen. „Wer frisch verliebt ist, ist oft viel zu aufgeregt, um die nötige Entspanntheit aufzubringen“, mutmaßt Lehmann.

Immerhin sind von den Wissenschaftlern erfragte Faktoren wie „Länge des Penis“ weit unwichtiger als eine frische Liebe. Eine andere schon traditionelle männliche Befürchtung ist dagegen berechtigt: 90 Prozent der Frauen haben ihrem Partner schon mindestens einmal einen Orgasmus vorgetäuscht: meistens, weil sie ihn bestätigen wollen, statt ihn zu verunsichern.

Mit 105 Frauen hatte mehr als ein Sechstel der Befragten Erfahrungen mit gleichgeschlechtlicher Liebe. Dem gingen wahrscheinlich oft Erfahrungen mit Männern voraus, denn während erste lesbische Kontakte erst mit 21 Jahren beginnen, machen die meisten Frauen schon mit 17 Jahren ihre ersten heterosexuellen Erfahrungen.

Fast ein Fünftel aller befragten Frauen gab an, Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht zu haben. Leider passen auch diese erschreckenden Zahlen der Charité-Studie zu Erkenntnissen aus früheren Untersuchungen.

Adelheid Müller-Lissner

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