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Marcel Reich-Ranicki: Fernsehkritiker wirbt für kritisiertes Fernsehen

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Noch vor wenigen Tagen lehnte Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki den ihm verliehenen Deutschen Fernsehpreis ab, da ihm das Niveau des Fernsehprogramms missfalle. Nun sieht man Reich-Ranicki mit erhobenen Zeigefinger in Zeitungen als Werbeträger: Mit dem Spruch "Bei uns findet jeder ein Fernsehprogramm, das ihm gefällt“ wirbt er für T-Home.

Die Zeitung "Express“ ist Marcel Reich-Ranicki auf die Schliche gekommen: Der Fernsehkritiker wirbt für das kritisierte Fernsehen. Und zwar nicht für einen Sender, sondern gleich für einen ganzen Sender-Mix aus Qualitäts-Fernsehen und Ramsch-Fernsehen: T-Home hat als maßgeschneidertes Digital-TV-Paket über 100 Fernsehkanäle in seinem Angebot. Dazu zählen neben den von Reich-Ranicki grundsätzlich kritisierten Privat-Sendern RTL, Pro Sieben und Sat.1 auch die High-Quality-Shoppingsender QVC und HSE24, aber auch Spartensender wie SciFi, Sailing-Channel oder Neun Live.

War Reich-Ranickis Auftritt beim Deutschen Fernsehpreis also nur Teil einer geschickten Werbestrategie? Immerhin war ihm durch seine Standpauke an das moderne Fernsehen für mehrere Tage die Aufmerksamkeit der Medien sicher. Mehr noch: Wenige Tage nach seinem Fernsehpreis-Auftritt bekam er zusammen mit Moderator Thomas Gottschalk eine eigene Fernsehsendung am Freitagabend im ZDF, in der er mit Gottschalk über – natürlich – die Qualität des Fernsehens stritt. Reich-Ranickis wetterte weiter gegen das Fernsehen, bescheinigte den Intendanten, sie hätten "keine Ahnung“, das Fernsehen sei "scheußlich, abscheulich“. Gottschalk übernahm die Gegenposition, setzte sich für das deutsche Fernsehen ein und verteidigte sogar die Privaten.

Dass Reich-Ranicki nun selbst für ein Angebot wirbt, welches Fernsehsender von äußerst strittiger Qualität beinhaltet, scheint etwas merkwürdig und lässt nur zwei Schlüsse zu: Variante eins: Herr Reich-Ranicki ist gar nicht so klug, wie immer angenommen wird, und er hat sich einen Werbevertrag aufschwatzen lassen, ohne sich über die Inhalte zu informieren. Das wäre tatsächlich ziemlich dumm. Und Dummheit will dem Literaturpapst nun wirklich niemand unterstellen.  Variante zwei: Herr Reich-Ranicki ist viel schlauer, als alle angenommen haben, und dazu noch ein ausgekochtes Schlitzohr. Denn mit dem Aufruhr, den er in der vergangenen Woche hervorgerufen hat, hat er nicht nur Aufmerksamkeit und eine Sendung bekommen - sondern gleich auch noch seinen Werbevertrag mit T-Home promotet.

Simone Bartsch

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